- Kommt nach der Niederlage die Staatspleite?
Dass amerikanische Hedgefonds von der drohenden Staatspleite Argentiniens profitieren, ist ärgerlich, aber wohl nicht zu verhindern. Umso notwendiger sind einheitliche Umschuldungsregelungen und die Entwicklung eines Insolvenzrechts für Staaten
Stellen Sie sich vor, Sie leihen sich von 100 Freunden jeweils 100 Euro und vereinbaren mit ihnen, dass diese das Geld in zehn Jahren von Ihnen zurückbekommen. Nach drei Jahren stellen Sie fest, dass Sie von den 10.000 Euro bei Fälligkeit maximal 3000 Euro zurückbezahlen werden können. Wir lassen der Einfachheit halber mal Zinszahlungen außen vor. Sie teilen das Ihren Freunden mit. Begeistert ist ob des Verlusts von 70 Prozent seines Geldes keiner, aber eine große Mehrheit, sagen wir 93, nehmen lieber die 30 Euro, als das Risiko eines Totalverlusts einzugehen. Die sieben anderen verkaufen ihre Forderungen, die sie im Wert von 100 Euro gegen Sie haben, für jeweils 35 Euro an einen Hedgefonds. Dieser verklagt Sie auf Rückzahlung in voller Höhe des Nennwerts, also 700 Euro, und bekommt nach langjährigen Prozessen in letzter Instanz vor dem höchsten Gericht des Landes Recht. Weitere Umstände führen dazu, dass Sie infolgedessen Privatinsolvenz anmelden müssen.
Finden Sie unwahrscheinlich? Abgesehen von einigen Vereinfachungen plus der Niederlage im WM-Finale, läuft dieses Szenario gerade in Argentinien ab. Das südamerikanische Land wurde nämlich kürzlich in den USA dazu verurteilt, an zwei Hedgefonds einen Betrag von 1,5 Milliarden US-Dollar zu zahlen. Diese hatten nach der argentinischen Staatspleite 2001 Staatsanleihen zu einem Bruchteil des Nennwerts von Investoren gekauft, die sich den zwischenzeitlich ausgehandelten Schuldenschnitten verweigert hatten. Die vom Gericht gesetzte Zahlungsfrist endet am 30. Juli. Zahlt das Land nicht, ist es zum zweiten Mal seit 2001 offiziell pleite.
Argentinien steckt in einer echten Zwickmühle
Es wird aber noch komplizierter – und Argentinien befindet sich dabei in einer echten Zwickmühle. Zahlt es nämlich den Betrag an die beiden Hedgefonds, wozu es dank Barreserven von 28 Milliarden Dollar in der Lage wäre, könnten alle anderen Gläubiger, auch die, die auf den Großteil ihrer Forderung verzichtet haben, eine Rückzahlung ihres Geldes in voller Höhe verlangen, weil sie dann nicht mehr an ihre Verzichtserklärung gebunden sind. Dann schuldete Argentinien seinen Gläubigern aber plötzlich wieder eine dreistellige Milliardensumme, was die Barreserven um ein Vielfaches übersteigen würde. Auch in diesem Szenario wäre der Staatsbankrott also besiegelt.
Weigert sich Argentinien, das Geld an die Hedgefonds zu bezahlen, weil es sich nicht an das US-Urteil gebunden fühlt, geht das Land ebenfalls pleite, weil die Rück- und Zinszahlungen an die übrigen Gläubiger über amerikanische Banken laufen. Denen würde wiederum das Gericht entsprechende Auszahlungen verbieten, solange Argentinien keine Einigung mit den Hedgefonds erzielt hat. Es ist logistisch, technisch und rechtlich außerdem so gut wie unmöglich, die Abwicklung dieser Zahlungen in der Kürze der Zeit über Banken außerhalb der USA abzuwickeln.
Ein möglicher Kompromiss sieht so aus: Die Hedgefonds akzeptieren neue Staatsanleihen Argentiniens als Zahlungsmittel, die aber erst 2015 ausgegeben werden. Dieser juristische Kniff würde verhindern, dass die übrigen Gläubiger ihren Verzicht widerrufen können, weil dies nach einer beim Schuldenschnitt vereinbarten Klausel nur bis zum 31. Dezember 2014 möglich ist.
„Aasgeier“-Fonds
Der Staatsbankrott wäre abgewendet, die Altgläubiger wären die Dummen und die Hedgefonds gingen mit einer gigantischen Rendite nach Hause. Für die Zukunft kann das nicht der richtige Weg sein. Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner macht es sich aber zu einfach, wenn sie jetzt die Schuld einzig und allein bei den Hedgefonds sucht, die sie in der Öffentlichkeit konsequent als „Aasgeier“-Fonds bezeichnet. Die Metapher ist schon deswegen unglücklich gewählt, weil die Präsidentin damit, wahrscheinlich unfreiwillig, einräumt, dass ihr Land schon tot war, bevor sich die Fonds über Argentinien hermachten. Die katastrophale wirtschaftliche Lage des Landes haben Kirchner und die korrupten Eliten des Landes aber schon in erster Linie selbst zu verantworten. Nur die Deviseneinnahmen aus Rohstoffexporten, die Notenpresse der Zentralbank und Erträge des organisierten Verbrechens halten das argentinische System mehr schlecht als recht am Laufen.
Obwohl Argentinien nicht unverschuldet knapp vorm nächsten Staatsbankrott steht, lassen sich aus seiner Situation Schlüsse für den Umgang mit überschuldeten Staaten ziehen. Wer verhindern will, dass in Zukunft souveräne Staaten in finanziellen Schwierigkeiten von einer kleinen Minderheit von Investoren erpresst werden können, muss sich für weltweit einheitliche Umschuldungsklauseln bei Staatsanleihen einsetzen. In Griechenland hat Europa mit solchen „Collective Action Clauses“ ganz gute Erfahrungen gemacht. Danach können sich einzelne Gläubiger einem Schuldenschnitt nicht verweigern, wenn eine qualifizierte Mehrheit der Investoren auf einen Teil ihres Geldes verzichtet hat. Die Kunst wird am Ende darin bestehen, Regelungen zu formulieren, die es einem Staat weder zu einfach noch zu schwierig macht, sich von seinen Schulden zu befreien.
Ausnahmen zugunsten der hochspekulativ agierenden Hedgefonds gäbe es dann nicht mehr. Die fiskalische Disziplin müssten die Staaten schon deswegen einhalten, damit sie sich auch in Zukunft an den Finanzmärkten Geld leihen können. Eine globalisierte Welt, in der es nur die Alternative zwischen Bankrott oder vollständiger Begleichung der eigenen Schulden gibt, kann aber auch nicht funktionieren. Es ist genauso wie unter Freunden: Wenn es einem schlecht geht, muss man helfen, vernünftige Kompromisse finden, damit beim Geld die Freundschaft eben nicht aufhört.
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