- Multimillionär mit Schufa-Eintrag
Im Kindesalter fassten sie den Plan, ein Unternehmen zu gründen. Heute dominieren die Brüder Samwer das deutsch-europäische Internetgeschäft. Am Donnerstag gehen sie mit Zalando und Rocket Internet an die Börse. Das Unternehmer-Trio führt der als rücksichtslos geltende Oliver Samwer an
Dafür, dass er sich selbst als der „aggressivste Mann im Internet“ bezeichnet, ist seine Stimme überraschend fistelig. Selbst bei seinen als „Flugzeugträgeransprachen“ bekannten Reden wirkt er häufig fahrig und ein wenig abgehoben. Für gewöhnlich tritt er in Jeans und schlichtem Hemd auf, sein Gesicht schimmert oft etwas fahl und wächsern, nur seine Augen sind immer voller Entschlossenheit: Oliver Samwer, der seit 15 Jahren das deutsch-europäische Internetgeschäft dominiert, steht zusammen mit seinen Brüdern Marc und Alexander vor dem vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere.
Mit den Börsengängen des Onlineversandhauses Zalando und des Startup-Inkubators Rocket Internet am Donnerstag werden die Samwers und ihre bisherigen Co-Investoren bis Ende der Woche voraussichtlich 2,2 Milliarden Euro frisches Kapital an den Finanzmärkten einsammeln.
Der Drang nach ungezügeltem Wachstum
Aber vorläufige Höhepunkte interessieren die drei Brüder gar nicht. Ihr Erfolgshunger scheint unstillbar. Dabei sind die Rollen klar verteilt. Marc Samwer, mit 43 Jahren der Älteste der Samwers, nimmt die Rolle des Außenpolitikers ein: Charmant, jovial und redegewandt versteht er es, andere für sich zu gewinnen. Wie sein Bruder Oliver ist der studierte Jurist ein echtes Verkaufstalent. Mit Oliver Samwer verbindet ihn jener Drang nach ungezügeltem Wachstum. Alexander Samwer ist hingegen eher der analytische Feingeist. Ihm sind Geduld und die Fähigkeit zum Zuhören zu eigen und er ist es, der die wirklich langfristigen Unternehmenspläne entwirft. Ein Mastermind, das in den vergangenen Jahren die harten Nüsse des Samwer-Portfolios zu knacken hatte, etwa den Wachstumserfolg Zalando oder das komplexe Möbelgeschäft bei Home24.
Ohne jenen erfolgshungrigen Oliver Samwer hätte das Trio aber wohl nicht so viel Erfolg. Er ist der aggressive Macher, das Sandwichkind mit den harten Ellenbogen, das den Ton angibt und es wie kein Zweiter versteht, sich in eine Aufgabe zu verbeißen. So wie bei der ersten Gründung des Gespanns, dem Auktionshaus Alando – einer deutschen Ebay-Kopie. Gestartet 1999 in der Hochphase des New-Economy-Booms, verkauften die Brüder es nur sechs Monate nach der Gründung und knapp 100 Tage, nachdem sie mit Alando online gegangen waren, für 90 Millionen D-Mark an Ebay. In dieser Zeit hatte Oliver Samwer ein halbes Jahr seine Post nicht geöffnet und wurde so wegen einer übersehenen Mahnung wohl der erste Multimillionär mit einem Schufa-Eintrag.
Doch ein wenig Verrücktheit ist Teil von Oliver Samwers Programmierung. Er will gewinnen, immer und überall. Diesem ist alles untergeordnet und er ist bereit, dafür selbst gewagte Unterfangen zu unterstützen. Etwa bei seiner zweiten Gründung, dem Klingeltonanbieter Jamba, als er die Werbeblöcke im deutschen Musikfernsehen komplett ausbuchte. Die Dauerbeschallung mit Tweety & Co. zeigte Wirkung: Auch die zweite Samwer-Gründung wurde in die USA verkauft. Dieses Mal für 273 Millionen Dollar an das Telekommunikationsunternehmen VeriSign.
Die Ideenkäufer
Ein System war geboren: Nachdem auch Jamba durch ein Vorbild aus Japan entstanden war, übten sich die Samwers als Geldgeber von „Copycats“, Kopien fremder, anderswo erprobter Geschäftsideen. So entstand der YouTube-Klon MyVideo, den ProSiebenSat.1 kaufte und auch an StudiVZ, dem bekannten deutschen Facebook-Nachahmer, waren die Brüder beteiligt und machten kräftig Kasse.
Mit „Rocket Internet“ riefen sie 2007 schließlich einen Firmeninkubator ins Leben, der am Fließband Internetfirmen hervorbringt. Oliver Samwer hatte ersonnen, im US-Markt Geschäftsideen auszukundschaften und anschließend Gründerteams zu rekrutieren, die unter seiner Anleitung und mit Geld der Samwer’schen Investorenkontakte deutsche Kopien gründeten. Die Samwers können durch den Rückgriff auf etablierte Modelle ihr unternehmerisches Risiko senken, doch in der Öffentlichkeit bleibt dieses Klonvorgehen bis heute unpopulär. Samwers Beteuerungen, Ideen seien nichts wert und Innovation läge doch in der Umsetzung, bleiben derweil ungehört. Vielleicht auch, weil dessen Sozialverhalten immer wieder Anstoß zu Kritik gibt. Das Trio gilt vielen als rücksichtslos und gewinngetrieben. Als knallharte Unternehmer, die gewagte Unterfangen nicht schrecken und überhart verhandeln. Neben Jamba, bei dem Oliver Samwer sich schon mal vor die Bürotür setzte, um Mitarbeiter aufzuschreiben, die zu früh das Büro verließen, gerieten insbesondere die Gutscheinplattform Groupon und im April dieses Jahres wegen schlechten Umgangs mit Mitarbeitern in die Schlagzeilen.
Die Samwers lassen solche Vorwürfe eher kalt. Den Grundstein für ihr Familienunternehmen haben sie schon früh gelegt. Während eines Segeltörns auf dem Vierwaldstätter See schlossen Alexander, Oliver und Marc einen Pakt: Wir gründen gemeinsam ein Unternehmen – da waren sie gerade zwölf, 14 und 16 Jahre alt und Oliver Samwer stand als Leitwolf bereits fest.
Schon mit acht Jahren begleitete der 1973 geborene Kölner seinen Vater jeden Samstag in dessen Anwaltskanzlei, um ihm beim Öffnen der Geschäftspost zu helfen. Sigmar-Jürgen Samwer, erfolgreicher Presse- und Wettbewerbsrechtler, lehrte seinen Sohn im Kleinformat, was es bedeutete, Unternehmer zu sein. Der strenge Familienvater mit dem konservativen Elitedenken gab seinen Söhnen jenen Drang zu Gewinnen mit.
Die elitäre Unternehmer-Dynastie
Man hatte sich seinen Wohlstand erarbeitet, Oliver Samwer und seine Brüder wuchsen im Kölner Villenviertel Marienburg auf, wo sie das elitäre Friedrich-Wilhelm-Gymnasium besuchten. Mit Bestnoten sollte später für jeden der Besuch einer renommierten Universität folgen, immerhin traten sie auch in große Fußstapfen. Urgroßvater Karl Friedrich Samwer war für die Gründung der Gothaer Versicherungsbank zum Ehrenbürger von Gotha ernannt worden. Auch dessen Kinder bekleideten sämtlich hohe Ämter. Ein überraschend behütetes Familienidyll mit elitärer Abstammung, das dem für seine Wutausbrüche bekannten Oliver Samwer nicht recht entsprechen mag.
In der Branche genießt der 40-Jährige den Ruf eines gnadenlosen Optimierers, bei dem schon mal laut geschrien oder mit Bürogegenständen geworfen werde. Dennoch lassen sich Gefolgsleute dies bereitwillig gefallen. Denn niemand baut und verkauft Internetfirmen so erfolgreich wie Oliver Samwer. Er kennt die Gesetze der Branche. Mit Rocket Internet hat er sich darauf spezialisiert, Unternehmen binnen weniger Wochen international aufzubauen. Insbesondere mit seiner Vision, die Internetzukunft bevölkerungsreicher Entwicklungsmärkte zu begründen, versteht er es, die Angst der Old Economy vor der Bedeutungslosigkeit im Internetzeitalter zu schüren. Nun expandiert er, finanziert von der Geldelite dieses Planeten, Kleinanzeigenportale, Amazon-Klone oder Ebay-Seiten in Südostasien, Russland, Brasilien oder Afrika und macht selbst vor Nischenmärkten wie Pakistan oder Myanmar nicht Halt.
Der Kern seiner Organisation beruht auf dem Mantra der Geschwindigkeit. Während andere in Tagen oder Wochen denken, funktioniert Oliver Samwer in Stunden und Minuten. Bei fehlender Performance schließt er Standorte und Abteilungen von einem Tag auf den anderen. Andererseits gewinnt Rocket Internet bei seinen Seriengründungen durch effiziente Modulsysteme an entscheidenden Stellen wie dem Online-Marketing oder der Software-Entwicklung Zeit und hängt potenzielle Wettbewerber schnell ab. Ein Shopsystem für ein E-Commerce-Startup? Liegt vor. Ein Data Warehouse zur Erfassung wichtiger Kennzahlen? Schon programmiert. Der Rest ist Fokussierung. Einzelne Dinge konzentriert anzugehen und zunächst jedes Vorgehen auf kleiner Flamme zu testen, ehe die erfolgreichsten gnadenlos intensiviert werden, gehört zum Standardvorgehen bei Rocket Internet.
Trotz aller Aggressivität setzt sich Samwer aber auch durch sein Talent, Menschen zu steuern, von der Konkurrenz ab. Wie ein Menschenfänger verfügt er über die Fähigkeit, Begehren bei anderen zu wecken und für sich zu nutzen. Wer in seinem Dunstkreis wandelt, genießt die Aussicht, reich zu werden oder zumindest viel zu lernen. Bisher hat Oliver Samwer mit seinen Brüdern auf diese Weise ein Firmenimperium geschaffen, das weltweit rund 25.000 Mitarbeiter beschäftigt und mit Unternehmen wie Zalando, Edarling, Home24 oder Wimdu einige der bedeutendsten deutschen Internetgründungen hervorgebracht hat. Die Börsengänge geben den Samwers die Möglichkeit, ihre auf Wachstum und Geschwindigkeit ausgerichtete Strategie weiterzufahren. Sie brauchen das Geld aber auch dringend, da kaum eines ihrer Portfoliounternehmen bisher Gewinne erzielt.
Sich auf dem bisher Erreichten auszuruhen, käme für Oliver Samwer ohnehin nicht in Frage. Auch wenn er auf den ersten Blick also mit fisteliger Stimme, blassem Gesicht und bescheidenem Look daherkommt, darf als sicher gelten, dass an Oliver Samwer nichts bescheiden ist – vor allem nicht der Anspruch an das, was noch folgen soll.
Joel Kaczmarek ist Herausgeber des Onlinemagazins Gründerszene. Ende August erschien sein Buch „Die Paten des Internets“, die erste Biografie über die Samwer-Brüder, im Finanzbuchverlag.
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