Hat sich einen erlauchten Kreis an Kritikern erarbeitet: Bulgariens Ex-Premier Borissov / picture alliance

Wahlen in Bulgarien - Der Wahlsieger schweigt

Bei der Wahl zur 49. Bulgarischen Volksversammlung hat eine Mehrheit für die Partei des Ex-Premiers Boiko Borissov gestimmt. Ob ihn sein Wahlsieg nach zwei Jahren wieder in den Chefsessel im Ministerrat hieven wird, ist noch ungewiss. Die Schar seiner Kritiker ist groß.

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Frank Stier ist Korrespondent für Südosteuropa und lebt in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

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Bulgariens Ex-Premier Boiko Borissov verfügt über einen erlauchten Kreis erbitterter Kritiker. Sie werfen ihm alle möglichen Todsünden vor. Vor allem aber, er habe das Balkanland zu einem von der Oligarchie gekaperten Staat verkommen lassen. Auf seine treue Anhängerschaft dürften seine Gegner indes neidisch sein. Denn die haben den promovierten Feuerwehrmann und früheren Bodyguard von in Ungnade gefallenen Kommunistenführern und heimgekehrten Zaren in den vergangenen achtzehn Jahren zum Rekordhalter an gewonnenen Wahlen gemacht, vor allem in den Disziplinen Parlaments-, Kommunal- und Europawahlen. 

In drei Amtszeiten hat Borissov vom Sommer 2009 bis zum Frühjahr 2021 das Balkanland regiert, rühmte sich auf EU-Gipfeln in Brüssel, neben Angela Merkel einer der Veteranen europäischer Diplomatie zu sein. Von den fünf Parlamentswahlen in den vergangenen zwei Jahren hat er mit seiner rechtsgerichteten Partei „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) drei gewonnen, die Bildung einer Regierung ist ihm mangels Koalitionspartner zuletzt aber nicht mehr gelungen. 

Amtliches Wahlergebnis wohl am Mittwoch

Die Politikverdrossenheit ist groß in Bulgarien. Nur noch vier von zehn Bürgern haben am vergangenen Sonntag die 49. Bulgarische Volksversammlung gewählt. Davon haben 26,5 Prozent Borissovs GERB ihre Stimmen gegeben, zwei Prozent mehr als seinen schärfsten Widersachern vom erstmals gemeinsam angetretenen liberal-konservativen Parteienbündnis aus „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) und „Demokratisches Bulgarien“ (DB).
 

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Ob ihn sein Wahlsieg aber nach zwei Jahren wieder in den Chefsessel im Ministerrat hieven wird, ist ungewiss. Und ob er das überhaupt will oder als Ausweis seines Willens zum Kompromiss einem weniger übel beleumundeten Parteigänger das Regierungsamt zu überlassen gedenkt, dies hat der GERB-Chef weder vor der Wahl noch in der Wahlnacht wissen lassen – und auch nicht am Tag danach. Er werde mit einer Stellungnahme das endgültige amtliche Wahlergebnis abwarten, ließ er verlauten. Dieses wird die Zentrale Wahlkommission voraussichtlich am Mittwoch verkünden.  

Solidarität mit Russland

Zwei Prozentpunkte hat GERB gegenüber der vergangenen Wahl vor wenigen Monaten zugelegt, zwei Prozent weniger Wählerstimmen haben PP und DB gemeinsam errungen als im Oktober noch getrennt. Was nun passieren wird, ist momentan schwer zu sagen. Denn wie Wahlsieger Borissov zierte sich auch sein Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten Kiril Petkov mit seinem Kommentar zum Wahlausgang, auch der PP/DB-Anführer will sich erst nach Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses erklären. 

Als ein Wahlgewinner kann auch die nationalistische Partei „Vesraschdane“ (Wiedergeburt) gezählt werden. Sie hat knapp 5 Prozent zugelegt und ist mit 14,2 Prozent drittstärkste Kraft geworden. In den vergangenen Jahren hat sich „Vesraschdane“ zunächst mit ihrer Opposition gegen staatliche Corona-Maßnahmen profiliert, danach als einzige Parlamentspartei explizit ihre Solidarität mit Russland erklärt. 

Die Partei der bulgarischen Türken „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS) hat sich mit 13 Prozent auf Rang Vier platziert. Vor der zur Kleinpartei gewordenen post-kommunistischen „Bulgarischen Sozialistischen Partei“ (BSP) mit 8,9 Prozent und der mit 4,2 Prozent nur knapp ins Parlament eingezogenen Partei „So ein Volk gibt es“ (ITN) des ebenso prominenten wie umstrittenen Showmasters Slawi Trifonow. 

Eine Spirale unablässiger Neuwahlen

Nach der Wahl im Oktober 2022 warnten politische Beobachter, dass, falls keine Regierungsbildung zustande käme, vorgezogene Neuwahlen im April 2023 dasselbe Wahlergebnis reproduzieren könnten und Bulgarien in eine Spirale unablässiger Neuwahlen stürzen werde. Doch obwohl das aktuelle Wahlergebnis dem von vor einem halben Jahr tatsächlich ähnelt, scheint die Möglichkeit, dass es endlich zur Bildung einer Regierung kommen wird, wahrscheinlicher als damals. 

Der öffentliche Druck auf die beiden großen politischen Kräfte, eine wie auch immer geartete Regierungsmehrheit im Parlament zu realisieren oder notfalls mit einem Minderheitenkabinett das Land zu regieren, ist groß. Alles andere würde die Verdrossenheit im Land wohl weiter vertiefen und allein die putinfreundlichen Nationalisten von „Vesraschadane“ weiter stärken. Rechnerisch möglich wären auch Dreierkoalitionen von GERB oder PP/DB mit kleineren Parteien. Dass die beiden erklärtermaßen euro-atlantisch orientierten Parteien GERB und PP/DB ein Regierungsbündnis mit „Vesraschdane“ eingehen könnten, scheint aber ausgeschlossen.

Grassierende Korruption und mangelnde Rechtshoheit

Ideologisch gehören GERB und PP/DB dem selben westliche Werte propagierenden Lager an. In einer ganzen Reihe politischer Fragen, sei es die Befürwortung stärkerer militärischer Unterstützung der Ukraine oder Bulgariens Anspruch auf zügige Beitritte zur Eurozone und zum Schengener Raum, vertreten sie vereinbare Positionen. Auch ihre Vorstellungen zu wirtschafts- und energiepolitischen Themen unterscheiden sich nicht grundsätzlich. Doch persönliche Animositäten ihrer Parteiführer haben jegliche Kooperation zwischen GERB und PP/DB unmöglich gemacht. 

PP/DB verstehen sich als parlamentarische Repräsentanten der Bürgerrechtler, die GERB-Führer Borissov die Schuld geben für grassierende Korruption und mangelnde Rechtshoheit im Land. Zuletzt protestierten tausende Bürger und Bürgerinnen im Sommer und Herbst 2020 auf den Straßen Sofias und anderer bulgarischer Städte und forderten den Rücktritt von Borrissovs konservativ-nationalistischer Koalitionsregierung. 

Handlanger des Kreml

Während der gerademal neun Monate währenden Amtszeit von PP-Chef Kiril Petkov als Ministerpräsident hat die Polizei seinen Amtsvorgänger Borissov im März 2022 unter dem Vorwurf der Korruption gar für vierundzwanzig Stunden in Haft genommen. Obwohl er seine Inhaftierung als unrechtmäßige Erniedrigung empfunden hat, war es zuletzt eher Borissov, der eine vage Bereitschaft zur Zusammenarbeit seiner Partei mit PP/DB signalisiert hat, um das Land aus politischer Stagnation zu befreien. Mit Verweis auf den Anspruch seiner Partei, die von Borissov mitverantwortete Korruption im Lande zu beenden, hat Petkov indes eine Kooperation seiner Partei mit GERB stets ausgeschlossen.

Sollten weder GERB noch PP/DB jeweils allein oder gemeinsam erneut keine Regierung zustande bringen, würde dies die de facto Regentschaft des von den Sozialisten ins Amt gehobenen Staatspräsidenten Rumen Radev verlängern. Er verfolgt mit den von ihm eingesetzten Übergangsregierungen vor allem auch in Bezug auf den Ukraine-Krieg eine Politik, die Bulgariens Euro-Atlantiker als russlandfreundlich kritisieren: Präsident Radev lehnt bulgarische Waffenlieferungen an die Ukraine ebenso ab wie immer neue und schärfere Sanktionsrunden gegen Russland. Stattdessen plädiert er für eine Verhandlungslösung. Dafür wird er von seinen Gegnern nicht nur des Appeasements bezichtigt, sondern sogleich zum Handlanger des Kreml erklärt.
 

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Ernst-Günther Konrad | Di., 4. April 2023 - 12:32

Als Außenstehender ist es immer schwer, die politischen Verhältnisse eines anderen Landes zu beurteilen. Die Wähler haben gesprochen und den Mann wieder gewählt. Es liegt nun an ihm, endlich eine Koalition zu bilden, die eine Regierungszeit andauert. Und was persönliche Vorwürfe anbetrifft, stehen sich die Parteien dort in nichts nach, wie in anderen Ländern auch. Oligarchentum, Selbstbereicherung, Pro oder Kontra EU oder Russland, sind doch in allen ehem. Staaten der ehem. Sowjetunion trotz Loslösung Thema. Jedenfalls ist auch in diesem Land, so wie in Finnland und anderen Ländern inzwischen auch, linke Regierungen abgewählt oder aber so dezimiert, dass sie in konservative Koalitionen einwilligen müssen, um politisch überhaupt noch wirken zu können.