- Danke, Mario Draghi!
EZB-Präsident Mario Draghi ist der Sündenbock der Eurozone: Er wird nicht nur für das Wahlergebnis in Griechenland verantwortlich gemacht. Es heißt auch, dass er die Währungsunion gefährdet. Gescheitert ist aber nicht Draghis Eurorettung, sondern Merkels Krisenpolitik
Jetzt fehlt eigentlich nur noch, dass die Deutschen Mario Draghi für das Wahlergebnis in Griechenland verantwortlich machen, nach dem Motto: Wenn der italienische EZB-Präsident aus dem harten Euro nicht eine Weichwährung à la Lira und Drachme gemacht hätte, indem er gerade schon wieder eine Billion Euro in den Markt gepumpt hat, wären die Griechen mit ihren Strukturreformen schon viel weiter. Athen wäre die Hauptstadt einer boomenden sozialen Marktwirtschaft deutscher Prägung mit Rekordsteuereinnahmen, einem konsolidierten Haushalt, Vollbeschäftigung, dem besten dualen Ausbildungssystem der Welt und einem Fachkräfteüberschuss. Oder so ähnlich.
Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so dämlich wäre. Tatsächlich hat Mario Draghi seit seinem Amtsantritt durch seine Entscheidungen an der Spitze der Europäischen Zentralbank wohl mehr zum Erhalt des Euro beigetragen als alle Staats- und Regierungschefs der Eurozone zusammen.
Beharren auf der schwarzen Null
Unterstützung aus Berlin hat er dabei selten bis nie bekommen. Bestenfalls durfte er darauf hoffen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel ihn nicht öffentlich kritisierte für seine Niedrigzinspolitik, seine berühmte „Whatever it takes“-Rede oder für seine Ankündigung, Staatsanleihen in großem Umfang aufzukaufen.
Sinnvoller wäre es gewesen, wenn die Bundesregierung die Zeit, die ihr Draghi durch seine mutige Geldpolitik immer wieder verschafft hat, selbst genutzt hätte, um das Wachstum in Deutschland und Europa anzukurbeln. Aber Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble waren noch nicht einmal bereit, über Steuersenkungen zu diskutieren, etwa über die Abschaffung der sogenannten kalten Progression. Neue Schulden zu machen, um die Infrastruktur in Deutschland zu verbessern, kam natürlich auch nicht in Frage. Stattdessen beharrte man mit falschem Stolz auf der schwarzen Null. Man verdonnerte als Zuchtmeister ganz Europa zum Sparen. Dabei wäre Deutschland als echte Konjunkturlokomotive Europas für die darbenden Euronationen im Süden viel hilfreicher gewesen. Aber einfacher ist es natürlich, mit dem Finger auf die vermeintliche böse EZB in Frankfurt zu zeigen.
Dass die von Merkel durchgesetzte Sparpolitik an ihre Grenzen kommt, sieht man besonders deutlich in Griechenland. Athen hat seine öffentlichen Ausgaben so stark gesenkt, dass die Griechen im vergangenen Jahr einen strukturellen Haushaltsüberschuss von mehr als vier Prozent der Wirtschaftsleistung erreicht haben. Das ist der höchste Wert aller OECD-Länder. Abzüglich des Schuldendienstes kommt Griechenland mit seinen laufenden Staatseinnahmen zurecht. Die Löhne sind stark gesunken, die Wirtschaftsleistung ist seit 2008 um ein Viertel zurückgegangen, die Investitionen liegen fast bei null, die Arbeitslosigkeit bei über 25 Prozent. Mehr sparen geht überhaupt nicht. Trotzdem steigen die Schulden der Griechen weiter an.
Mehr sparen geht in Griechenland nicht
Das zeigt, dass Merkel mit ihrer Rettungspolitik gescheitert ist. Wenn sie und Schäuble jetzt auch noch mehr oder weniger diskret Draghis Anleiheaufkauf-Programm kritisieren, schaden sie der Eurozone massiv. Damit beschädigen sie als höchste Vertreter der stärksten Wirtschaftsnation innerhalb der EU gleich wieder das Vertrauen in den Euro, das Draghi mit seiner Politik zu erhalten versucht.
Das ist umso verwunderlicher, da die Bundesregierung vor der eigenen Haustür beobachten kann, was passiert, wenn ein Mitglied den Währungsverbund verlässt: in der Schweiz. Durch die Koppelung des Franken an den Euro waren die Schweizer de facto ein Mitglied der Eurozone. Als die Schweizer Notenbank völlig überraschend Mitte Januar die Koppelung beendete, wertete der Franken massiv auf. Für die stark exportorientierte Schweizer Wirtschaft ist das eine Katastrophe. Denn die Ausfuhren haben sich im selben Maße verteuert. Dasselbe würde passieren, wenn die Eurozone auseinanderbrechen würde: Ein Nordeuro oder eine neu eingeführte D-Mark würden ebenfalls massiv aufwerten und zu großen Problemen für die deutsche Wirtschaft führen.
Insofern sollte die Bundesregierung Mario Draghi dankbar sein. Denn die Abwertung des Euro, die mit seinen Maßnahmen einhergeht, hilft Ländern wie Italien, Frankreich, Portugal, Spanien und vielleicht auch Griechenland dabei, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern bzw. wiederzuerlangen.
Die Deutschen sollten Draghi danken
Das heißt nicht, dass man Griechenlands Wahlsieger all seine Versprechungen ermöglichen muss. Aber auch Alexis Tsipras wird einsehen müssen, dass er auf die Hilfe der anderen Euro-Mitglieder angewiesen ist. Bereits getroffene Vereinbarungen seiner Vorgänger kann er nicht einfach ignorieren. Auch wenn er im Wahlkampf vollmundig verkündet hat, dass er die Griechen von dem Joch der Troika befreien will, kann er nicht zu hoch pokern. Ein Ausscheiden aus dem Euro würde das Land in eine noch tiefere Krise stürzen. Und sollte er die Hilfskredite des IWF nicht zurückzahlen, dann wird den Griechen in Zukunft niemand mehr Geld leihen. Seine versprochenen sozialen Wohltaten würden damit in unerreichbare Ferne rücken.
Das heißt nicht, dass Draghis Maßnahme ohne Risiko ist. Aber ein Scheitern des Euro wäre für die Deutschen das weitaus schlimmere Szenario.
Ob wir den bisher erfolgreichen Retter Draghi dafür jemals in unser Herz schließen werden? Unwahrscheinlich. Wir Deutschen haben wohl immer Angst vor politischen Akteuren, die tatsächlich gestalten wollen, Verantwortung übernehmen oder gar nach Lösungen für Probleme suchen: Deswegen ist Angela Merkel auch schon seit mehr als neun Jahren unsere Bundeskanzlerin.
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