- Will Berlin die Spiele überhaupt?
Damit eine Bewerbung Aussicht auf Erfolg hat, müssen die Berliner in ihrer Gesamtheit die Olympischen Spiele wollen. Sonst könnte sich das Debakel von 1993 wiederholen. In Kooperation mit dem Tagesspiegel
Berlin will die Olympischen Spiele 2024 in die Stadt holen? Sagt der Regierende Bürgermeister. Bestätigt Raed Saleh, der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Findet Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke gut und bietet Partizipation seines Bundeslandes an. Und selbst der BUND, der Bund für Umwelt und Naturschutz, der eigentlich immer dagegen ist, wenn irgendwo eine Kröte aufgeschreckt werden könnte, hat nicht grundsätzlich etwas dagegen. Sein Geschäftsführer, Tilmann Heuser, fügt aber noch etwas sehr Bedenkenswertes an: Es müsse geklärt werden, ob die Berliner überhaupt Olympia wollen.
Bei Menschen mit einem funktionierenden Langzeitgedächtnis flackert es jetzt im Erinnerungsspeicher. Richtig, da war mal was. Am 23. September 1993 schmetterte das IOC bei seiner Sitzung in Monte Carlo eine Bewerbung Berlins um die Spiele 2000 mit dem zweitschlechtesten Ergebnis ab, Sydney bekam den Zuschlag. In Berlin aber knallten die Sektkorken, wurde ein Feuerwerk abgebrannt und die Menschen lagen sich freude- und auch sonst trunken in den Armen. Es war die Stunde der Olympiagegner.
Ein Auftreten wie Graf Koks kommt im Kiez nicht gut an
Das miese Abstimmungsresultat war nicht nur ein Erfolg der Anti-Olympier in der Stadt. Auch die Promoter hatten so ziemlich alles falsch gemacht, hatten gemeint, wichtiger als schöne Sportstätten und internationale Kontakte sei etwas ganz anderes: Vor allem müsse man die IOC-Mitglieder schmieren. Was, wie sich inzwischen als hinreichend gesichert herausgestellt hat, eine probate Methode ist, für Fußballweltmeisterschaften und Winter- oder Sommerspiele den Zuschlag zu bekommen. Aber so dreist wie die Berliner darf man es halt auch nicht machen, und die Sache mit den Geheimdossiers über die sexuellen Vorlieben der olympischen Entscheider war wohl auch nur so lange richtig dreckig-tricky, wie sie nicht ans Tageslicht kam. Ein Auftreten wie Graf Koks von der Gasanstalt kommt vielleicht im Kiez gut an, auf dem Feld der Diplomatie – und dahin gehört die Vergabe der Olympischen Spiele eben auch – gilt das nicht als stilbildend.
Da muss man vor allem hinhören, daran hat sich nichts geändert. Zum Beispiel, was die Bundesregierung zu einer Berliner Bewerbung sagt. In den neunziger Jahren, beim ersten Anlauf, hielt sie sich – der Kanzler hieß Helmut Kohl – sehr zurück. Auch diesmal ist über Begeisterungsausbrüche nichts bekannt. Die entsprechen zwar ohnedies nicht dem Naturell der Kanzlerin, aber immerhin ist ja Hamburg auch noch im Rennen. Das Nationale Olympische Komitee hat beiden Städten bis 31. August Zeit gegeben, Fragenkataloge zu beantworten.
Da böte es sich an, die Abstimmung mit den Hanseaten zu suchen. Vielleicht würden die gerne die Segelwettbewerbe übernehmen oder eine andere Form der Arbeitsteilung erwägen und gemeinsam mit Berlin ins Rennen gehen? Zwei sozialdemokratische Stadtoberhäupter kennen ja voneinander vielleicht sogar die Handynummern. Wie auch immer: Eine Bewerbung der Hauptstadt ohne den lauten und deutlichen Zuspruch der Bundesregierung, die die Aufgabe der Repräsentanz des Landes in der Stadt hat (Artikel 22 Grundgesetz), ist völlig sinnlos, weil ohne internationale Resonanz.
Die Stimmung in der Stadt wird entscheiden
Dann ist da noch die Stimmungslage im Internationalen Olympischen Komitee, soweit bisher überhaupt erkennbar. Hat in Berlin jemand registriert, dass IOC-Präsident Thomas Bach am Montag bei der Feierstunde zum 100. Geburtstag des Italienischen Olympischen Komitees in Rom, die dortigen Stadtväter ermuntert hat, sich um die Spiele 2024 zu bewerben – also jene, auf die auch Berlin scharf ist?
Und da bleibt am Ende, das eigentlich der Anfang ist, die Stimmung in der Stadt. Berlin ist nicht nur die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch die der Menschen, die Angst vor immer neuen und sie belastenden Veränderungen haben. Selbst wer finanziell wohlgepolstert lebt, darf darüber nicht hinwegschauen. Die Berliner in ihrer Gesamtheit müssen Olympische Spiele wollen.
In der Landesverfassung muss die Möglichkeit eines Votums der Bevölkerung geschaffen werden, auch wenn die offizielle Politik Angst vor allen plebiszitären Elementen hat. Und dann muss die Politik um Vertrauen werben – ein Vertrauen, das sie – siehe Abstimmungsergebnis Tempelhofer Feld – offensichtlich im Moment nicht mehr hat. Vielleicht hilft die Erinnerung an das Sommermärchen 2006 dabei. Das war zwar ein deutsches, aber eben ganz besonders ein Berliner Märchen.
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