- Fliegen für den Frieden – Nölen in Nauen
Die CDU-Kanzlerin Merkel verhandelt und macht, die SPD nölt und zieht sich zurück: Muss man sich da noch über die mickrigen Zuspruchsraten für die Sozialdemokraten wundern?
Gestern war Angela Merkel im Weißen Haus bei Barack Obama, danach noch kurz in Ottawa, vorher war sie in Kiew und am Mittwoch geht es nach Minsk. Fliegen für den Weltfrieden, Pendeldiplomatie, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin im Ukraine-Krieg (das ist bereits ein Krieg) zur Räson zu bringen und einen militärischen Konflikt zwischen Russland und dem Westen auf europäischem Boden abzuwenden. Die jettende Kanzlerin zeigt damit dreierlei.
Erstens: Europa spielt als politischer Akteur keine Rolle, wenn es ernst wird. Es fliegen nicht die Außenbeauftragte Federica Mogherini, nicht der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, und auch nicht der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk. Es fliegen, es telefonieren: Der französische Präsident François Hollande und die deutsche Kanzlerin. Und Merkel zuallererst. Das ist die Wahrheit über Europa. Am Ende handeln die großen Nationalstaaten, Frankreich und Deutschland, bestenfalls im Interesse aller.
Die Europäische Union ist nach all den Jahrzehnten nichts weiter als ein Bündnis von gemeinsamen Wirtschaftsinteressen, wie zu Zeiten der Gründung als Montanunion. Ein supranational kraftvoll agierendes politisches Bündnis ist es nicht. Wird es (leider) wahrscheinlich auch nie werden.
Merkel zieht die Außenpolitik an sich
Zweitens: Merkel nimmt die Sache ihrem Außenminister Frank-Walter Steinmeier aus der Hand. Bisher war Steinmeier derjenige, der jede noch so kleine Chance nutzte, um im Gespräch mit Russland zu bleiben. Es ist kein Vorwurf zu erheben deshalb. Alle Kanzler der vergangenen Jahrzehnte haben im Ernstfall die Außenpolitik an sich gezogen. Merkel erhöht damit einerseits die Chancen auf eine Einigung. Weil sie sich als Kanzlerin selbst einschaltet und damit ihr ganzes politisches Gewicht einsetzt.
Es ist aber nun auch ihr Risiko, wenn sie mit ihrem Kurs „Härtere Sanktionen gegen Russland, aber keine Waffen für die Ukraine“ scheitern sollte. In der Sache hat Merkel recht: Es wäre Wahnsinn, sich als Nato und Europäische Union in einen Stellvertreterkrieg auf ukrainischem Boden hineinziehen zu lassen. Außerdem gibt es in Zeiten des Finanzkapitalismus weitaus smartere Waffen, um Putin in seinem Expansionstrieb aufzuhalten, als jene, aus denen vorne Geschosse herauskommen. SWIFT ist so eine smarte Waffe des 21. Jahrhunderts, die die Europäer noch in der Hinterhand haben.
Damit sind wir bei drittens, der Großen Koalition, der SPD und einem brandenburgischen Städtchens namens Nauen. Dorthin, etwas 30 Kilometer nordwestlich von Berlin, hatte sich die Sozialdemokratie unter Leitung ihres Vorsitzenden zurückgezogen, um sich einmal mehr mit dem zu beschäftigen, was sie am besten kann: der ausgiebigen Betrachtung des eigenen Bauchnabels.
Gabriels Strategie ist gescheitert
Die Klausur beschäftigte sich mit der Frage, weshalb es nicht aufwärts geht mit der SPD, obwohl doch die beiden Wahlversprechen flächendeckender Mindestlohn und Rente mit 63 erfolgreich im Sauseschritt umgesetzt wurden in der Großen Koalition. Und so beklagten die Sozialdemokraten in Nauen die Ungerechtigkeit und Undankbarkeit der politischen Welt. Nölen in Nauen: Keiner kann das besser als SPD-Vize Ralf Stegner, der in dieser SPD-Disziplin wieder all seine Parteifreunde abhängte und das Dasein im Keller der 25 Prozent in den Umfragen weiter sicherte.
Dabei ist die Antwort auf die Frage ganz einfach: Mit der SPD geht es nicht bergauf, weil es doppelt falsch war – inhaltlich und strategisch –, diese beiden Themen zur vermeintlichen Begeisterung der linken Stammklientel durchzusetzen. Sigmar Gabriel hatte schon Monate vor der Großen Koalition mit ihm als Vizekanzler darauf hingearbeitet, den vermuteten Graben zu den Gewerkschaften und der Traditionswählerschaft wieder zu überbrücken.
Diese Strategie von Gabriel ist gescheitert. Wer das in der SPD nicht wahrhaben will, der soll am kommenden Sonntag einen Blick auf Hamburg und den dortigen Amtsinhaber Olaf Scholz werfen. Nicht den Nölern hinterrennen, sondern die Macher für sich einnehmen. Genau so macht es Scholz. Und nur so geht es.
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