- Zwischen Kehrwoche und Häusle bauen
Seine Rundreise durch deutsche Regionalküchen führt unseren Genusskolumnisten diesmal nach Schwaben. Um die schwäbische Seele zu verstehen, muss man unbedingt Linsen mit Spätzle gegessen haben, hat er gelernt. Und schmecken tut das auch.
Es gibt wohl kaum einen deutschen Volksstamm, über den so viele Vorurteile und Stereotypen verbreitet sind wie über die Schwaben. Fleißig sollen sie sein, sparsam bis zum Geiz. Ihre Lebensinhalte sind die Kehrwoche und Häusle bauen. Ihre Ernährung besteht fast ausschließlich aus Maultaschen beziehungsweise Linsen mit Spätzle und dazu wird immer Trollinger getrunken. Hinzu kommt die schräge Sprache.
Ein Exilschwabe rechnet ab
Doch solche Stereotypen enthalten oft ein Körnchen Wahrheit, manchmal auch viele Körner. Als Kronzeuge dafür bietet sich Horst Hummel an, ein Exilschwabe, der in Ungarn ein Weingut betreibt und ansonsten in Berlin lebt. In einem lesenswerten Essay skizziert er die historisch gewachsene Sehnsucht der einst bettelarmen Schwaben, „nicht erkannt zu werden als das, wer und was sie in Wirklichkeit sind und sich selbst nicht als das zu erkennen“. Deswegen werde in der schwäbischen Küche „alles zusammengeschüttet und zusammengerührt. Hauptsache der Teller ist voll, egal womit, Hauptsache es schwimmt. [...] Die Schwaben trennen nicht das Essen, sondern den Müll. Nur was verbraucht ist und entwertet, darf sein, was es ist. Alles andere muss verborgen bleiben. Im Verborgenen ist er geborgen, der Schwabe. Deshalb haben die Schwaben auch die Maultaschen erfunden.“
Nur „ein dampfender Haufen mit brauner Soße“?
Ähnlich sei das mit Linsen und Spätzle. Die seien nicht etwa deshalb „das Leibgericht der Schwaben, weil die in den Spätzle enthaltenen Kohlehydrate und die in den Linsen enthaltenen Proteine und Vitamine die Tag und Nacht arbeitenden Schwaben auf die wirksamste Weise sättigen und nähren, oder gar, weil sie Linsen und Spätzle einfach mögen, sondern weil sie die Linsen über die Spätzle schütten können, anschließend alles umrühren und nichts mehr erkennbar ist als das, was es ist und was es einmal war. Was bleibt ist ein dampfender Haufen mit brauner Soße. Dort wird die tiefste Angst des Schwaben geheilt“.
Ein Schwabe darf so was sagen, ein Berliner natürlich nicht. Allerdings habe auch ich skurrile Erlebnisse bei meinen diversen Aufenthalten im Ländle gehabt, alleine der Irrsinn mit dem Trollinger ist eigene Geschichten wert. Aber das Essen war stets tadellos. Und auch die von Hummel so böse geschmähten Linsen mit Spätzle sind ein Genuss, wenn man es richtig macht. Und das ist denkbar einfach.
Getrocknete Spätzle sind verboten!
Natürlich sollten dafür die Spätzle frisch zubereitet werden. Trockenware ist verboten! Dazu braucht man lediglich Mehl, Eier, Salz und Wasser und verrührt das zu einem glatten Teig, den man zugedeckt noch ein wenig ruhen lässt. Bevor sie dann in kochendem Salzwasser zur Vollendung gebracht werden, muss man sich für eine der vier von der Geschmackspolizei zugelassenen Teigzerkleinerungstechniken entscheiden: hobeln, schaben, drücken oder pressen. Am besten portionsweise und mit etwas Butter vermengt im Ofen warmstellen, damit sie nicht klumpen.
Finger weg vom Trollinger
Wenn wir die für dieses Gericht üblichen Braunen Tellerlinsen verwenden, entfällt die Einweichzeit. Auch hier ist die Zubereitung recht einfach. Ein Suppengrün und eine Zwiebel putzen und fein würfeln. Butter in einem Topf schmelzen, Mehl mit einem Schneebesen einrühren und aufwallen lassen, bis die Mischung leicht gebräunt ist. Dann Gemüse und Tellerlinsen zugeben und glasig dünsten. Etwas Tomatenmark, Majoran und Lorbeerblatt unterrühren und mit Brühe auffüllen. Offen 30 bis 35 Minuten köcheln lassen, dabei Brühe nachfüllen, wenn es nötig ist. Erst am Schluss etwas salzen und pfeffern und etwas Balsamessig einrühren. Und wie die zu diesem Gericht gehörenden Wiener Würstchen, die man im Schwabenländle Saitenwürstchen nennt, erhitzt werden, braucht an dieser Stelle wohl nicht erläutert zu werden. Man muss wirklich kein Schwabe sein, um dieses Gericht zu mögen. Aber auf den dazu in der Region stets gereichten Trollinger sollte man vielleicht doch besser verzichten. Denn dieses weinähnliche Getränk gilt außerhalb des Ländles als nicht verkehrsfähig, und das nicht ohne Grund.
Linsen mit Spätzle
Zutaten für vier Personen
Für die Linsen
200 g braune Tellerlinsen
1 Suppengrün
1 Zwiebel
30 g Butter
10–15 g Mehl
1 l Gemüsebrühe
Tomatenmark
Balsamessig
Majoran, Lorbeerblatt, Salz, Pfeffer
Für die Spätzle
400 g Mehl
4 Eier
Salz
Wasser
Pro Person 1 Paar Saitenwürstchen
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Werter Herr RAINER BALCEROWIAK
Trollinger zu Linsen und Spätzle ? Hmmh, vielleicht machen das manche. Aber Kenner doch eher nicht. Wie wäre es wenn Sie zum schwäbischen Nationalgericht mal einen guten Lemberger auftischen ?
Beste Grüsse
Ich denke das ist kein Alleinstellungsmerkmal der Schwaben, sondern das thun eher alle Theutschen.
Ich habe das Essay von Horst Hummel gelesen: sehr amüsant!
Bekanntlich bin ich ein Rheinländer, den es nach Nordbaden verschlagen hat.
Ich lebe ziemlich im Osten, die schwäbisch-badische Frontlinie ist nur etwa 25 km entfernt!
In der Tat gibt es erhebliche Unterschiede, was man auch als ewig Fremder ("Sie san awer net von do, odr?" erkennt.
Im Laufe der Zeit entwickelten sich jedoch etliche sehr gute Freundschaften - insbesondere mit Schwäbinnen (ungendernd); die Grenze ist offen!
Selbst gemachte Maultaschen sind etwas sehr feines!
Aber für ein Linsengericht bringt man mich nicht annen Herd - egal ob schwäbisch oder curry-indisch!
Spätzle mit Kraut ist jedoch mMn etwas Tolles - leider bekomme ich von Kohl jedweder Art Probleme mit dem Magen, Darm.
Ich hatte das erstmals damals beim Weihnachtsmerkt in HD (Baden) gegessen - super!
Saitenwürstchen?
Lieber ne derbe Bratwurst!
und Bier!
Linsen mit Spätzle und Saiten (viel besser als Wiener). Zwiebelrostbraten mit Spätzle, geschmälzte Maultaschen und Gaisburger Marsch. Und zum Nachtisch ein Stück Träubleskuchen.
Als bekennender Liebhaber von Linsen mit Spätzle muss ich wegen der Abneigung des Autors gegen Trollinger widersprechen. Rote haben es in BW generell schwer. Aber in einem Besen (Hochdeutsch: Straußenwirtschaft) kommt der Trollinger seiner Aufgabe als Zungenlöser bei schwierigen politischen Themen problemlos nach.
Als aus Franken ins Schwäbische Zugereister (mit schwäbischer Frau und Verwandtschaft) möchte ich eine kleine Kritik anbringen. In die Linsen MUSS ein dicke Scheibe „gerauchter Bauch“ sonst gibts keinen wumms! Und jetzt zum Trollinger: es ist wohl ein Alltagswein ohne Anspruch auf internationale Auszeichnungen. Solchen Wein gibt es wohl in allen Weinbauregionen der Welt. Diesen Pauschal abzuwerten finde ich irgendwie fies und gemein. Ansonsten liebe ich diese Kolumne und ist auch DER Grund für mein Abo.