- Der Preis der Arbeit
Skandale um Leiharbeit, Werkverträge in der Grauzone, Boom bei Minijobs – in der derzeitigen Arbeitswelt wird reguläre Beschäftigung zunehmend verdrängt. Muss der Arbeitsmarkt neu geordnet werden?
Die Arbeitslosigkeit in Deutschland liegt auf einem historisch niedrigen Niveau – auf den ersten Blick ein erfreulicher Befund. Doch betrachtet man den Arbeitsmarkt genauer, zeichnen sich Entwicklungen ab, die für Experten Anlass zur Sorge sind: Reguläre Beschäftigungsverhältnisse werden immer stärker verdrängt. Zeitverträge, Werkverträge und Minijobs sichern den Unternehmen aus deren Sicht jene Flexibilität, die sie brauchen, um sich Konjunkturschwankungen anzupassen und sich im – auch internationalen – Wettbewerb zu behaupten. Für die betroffenen Arbeitnehmer aber sind damit soziale Unsicherheit und häufig prekäre Einkommensverhältnisse verbunden.
LEIHARBEIT
Leih- oder Zeitarbeit ist mittlerweile eine feste Größe auf dem
Arbeitsmarkt. Sie ist charakterisiert durch eine Dreiecksbeziehung
zwischen Verleiher, Arbeitnehmer und einem Entleiher. Die
Konsequenz: Arbeitsvertrag und Beschäftigungsverhältnisse sind
getrennt. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) waren Ende Juni 2012
in Deutschland 908 000 Leiharbeitnehmer in 18 500 Verleihbetrieben
beschäftigt. Fast 50 Prozent der Leiharbeiter waren in der
Produktion, Fertigung oder in der Rohstoffgewinnung beschäftigt.
Leiharbeit wird vor allem von Männern ausgeübt, der Frauenanteil
liegt bei 29 Prozent. Mehr als drei von fünf Leiharbeitern hatten
zuvor keine Beschäftigung, bei 47 Prozent lag die letzte
Beschäftigung maximal ein Jahr zurück.
Im Vergleich zu Ende 2009, als die Wirtschaftskrise zu Ende ging,
ist die Zeitarbeit um die Hälfte gewachsen. Die Firmen nutzen laut
BA diese Beschäftigungsform, um in frühen Phasen eines Aufschwungs
ihr Personal aufzustocken sowie Auftragsspitzen und
Personalengpässe abzudecken. Allerdings werden viele Leiharbeiter
schlechter bezahlt als ihre fest angestellten Kollegen, die Jobs
sind zudem eher kurzlebig. Jedes zweite Beschäftigungsverhältnis
war nach weniger als drei Monaten beendet. Da Zeitarbeit eine
flexible Beschäftigungsform ist, weist sie hohe Fluktuationen aus
und birgt für Arbeitnehmer ein vier Mal höheres Risiko als in der
Gesamtwirtschaft, den Arbeitsplatz zu verlieren.
Laut BA können Arbeitslose mit der Zeitarbeit einen Weg zurück in den Job finden. Ob der Sprung von der Zeitarbeit in ein festes Arbeitsverhältnis gelingt, ist sehr zweifelhaft: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Sozialforschung (IAB) beziffert die Chance, übernommen zu werden, auf nur sieben Prozent. Gewerkschaften kritisieren seit Jahren den Missbrauch von Zeitarbeit, da es keine Anreize für Unternehmen gibt, die Arbeitnehmer unbefristet einzustellen.
Insgesamt verdienen drei von hundert Beschäftigten ihr Geld als Zeitarbeiter. Die Gewerkschaften kritisierten die Zunahme der Leiharbeit wegen des niedrigeren Lohnniveaus. Seit vergangenem Jahr gibt es nun einen Mindestlohn. Die Untergrenze liegt seit November 2012 in Westdeutschland bei 8,19 Euro, in Ostdeutschland bei 7,50 Euro. „Verwerfungen“ und eine „Diskreditierung der Zeitarbeitsbranche“ werde mit Mindestlöhnen in der Zeitarbeit verhindert, sagt die Bundesvereinigung der Deutsche Arbeitgeberverbände (BDA).
Seite 2: Immer mehr Firmen nutzen Werkverträge
WERKVERTRÄGE
Doch inzwischen nutzen Firmen immer mehr Werkverträge für
Mitarbeiter, die nachts Ladenregale auffüllen, die in
Schlachtbetrieben arbeiten oder als Ingenieure in den Forschungs-
und Entwicklungsabteilungen von Automobilunternehmen. Das Prinzip
läuft nach dem gleichen Muster: Supermarktketten zum Beispiel
lagern Tätigkeiten an Dienstleister aus. Diese Firmen heißen
Combera Handels GmbH oder Warehouse Packing Reinforcement, die im
Arbeitgeberverband Instore und Logistic Services organisiert sind.
Der hat wiederum mit der Gewerkschaft DHV günstige Tarifverträge
von unter sieben Euro ausgehandelt. Der Arbeitnehmer hat mit dem
Dienstleister einen Werkvertrag zu häufig geringeren Stundenlöhnen
abgeschlossen. Firmen nutzen die Werkverträge nur, um die Löhne zu
drücken. Nach Ansicht der Gewerkschaft bestehen sie häufig nur zum
Schein. Mitarbeiter der Dienstleister dürften eigentlich nicht mit
Festangestellten gemeinsam Tätigkeiten ausüben, was in der Praxis
aber häufig gar nicht zu trennen ist. Die Handelsunternehmen dürfen
den Mitarbeitern mit Werkverträgen auch keine Anweisungen erteilen.
Und Betriebsräte haben auch kein Mitspracherecht bei Werkverträgen.
Wie viele Werkverträge existieren, ist nicht bekannt. Die
Dunkelziffer ist groß, statistische Zahlen fehlen völlig.
Werkverträge werden im Unternehmen nämlich unter Sachkosten
geführt, während Zeitarbeitsunternehmen ihre Mitarbeiter an die
Bundesagentur für Arbeit melden müssen. Die Linkspartei fand im
Ausschuss für Arbeit und Soziales Anfang Januar keine Mehrheit,
eine gesetzliche Meldepflicht für Werkverträge, Leiharbeiter oder
Honorarverträge einzuführen. Die Koalition lehnte es ab, Grüne und
SPD enthielten sich.
Eine Umfrage der IG Metall im Februar 2011 kam zu dem Ergebnis, dass in rund einem Drittel der 5000 befragten Unternehmen Werkverträge eingesetzt wurden – für Leistungen, die von den Stammbeschäftigten ausgeführt werden konnten. Sehr hoch ist auch der Einsatz von Werkverträgen im Forschungs- und Entwicklungsbereich: Bei einer Anhörung im Bundestag im April 2012 sagte der Betriebsratsvorsitzende der Daimler AG, Jörg Spies, dass neben 2300 Mitarbeitern im Ingenieurbereich rund 800 Mitarbeiter mit Werkverträgen hinzukämen. Die IG Metall schätzt, dass bei Automobilfirmen zwischen 40 und 60 Prozent der Arbeitsleistung im Forschungs- und Entwicklungsbereich fremdvergeben werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte kürzlich nach einem Treffen mit dem DGB-Vorstand Michael Sommer, man wolle in Zukunft „ein Auge drauf haben“, weil immer öfter Werkverträge tarifliche Abmachungen umgingen. Am 11. März lädt Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zu einem Symposium zu dem Thema ein. Dann sollen auch Vorschläge gemacht werden, wie Missbrauch verhindert werden kann.
Seite 3: Jeder fünfte Job ist mittlerweile ein Minijob
Die SPD will in dieser Woche einen Antrag in den Bundestag einbringen, um Lohndumping bei Werkverträgen und Leiharbeit zu verhindern. Die SPD will mit sieben Kriterien, von denen zwei erfüllt sein müssen, eine „Vermutungsregelung“ zugunsten der Leiharbeit einführen. Ein solches Kriterium sei etwa gegeben, wenn die Tätigkeit des Arbeitnehmers im Vertrag detailliert beschrieben sei, heißt es in dem Antrag, der dem Tagesspiegel vorliegt. „Greift die Vermutungsregelung, ist es Sache der beteiligten Unternehmen, das Gegenteil zu beweisen. Können sie das nicht, liegt Arbeitsvermittlung vor mit der Folge, dass das Unternehmen, das den Leih- oder Werkvertragsarbeiter angefordert hat, diesen regulär übernehmen muss“, sagte Anette Kramme, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, dem Tagesspiegel.
Erstmals sollen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates auch für Fremdpersonal gelten.
MINIJOBS
Jeder fünfte Job ist mittlerweile ein Minijob auf Basis von 450
Euro pro Monat. Laut Bundesagentur für Arbeit waren im Juni 2012
rund 7,41 Millionen Menschen geringfügig beschäftigt. Im
Unterschied zur Leiharbeit liegt der Frauenanteil bei fast zwei
Dritteln. Gerhard Bosch vom Institut Arbeit und Qualifikation an
der Universität Duisburg-Essen hat in einer Expertise festgestellt,
dass die Minijobs keine Brücke in eine
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bilden. Im Gegenteil:
Durch geringe Löhne, die nicht existenzsichernd sind, seien die
Ausgaben für die Aufstocker enorm gestiegen: Allein zwischen 2007
und 2010 wuchsen sie von 9,6 auf 11,4 Milliarden Euro. Die Probleme
aus geringen Löhnen würden in die Zukunft verlagert, weil sie nicht
ausreichen für eine angemessene Alterssicherung. „Der Steuerzahler
wird die geringen Renten aufstocken müssen“, sagt Bosch. Die
„Dimensionen dieses Problems“ seien noch gar nicht absehbar.
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