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Schweine fürchten das neue Virus wie die Pest / dpa

Afrikanische Schweinepest - Eine Chance für das „Schweinesystem“

Jetzt ist die Afrikanische Schweinepest auch in Deutschland angekommen. Eine weitere Verbreitung könnte die Fleischbranche erheblich ins Wanken bringen. Doch das eröffnet auch Chancen für eine Neuorientierung der Landwirtschaft.

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Das bange Warten hat ein Ende. Am Donnerstag bestätigte das für Tierseuchen zuständige Friedrich-Loeffler-Institut, dass ein im Spree-Neiße-Kreis (Brandenburg) unweit der polnischen Grenze gefundener Wildschweinkadaver der Afrikanischen Schweinepest (ASP) zum Opfer gefallen ist. Wirklich überrascht vom ersten deutschen ASP-Fall war niemand.

Seit Jahren hatte sich das Virus in großen Teilen Osteuropas ausgebreitet und unaufhaltsam den deutschen Grenzen genähert, sogar deutlich langsamer als ursprünglich befürchtet. Und niemand konnte ernsthaft glauben, dass Schutzmaßnahmen wie die Errichtung von elektrischen Grenzzäunen und die drastische Erhöhung der Abschussquoten für Wildschweine das Übergreifen nach Deutschland effektiv verhindern könnten.

ASP ist also angekommen und wird auch nicht so schnell wieder verschwinden. Das ist aber auch schon die einzige Parallele zur Corona-Pandemie. Denn für Menschen ist das Virus absolut ungefährlich. Das gilt sogar für den Verzehr ASP-belasteter Schweinefleischprodukte.

Alarmstufe Rot für die Branche

Doch für die deutsche Fleischindustrie bedeutet ASP Alarmstufe Rot. Auch wenn die meist tödlich verlaufende Krankheit bislang bei nur einem Wildschwein festgestellt wurde, gelten dann in einem Sperrbezirk rund um die Fundstelle sofort umfangreiche Restriktionen auch für Schweinemäster – zum Beispiel Regeln, die den Transport betreffen. Übertrieben ist das keineswegs, denn die Übertragungswege sind vielfältig und nicht lückenlos zu kontrollieren. Wichtige Abnehmerländer, wie etwa Südkorea, haben sofort die Reißleine gezogen und den Import von Schweinefleisch aus Deutschland gestoppt.

Wenn die Seuche in weiteren Regionen auftaucht – womit zu rechnen ist – könnte die ganze Just-in-Time-Produktionskette der Schweineindustrie von der Ferkelaufzucht über die Mäster bis zu den Schlacht- und Zerlegebetrieben schnell ins Wanken kommen. Wenn dann auch noch Übertragungen auf Hausschweine stattfänden – womit ebenfalls zu rechnen ist – wäre endgültig Land unter für die Branche. Ein infiziertes Tier würde unweigerlich die Tötung aller Tiere des jeweiligen Bestandes nach sich ziehen, und spätestens dann würde der Export endgültig komplett zusammenbrechen.

Erbarmungsloser Preiskampf 

Aber sollte man den möglichen Crash dieser Branche nicht vielmehr als Chance sehen, die absurden Wucherungen der industriellen Billigfleischproduktion nachhaltig zu überwinden? Ja, das sollte man. 5,2 Millionen Tonnen Schweinefleisch wurden 2019 in Deutschland produziert, dafür wurden 55 Millionen Schweine geschlachtet. 2,4 Millionen Tonnen gingen in den Export, davon fast ein Viertel in Nicht-EU-Staaten.

Nicht nur beim Export, sondern auch auf dem Binnenmarkt herrscht ein erbarmungsloser Preiskampf. Dennoch generieren die großen Konzerne der Branche Milliardengewinne. Den Preis dafür zahlen andere. Industrielle Schweinemast in dieser Größenordnung ist die Hauptursache für die viel zu hohe Nitratbelastung der Böden, die auch die Trinkwasserversorgung in einigen Regionen vor erhebliche Probleme stellt. Längst steht Deutschland dafür in der EU am Pranger. Völlig zu Recht. 

Der Crash des „Schweinesystems“

Die von einigen Großbetrieben dominierte Schweineverarbeitung ist wiederum eines der hässlichsten Gesichter der deutschen Arbeitswelt, wovon die seit einigen Monaten auch im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit registrierten katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen der im Tönnies-Konzern eingesetzten osteuropäischen Vertragsarbeiter zeugen. Auch für diese Erkenntnis bedurfte es offenbar einer Pandemie, in Form der schnellen Verbreitung des Corona-Virus in Fabriken und Unterkünften.

Falls eine Ausbreitung von ASP und die dann einsetzende Kettenreaktion bis hin zu Exportverboten zu einem Crash des deutschen „Schweinesystems“ in seiner bisherigen Form führen sollten, wäre dies – trotz kurz- und mittelfristiger ökonomischer Verwerfungen – kein Unglück. Im Gegenteil: Er könnte ein wichtiger Ausgangspunkt für eine umfassende Neuausrichtung der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft sein. Ökologischer, sozialer, binnenmarktorientiert, qualitätsorientiert und auf die umfassende Entwicklung der ländlichen Räume ausgerichtet.

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helmut armbruster | Fr., 11. September 2020 - 09:12

weil er die Chance zu einem Neustart eines besseren Systems bieten würde.
Und wir brauchen ein besseres System.
Ein System das den Tieren eine artgerechte Haltung und eine schmerzlose und stressfreie Schlachtung garantiert.
Dies ist die Minimalverpflichtung, die wir gegenüber Tieren haben. Sie zu respektieren und einzuhalten sollte eigentlich nicht so schwer sein.

"Ein System das den Tieren eine artgerechte Haltung und eine schmerzlose und stressfreie Schlachtung garantiert."

Wer wollte dem widerprechen? Aber was noch mal hat das genau mit der Schweinepest zu tun? Wildschweine leben nach meinen Informationen weitgehend artgerecht. Irgendwie ein Artikel nach dem Motto: "nehmen wir das mal eben als Aufhänger". Ich will ja einen solchen Zusammenhang nicht bestreiten, dazu bin ich nicht kompetent genug, aber ist eine Erörterung tatsächlich zu viel verlangt?

Das Schweinefleisch ist doch nur eins von vielen ....., egal ob Rind, Huhn, Schwein, Butter, Wasser, Mais oder anderes.
Es geht nicht ums Wohl der Menschen im Einklang der Natur.
Erinnert mich an das Thema "Umwelt, Jugend & ihre Verwendung der Resourcen.
Ja, Anklagen, dass ist heutzutage IN. Aber nur nicht auf dem eigenen Grundstück oder an der eigenen Nase rütteln. Nur der schwarze Peter ist Schuld.
Und um so "größer" die menschliche Erscheinung, um so größer .....
Und das allerschlimmste wird sein:
Der schwächste in der Kette wird die "Zeche" bezahlen.
Nicht die, die große Töne schwingen.

... das die breite Masse der Menschen vielleicht kein Geld hat? Wer denkt an die Armutsrentner, die H4-Bezieher, die Aufstocker, die Niedriglöhner? Alle Kosten steigen, auch Lebensmittelpreise. Es ist zu einfach, dem Verbraucher allein den schwarzen Peter zuzuschieben. Das ist aber nur die eine Seite der Münze. - Wir für unseren Teil leben fast vegan, aus ethischen Gründen. Aber Ethik und Moral kennt man nur bei anderen Themen.... Millionen von Tieren erleben in Deutschland nur Leid, von der Geburt bis zur Schlachtung. Und keinen interessiert es... Bestie Mensch.

Christa Wallau | Fr., 11. September 2020 - 09:32

Natürlich wäre vernünftiger und vor allem gesünder, wenn die Fleischproduktion reduziert und das Fleisch hochwertiger würde.
Das wird sich aber deshalb nicht durchsetzen lassen, weil viel zu viele Menschen dann auf ihren gewohnten Konsum verzichten müßten. Außerdem hängen jede Menge Niedriglöhner an den Arbeitsplätzen der Fleischindustrie.
Es dürfte sich noch verstärken, daß wir - wie jetzt bereits - einen zweigeteilten Markt- u. Konsumbereich haben: den für die Wohlhabenden und den für die große Masse der Anderen.
Angesichts der hohen und noch stetig wachsenden Zahl von Unterstützungsempfängern in Deutschland, die ein Billig-Niveau gewöhnt sind und auf ihre Rechte pochen, können wir uns eine allgemeine gesunde Lebensmittelproduktion abschminken.

Wolfgang Tröbner | Fr., 11. September 2020 - 09:34

"Und niemand konnte ernsthaft glauben, dass Schutzmaßnahmen wie die Errichtung von elektrischen Grenzzäunen ... das Übergreifen nach Deutschland effektiv verhindern könnten." Bringen Sie das nicht was durcheinander? Deutschland hat - im Gegensatz zu Dänemark- eben keine Grenzzäune gebaut. Obwohl man wusste, dass die ASP in Polen grassiert, hat man hier nichts gemacht. Erst jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, übt man sich in Aktionismus. Typisch für dieses Land, in dem man noch nicht einmal in der Lage ist, einen bundesweiten Warn-Tag zu organisieren. Stimmt mein Eindruck, dass Sie sich darüber freuen? Aus meiner Sicht besteht allerdings kein Grund zur Freude. Wenn die Landwirtschaft inklusive Viehzucht hierzulande den Bach runter geht, möchte zumindest ich nicht mit Lebensmitteln aus China beliefert werden.

Ellen Wolff | Fr., 11. September 2020 - 10:27

wenn Ihre Wünsche in Erfüllung gingen, es sind auch meine.

Yvonne Walden | Fr., 11. September 2020 - 13:55

Antwort auf von Ellen Wolff

Der Fluch der bösen Tat - er kommt jetzt auch über die deutsche industrielle Tierhaltung und die deutschen Tierhalter.
Glaube doch niemand, Deutschland sei Vorreiter in Sachen Tierschutz. Das wird uns Verbraucherinnen und Verbrauchern suggeriert, ist aber eine Falschinformation. Wie gut, daß immer wieder alle Untaten und Verfehlungen ans Licht kommen....

Frau Walden, in diesen Teich gibt es aber auch kleine & nicht gerade kleine Landwirtschaftsbetriebe, wo man vertrauen haben kann & die durch ihre Leidenschaft zeigen, dass es auch anders geht.
Bei denen läuft aber alles öffentlich ab.
Die ganz großen haben weitläufige Umzäunungen, wo nichts nach außen dringt. Dort im Dunkeln wäre Licht angebracht.

Juliana Keppelen | Fr., 11. September 2020 - 12:00

das haben Lobbyisten im Verbund mit den jeweiligen Landwirtschaftsministern stets erfolgreich verhindert. Ich glaube nicht an eine Veränderung. Nach Wochen ist das Thema durch und es wird wie immer sein. Gut aber wie sagt man die Hoffnung stirbt zuletzt.

Bernd Muhlack | Fr., 11. September 2020 - 15:43

Jeden Mittwoch ist der neue Kauflandprospekt im Briefkasten.

Hammerpreise - Steuer runter und dazu Rabatt -
usw. usf.

Dann die "Fleischangebote" und ein Konterfei eines angeblichen Metzgers in einem grün-weiß-gestreiften Hemd/Leibchen.
Text:
"Aus Liebe zum Tier!"

Rewe, Edeka, Lidl, Aldi, penny, netto, norma etc versenden ebenfalls Prospekte.

Allüberall BILLIG bis zum geht nicht mehr ...

Manfred Bühring | Fr., 11. September 2020 - 17:27

... mein Kommentar? Fehlt der Redaktion von Cicero der nötige Humor, denn ich fand meine Anmerkungen durchaus humorvoll. Und es muss doch nicht alles immer bierernst genommen werden, gerade in diesen schrecklichen Corona-Pandemie-Zeiten.
Also bitte ...

Michael Andreas | Fr., 11. September 2020 - 23:29

wenn das Billigfleischsystem wegen der Schweinepest zusammenbräche, aber wieso sollte es das nachhaltig.

Eine Umwälzung der gemeinschaftlich getragenenen Kosten der industriellen Fleischproduktion auf den Produktpreis wäre ehrlich und nachhaltig.

Werner Kistritz | Sa., 12. September 2020 - 20:23

Es braucht nur wenige Daten, um den Wahnsinn zu erkennen:
Fast die Hälfte des Schweinefleisches wird exportiert, die "Gier" des deutschen Verbrauchers nach Fleisch ist also nicht der Grund für Massentierhaltung, sondern die Gier der Agrarindustriellen nach Profiten.
Sämtliche Monokulturen sind ein idealer Nährboden für Schädlinge und Keime.
Was ändern am System? Dann gehen die Lichter aus und wir verhungern. Und die Arbeitsplätze!!!
Die Lichter sind aus - leider in den Köpfen der Menschen. Es heißt ja immer, die Natur hilft sich selbst. Vielleicht sind Schweinepest und Corona mal ein Anfang...