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Roger Hagmann

Bodo Ramelow – das Porträt - Zahn um Zahn

Aus dem Archiv: Als Kind biss er zu. Als Lehrling biss er sich durch. Nun hat er es geschafft: Bodo Ramelow ist erster Ministerpräsident der Linkspartei. Wer ist dieser Mann?

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Merle Schmalenbach

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Einmal schnappte sich Bodo Ramelow im Dunkeln eine Hand und biss zu. Er war etwa acht Jahre alt. Es passierte in der Jugendherberge, andere Kinder wollten seinen Bruder mit Schuhcreme einschmieren. Bodo hörte ihn schreien, sprang vom Bett herunter und schlug die Zähne in das Erste, was er zu fassen kriegte. Der Betroffene zeigte ihm Jahre später den Handrücken. Der Abdruck der Zähne war noch zu sehen.

Bodo Ramelow, 58 Jahre alt, ist ein bissiger Typ geblieben. Aber er agiert keinesfalls blindwütig, eher wie ein Fuchs. Im Volksglauben gelten die Tiere als schlau, listig und etwas arrogant. All das sagt man auch dem Linken-Fraktions­chef im Thüringer Landtag nach.

Momentan stehen Ramelows Chancen gut: Die Thüringer Regierungsparteien SPD und CDU blamieren sich 


Zurzeit ist Ramelow in Lauerstellung. In diesem Herbst will er der erste Ministerpräsident seiner Partei werden. Es läuft gut für ihn: Die Thüringer Regierungsparteien CDU und SPD haben sich zuletzt mit Pannen und Blamagen überboten. In Karlsruhe hat Ramelow gegen den Verfassungsschutz gewonnen, der ihn nicht mehr bespitzeln darf. In Umfragen zur Landtagswahl am 14. September schwanken die Werte stark. Alles scheint möglich. Nur etwas ändert sich nicht: ­Ramelows Partei liegt vor der SPD.

Schon 2009 wäre eine rot-rot-grüne Mehrheit drin gewesen. Von den drei Parteien war Ramelows die stärkste. Doch die SPD wollte keinen Linken zum Regierungschef wählen, sondern lieber Christine Lieberknecht von der CDU.

Seitdem ist viel passiert. Die SPD braucht neue Bündnisoptionen, wenn sie sich 2017 aus der Großen Koalition im Bund befreien und endlich den Kanzler stellen will. Schritt für Schritt öffnet Sigmar Gabriel seine Partei nach links. Eine rot-rote Regierung in Thüringen wäre eine weitere Lockerungsübung. Christoph Matschie, der Thüringer SPD-Chef, schließt neuerdings nichts mehr aus. Heike Taubert, Sozialministerin und SPD-Spitzenkandidatin, auch nicht.

In Ramelow hätte die SPD einen pragmatischen Partner. Einen, der den DDR-Staatsapparat kritisiert. Ramelow geht in die Kirche, politische Positionen leitet er aus der christlichen Ethik ab. In der Linkspartei irritiert das viele. Aber Ramelow zieht sein Ding trotzdem durch. Das ist seine Mentalität. „Ich neige zum Querdenken, was mir schon mal als Querulantentum ausgelegt wird“, sagt er.

Das Ministerpräsidentenamt wäre ein Aufstieg für die Partei – und ein noch größerer für Ramelow. Geboren wird er 1956 in Niedersachsen. Seine Mutter stammt aus einer alten, protestantischen Familie, ein Vorfahr hat Goethe getauft. Schon, dass er das erwähnt, erzählt etwas. Das Geld ist knapp in der Familie. Ramelows Vater fällt als Ernährer aus. Aus dem Krieg hat er Gelbsucht mitgebracht, sein Lebensmittelladen ist bankrott. Um die Familie durchzubringen, arbeitet die Mutter nachts in einer Spülküche. Kuchenränder vom Bäcker sind etwas Besonderes.

Als Bodo acht Jahre alt ist, stirbt sein Vater in seinen Armen, kein Erwachsener ist anwesend, die Mutter muss arbeiten. Lange verdrängt er das.

In der Schule scheitert er. Seine Rechtschreibung ist eine Katastrophe. Weil die Lehrer nicht wissen, was Le­gasthenie ist, unterstellen sie ihm Faulheit. „Das hat mich verletzt“, sagt er. Die Mutter schlägt ihn aus Verzweiflung. Ramelow lernt, dass er ausdauernder sein muss als alle anderen. Mit 14 geht er in die Lehre, er soll Einzelhandelskaufmann werden, auch Feinkost ist Teil der Ausbildung in einem Kaufhaus in Gießen. Gummistiefel und Kittel sind ihm viel zu groß, er sieht albern aus. Aber er hält durch. Ein Kaninchen nimmt er in weniger als zehn Minuten aus. Ratsch, das Fell ab, zack, die Vorderbeine ab.

Ramelow vermarktet das Produkt Ramelow: er führt ein Internet-Tagebuch und lädt Fotos seines Hundes hoch


Zäh und unbequem ist er. Weil er die Arbeitsbedingungen der Lehrlinge verbessern will, riskiert er den Rausschmiss. Am Ende rettet ihn wohl nur, dass er der beste Lehrling Gießens ist. Er ist ein Verkäufer geworden, der sich mit Etiketten auskennt. Das ist immer noch so: Ramelow vermarktet das Produkt Ramelow. Er führt Tagebuch im Internet, lädt Fotos seines Jack-Russell-Terriers Attila hoch. Ob er auch ein Bundesland repräsentieren kann?

An einem trüben Donnerstag eilt er durch den Erfurter Landtag. Medienfunktionäre der chinesischen Provinz Jilin erwarten ihn, sie haben wichtige Mienen aufgesetzt. Sie sind nach Thüringen gekommen, um sich mit den Vertretern lokaler Fernsehsender zu treffen. Ramelow empfängt sie im Landtag. Für den Termin hat er extra seinen Linkspartei-Pin vom Jackett genommen und durch einen Thüringen-Stecker ersetzt. Auch chinesische Visitenkarten hat er dabei.

Er steht jetzt am Mikrofon im Foyer, neben ihm kichert der chinesische Dolmetscher etwas hilflos. Er soll den Gästen Ramelows Funktion übersetzen. Aber wie erklärt man Chinesen, was ein linker Oppositionschef ist? Hihihi. Hinterher erzählt man sich amüsiert, als Ramelow als „Chairman of the left group“ vorgestellt wurde, hätten die Chinesen nach links geguckt. „Ministerpräsident“, so viel ist sicher, ließe sich leichter übersetzen.

 

 

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