- Der Kapellmeister des Kalauers
Der Komiker Fips Asmussen galt als der große Witzeerzähler der alten Bundesrepublik, nun ist er im Alter von 82 Jahren gestorben. Lesen Sie hier noch einmal unser Porträt über den Alleinunterhalter aus dem Jahr 2015.
Es genügt eine winzige Geste, ein Geräusch, eine klitzekleine Andeutung, um die Aufmerksamkeit auf die Dame zu lenken, die da gerade vom Klo an der Bühne vorbei zurück zu ihrem Platz im Publikum schleicht. Sie geht, er schnappt zu, die Blicke graben sich ein. Sie wird rot, blutet aus wie ein angeschossener Achtender. Er erlegt sie wie ein verirrtes Wild, dort oben, von der Rampe, von seinem Tischchen aus. Wie Cipolla in Thomas Manns „Mario und der Zauberer“, wie ein Dompteur, nur ohne Peitsche. Das Publikum tobt. Fips Asmussen grinst.
Humor im Stollen
Aber von Anfang an: Der Spaß beginnt im Nirgendwo. Genauer: im Irgendwo – am Südostrand Dresdens, kurz vor Tschechien. Der Grandseigneur der schmutzigen Unterhaltung, der Kapellmeister des Kalauers, Fips Asmussen, hat geladen – in die „Unterirdischen Welten“, einen Veranstaltungsort inmitten eines Salzstollens. Er wird an diesem Abend drei Stunden lang Witze erzählen. So wie er es immer macht. Seit gut 40 Jahren witzelt er sich durch die Republik.
Er hat schon gescherzt, als es in Deutschland nur drei Fernsehprogramme gab, als die Nationalspieler noch Hrubesch und Hölzenbein hießen, als Schmidt auf Brandt folgte und Kohl auf Schmidt. Asmussen ist eingefrorene Zeit, konservierte Komik. Er ist der letzte Witzeerzähler. Heute erzählt man sich keine Witze mehr, heute werden zur Belustigung Filmchen auf Facebook geteilt. Am Phänomen Asmussen lässt sich nachspüren, wie sich der Witz und mit ihm ein ganzes Land verändert haben.
Ein verirrter Raumfahrer
Asmussen war ein Komikerstar in den Siebzigern, als die Berufsbezeichnung Comedian undenkbar schien. Wie ein verirrter Raumfahrer kreist er um längst vergessene Lustigkeit. Ein Fipsonaut, der in Sachen Humor noch auf bemannte Raumfahrt setzt, wo doch längst programmierte Roboter das All erkunden. Sein Paralleluniversum ist die Provinz.
So landet er vor 160 Leuten am Lockwitzgrund in Dresden. Vor dem Stollen stehen brave Vorstadthäuser. Zum Veranstaltungsort führt ein Schotterweg bergauf, durch einen felsigen Torbogen in die Dunkelheit. Eine Tür, eine zweite Tür, nichts, die Luft kühl, feucht, salzig. Wassertropfen fallen zu Boden. In der Höhle sind Liegestühle verteilt. Menschen liegen unter dicken Decken. Dann die richtige Tür, dahinter eine Bar, Bühne, bunte Lichter, Plastikpalmen, Fahrstuhlmusik, glotzende Fische in einem trüben Aquarium. Ein Ort, an dem Betriebsfeste und Schlagerpartys stattfinden. Nebenan liegen Lungenkranke. Eine Art Zauberberg. Nur ohne Zauber. Ein Salzstollen, der perfekte Platz, um atomaren Müll zu lagern, wird zum Endlager für längst vergessenen Humor.
Humor als Gefahr für Mensch und Ordnung
In der Antike und im christlichen Mittelalter hätte man sich über ausgelagerten Humor in einem Stollen gefreut. Humor galt als Gefahr für Mensch und Ordnung, das grobe Lachen war verpönt – schlecht für die Seele des Volkes. Die Kirche erlaubte den Karneval als zeitlich begrenzte Verunreinigung zur Abfuhr der schlechten Säfte. Asmussen wird sein Publikum aus der alltäglichen Ordnung witzeln und Kalauer abfeuern, die man sich außerhalb des Stollens nur in Eckkneipen erzählt. Auf diesen vergessenen Inseln trübdeutscher Heimeligkeit, wo bei Bier, Korn und Andrea Berg, hinter verrauchten Gardinen und heulenden Spielomaten, die Welt eine andere ist.
Gegen 18 Uhr, zwei Stunden vor dem Auftritt, steht Asmussen plötzlich mit halb abgebrannter Zigarre mitten auf der Bühne. Und dirigiert. „Is ja urig hier“, freut er sich. Mit frisch toupierter Pudelfriese wankt er durch den Stollen. Er läuft, fast ohne die Knie zu beugen. Man meint, es knirschen zu hören. Alles soll runter von der Bühne, befiehlt er, Tisch und Stuhl dürfen bleiben. Mehr braucht er nicht. Eine ältere Dame beäugt alles kritisch. Sie tragen dieselbe Frisur. Es ist seine Frau. Fips atmet schwer. „1, 2, 3, 4, Test“, jagt er durchs Mikro. Licht von der Seite? Quatsch, brauchen wir nicht. Die Zigarre im Mund zittert, die Laute quetscht er links und rechts am Stummel vorbei. „Mach ma heller“, ruft ein Lichttechniker dem Kollegen zu. „Nix heller“, kontert Asmussen. Ein goldenes Kettchen am Handgelenk wackelt sich zurecht. Letzter Blick ins Licht: „So kann ich.“
Asmussens Augen tränen
19 Uhr. Eine Stunde vor Auftritt hat er Zeit für ein Gespräch bei einer Tasse Filterkaffee. Er riecht nach Shampoo und kaltem Rauch. Asmussens Augen tränen – ein alter Krieger, der viele Humorschlachten geschlagen hat. Sein Alter will er nicht verraten. „Weit unter hundert.“ Im Internet steht 76. Er ist kein Mann für lange Geschichten. Kurz und knackig müssen sie sein, die Witze. Er hat sie in einem schwarzen Buch notiert, das er immer bei sich trägt. Für den Notfall. Hineinschauen wird er nicht. Streng genommen kann er sie im Schlaf erzählen. Vielleicht macht er das.
Er ist Pointensammler. Wenn Comedians angestrengt und ungelenk Geschichten konstruieren, um darin ihren zeitgenössischen Witz zu platzieren, hat das Witzegewehr Asmussen schon ein Dutzend blanke Pointen verfeuert. Flach, aber ehrlich. Wie ein Operateur, der die Pointe unter Holzhammernarkose entnimmt und von überflüssiger Narration befreit. Pures Pointenfleisch.
Witze am laufenden Band
Asmussen hat 52 CDs auf den Markt gebracht, die erste Platte erschien Ende der sechziger Jahre. Das erfolgreichste Album heißt „Witze am laufenden Band Teil I“ und hat sich 600 000 Mal verkauft, Platin. Das war früher. Ob er neidisch auf Komiker wie Mario Barth sei, der Stadien füllt statt salzige Grotten? Quatsch. Barths Gags seien ihm zu dünn. Der hampele ein bisschen auf der Bühne rum, laufe nur von links nach rechts. „In der Zeit, in der der einmal über die Bühne läuft, macht Asmussen zwei CDs.“ Asmussen spricht manchmal von sich in der dritten Person – wie Winnetou oder Lothar Matthäus.
Fips Asmussen heißt Rainer Pries. So nennt ihn aber niemand mehr, nicht mal seine Frau. In Hamburg wächst er auf und lernt Schriftsetzer. Dann schult er um, geht auf eine Werbeakademie, macht sein Diplom und arbeitet als Werbeassistent. Die Kunst läuft nebenbei. Noch erzählt er keine Witze, sondern macht Musik – in Kneipen. Er eröffnet seine eigene Kabarettbar „Violette Zwiebel“ in Hamburg. Wenn Fips singt, gehen die Leute raus zum Pinkeln. Sie kommen wieder rein, wenn er Witze erzählt. So wird er hauptberuflicher Witzeerzähler, fährt zu Festen, tritt in Bierzelten auf. Wie viele Auftritte er noch hat, verrät er nicht: „Das weiß nicht mal mein Finanzamt.“
Das Bier fließt
Einlass. Die Grotte füllt sich – bis auf den letzten Platz. Lange, kurze, kegelförmige Menschen verteilen sich im Raum. Asmussen würde sagen, junges Publikum, alle unter 70. Der typische Asmussen-Gast, wenn es ihn denn gibt, ist männlich, trägt Kurzhaarfrisur, Jeans. Frau wird mitgebracht, kreischt später aber am lautesten. Das Bier fließt. Die Würstchen im Glasbehälter dampfen vor sich hin. Nüsschen und kleine Brezeln gehen über den Tresen. Was muss das für ein kompromissloser Kerl sein, der sich für eine Witzkarriere entscheidet?
Wie der zittrige Muhammad Ali tänzelt er durch die Reihen. Er bleibt im Publikum stehen. Handschlag. „Du hast aber weiche Hände. Arbeitslos, wie?“ Der erste Lacher geht von Bord. „Schöne Zähne, gibt’s die auch in Weiß?“ Asmussen frotzelt sich bis zur Bühne vor. „Warst beim Friseur, nä? Den Prozess gewinnst du.“ Er trägt seine Arbeitskleidung: eine Weste in den Farben eines Regenbogens. Bei Asmussens Witz gilt Freuds Erkenntnis, wonach Humor Entlastungsfunktion hat. Im Witz darf Tabuisiertes ausgesprochen werden, Triebregungen, die normalerweise in der Gesellschaft nicht öffentlich verhandelt werden. Diese Gesetzmäßigkeiten sind sein Geschäft. Asmussen mag es schlüpfrig.
Er feuert aus allen Rohren
„Hab gestern noch mit 39 im Bett gelegen. Das war ein Gedränge!“ Asmussen ist auf Betriebstemperatur. Er feuert aus allen Rohren. Der Blick ins Publikum zeigt quietschende, verzerrte Gestalten, zeigt schräge, verzogene, krähenfüßige Gesichter. Dort sind jetzt, das weiß man aus der Humorforschung, 200 Muskeln pro Körper aktiv, 40 allein im Gesicht. „Zu viel Sex im Fernsehen, vor allem zu spät!“ Das Gelächter erreicht bis zu 500 Schwingungen pro Sekunde. Die Atemluft wird mit 100 km/h ausgestoßen.
„Letzte Woche bin ich umgezogen. Über mir ist eine Kellerwohnung frei geworden.“ Der Zygomaticus-Muskel zieht den Mund nach oben, die Augenbrauen heben, Nasenlöcher weiten, die Augen verengen sich. „Neulich beim Urologen in Darmstadt.“ Der Atem schnellt hoch, das Herz zieht nach, das Zwerchfell bewegt sich rhythmisch, der Blutdruck steigt, das Gesicht errötet, die Pupillen weiten sich. „Ein Tierarzt ist rausgeflogen, weil er ein halbes Hähnchen krankgeschrieben hat.“ Im Publikum wird die Pointe nachgesprochen. KRANKGESCHRIEBEN. Kreisch. Die Tonhöhe einer herzhaft lachenden Frau schießt in wenigen Millisekunden auf bis zu 1000 Hertz. Meist zündet das Gelächter schon vor der Pointe.
Die Fips-Methode
Asmussen liefert so schnell, dass man ein Drittel der Witze sofort, zwei Drittel später vergisst. Auf dem Nachhauseweg wird es unmöglich sein, sich an mehr als eine Handvoll Witze zu erinnern. Es ist die Fips-Methode: Ihr vergesst es doch eh, deswegen wiederhole ich es. Auftritt für Auftritt für Auftritt. Jahr um Jahr.
Während der Vorstellung baut seine Frau etwas abseits der Bühne einen kleinen Tisch auf. In der Pause wird sie dort CDs, Bücher und Autogrammkarten ihres Mannes verkaufen. Asmussen sitzt auf seinem Tisch, schickt das nächste Bataillon Lustigkeit in die Nacht. Jeder dritten Pointe folgt ein lang gezogenes Aaaaaach. Die Beine wackeln in der Luft, strampeln dem Witz hinterher. Dort oben ist er der kleine Junge mit dem frechen Blick. Ein Schelm.
Konservator längst vergangener Lustigkeit
Bei Asmussen lachen wir über andere: Frauen, Ausländer, Schwiegermütter, Politiker. Bei Loriot über uns selbst. Leute, die Asmussen mögen, favorisieren Witze mit Auflösung, sagt der Humorforscher Willibald Ruch. Er unterscheidet zwischen auflösendem und nichtauflösendem Humor und ist überzeugt, dass Menschen, die Witze mit Auflösung mögen, ein Bedürfnis nach Struktur und Stabilität haben. Sie seien eher konservativ, konformistisch und passten sich an sozial erwünschtes Verhalten an. Diese Menschen würden im Ausland auf die Schweinshaxe zurückgreifen.
Schweinshaxenhumorist Fips Asmussen ballert weiter. Dieser Abend gehört der Vergangenheit, gehört den Adressaten für Pamela Anderson und Telefonsexwitze. Halbwertzeiten von Witzen sind ihm egal. Gilt es doch, Witze vor dem Aussterben zu bewahren. Kohl-, Blondinen- und Schwiegermütterwitze. Asmussen ist der unermüdliche Konservator längst vergangener Lustigkeit. Ein Historiker, ein Sammler. Wer zu Fips hält, bekommt, was er kennt und verdient, einen toupierten Obelisken wider die Veränderung. Mal wird ein Name getauscht: Schröder gegen Kohl, Merkel gegen Schröder. Doch am Witzefundament wird nicht gerüttelt. Warum auch? Im Grunde erzählt Asmussen noch immer Ostfriesenwitze – nur ohne Ostfriesen.
Ein letzter Witz
Ein letzter Witz. Applaus. Die Gesichter rot. Kollektives Durchpusten. Männer und Frauen liegen auf ihren Klappstühlen wie ungeübte Sprinter nach einem unfreiwilligen Marathonlauf. Ein letzter Scherz würde genügen, ein letzter Stoß, um das überreizte Zwerchfell des kleinen Mannes ins humoristische Jenseits zu befördern. Doch dann passiert etwas Erstaunliches. Asmussen wurzelt. Er setzt ein bübisches Grinsen auf, zitiert Kurt Tucholsky: „Der andere Mann“. In diesem Gedicht fragt sich eine Frau, ob sie ihren langweiligen Ehemann gegen einen anderen tauschen soll. Von Dauerpointen zerfurchte Gesichter lauschen der wunderlichen Rezitation. „Hättst du den Neuen: in ein, zwei Jahren / Ständest du ebenso da! / Dann kennst du seine Nuancen beim Kosen; / Dann kennst du ihn in Unterhosen; / Dann wird er satt in deinem Besitze; / Dann kennst du alle seine Witze … Glaub mir: Wenn man uns näher kennt, / Gibt sich das mit dem Happy End.“
Asmussen schließt mit einem Plädoyer für die Langeweile, den Durchschnitt, das Bekannte: im Witz, im Leben, im Lieben. Eine liebevolle Mahnung an alle Suchenden, die auf ihrem Weg zum vermeintlich Besseren das Gute verlieren. Lasst euch nicht blenden, weil alles Neue zum Alten wird, appelliert er. Dann lieber beim Original bleiben. Bei Fips.
Timo Stein war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero. Als kleiner Junge hat er bei Autofahrten mit seinem Opa den Asmussen-Hit „Von Vegesack bis Titisee gibt's Rambazamba satt“ laut mitgesungen.
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Solche Komiker gibt es heute in der systemkonformen Welt gar nicht mehr. Da konnte man noch lachen, ohne Gefahr zu laufen falsch angesehen zu werden oder von Leuten wie dem Herrn Frühling jäh beleidigt zu werden. Hut ab für den guten alten Fips Asmussen! Er bleibt in unseren Herzen.