- Der Markt bestimmt die Liebe
Liebesbeziehungen sind nichts als Konsumgüter, die den Prinzipien des Marktes unterworfen sind - schreibt Milosz Matuschek in seinem neuen Buch „Romantisches Manifest“. Wenn das Verliebtheitsstadium ende, suchen wir neue Emotionskicks. Deshalb fordert Matuschek: „Schluss mit der Suche nach der perfekten Liebe“
Im Allgemeinen misstrauen wir heute der Liebe. Denn das, was uns als „wahre Liebe“ präsentiert wird, ist nicht die Steigerung und Bewahrung des Anfangsgefühls. Es ist vielmehr der Anfang vom Ende des Kribbelns. Und da, wo die knisternde Erotik ausbleibt, vermuten wir den großen Betrug: Die Liebe übertrifft das Gefühl des Verliebtseins ja doch nicht! Warum heiraten wir dann heute überhaupt? Im immer noch häufigen Bekenntnis zur Ehe kommen der Drang nach einer gesellschaftlichen, öffentlichen Form der Beziehungsrechtfertigung zum Tragen sowie die Hoffnung auf eine noch intensivere Gefühlserfahrung als die des Verliebtseins. Die hohen Scheidungsraten beweisen die Enttäuschung, die dieses gesellschaftliche Konstrukt meist produziert.
Liebe nach dem Kreditprinzip
Für ein kopfloses Sichverlieben sind wir nicht zu haben. Wir vermuten hinter der Liebe eine Rechnung, die zu unseren Ungunsten ausgeht. Und wir sind skeptisch, wenn wir etwas geschenkt bekommen. Liebe fällt ebenso wenig vom Himmel, wie das Geld auf der Straße liegt. Tut sie es doch, dann steckt dahinter das Kreditprinzip: Konsumiere jetzt, zahle später.
Das Geschenk der Liebe wird so zu einer Art trojanischem Pferd, das uns letztlich in eine Situation bringen soll, aus der wir nicht mehr herauskommen. Die Liebe wird als bestechendes Gefühl eingeordnet.
Sie besticht uns, etwas zu nehmen, ohne dafür zu bezahlen. Der Liebesempfänger wird „angefüttert“: mit Gefühlsaufwallungen, „Schmetterlingen“, einem kompletten Aufleben von Geist und Körper. Es ist wie beim Obsthändler. Man bekommt eine süße Apfelsine geschenkt und kauft dann aus Pflichtgefühl ein Kilo überteuerter Sauerkirschen.
Die moderne Liebespartnerschaft ist deshalb nicht gänzlich gefühllos.
Echte Gefühle weichen aber dem temporären Wellnessgefühl des Vergnügens „Wir stehen jeden Morgen auf und fragen uns: „Hm, was könnte mir mein Partner denn heute wieder Gutes tun?“ Wir sind Gefühlsjunkies. Wie Drogenabhängige brauchen wir die regelmäßige Selbstbestätigung durch den Partner und die Aufrechterhaltung eines positiven Erregungsniveaus.
Je wirklichkeitsgetreuer wir in der Lage sind, uns die Echtheit unserer Gefühle vorzuspielen, desto höherwertiger stufen wir unsere Beziehung ein („Ich glaube, er liebt mich wirklich, oh mein Gott!“).
Weil uns die echte Liebe viel zu risikoreich ist, suchen wir immer wieder aufs Neue die zeitlich begrenzte Bestätigung im Verliebtseinsstadium. Dadurch setzen wir immer wieder ein Karussell in Gang, das auf Dauer zu Frustration führt: Wir beginnen mit einer profilorientierten Suche, gekoppelt mit der Erwartung an den anderen, nicht gleichzeitig auch ein Profil zu suchen, sondern uns bitte möglichst bedingungslos und kriterienlos zu begegnen. Wir treten in die Werbephase ein, verstellen uns und verkaufen uns für den anderen als vollkommenes Produkt. Man kommt zusammen.
Wenn die Liebe zum Projekt wird
Es folgt die Erregungsphase: Wir glauben, das perfekte Profil gefunden zu haben und für den anderen darzustellen und versuchen, diesen Zustand möglichst lange aufrechtzuhalten. Wir schauspielern uns gegenseitig unsere Liebe vor.
Halten die Leistungsversprechen auch im Alltag? Da es uns vor allem darum geht, kommt nun fast zwangsläufig die Enttäuschungsphase: Die Maske fällt, das Profil bekommt Lücken und Widersprüche, die so nicht vereinbart waren. Nun läuten unsere Alarmglocken. Moment mal, wieso werde ich plötzlich dauernd kritisiert?
Ich werde mich doch wohl noch entwickeln dürfen! Es folgt eine Phase der Auseinandersetzung mit dem neuen, dem tatsächlichen Bild. Entweder gelingt eine Anpassung an dieses neue Bild oder eine Anpassung des Gegenübers an das eigene Bild oder es folgen Konsequenzen. Und dann folgt die Auflösungsphase: Die Anpassungsbemühungen sind gescheitert, die Erwartungen sind enttäuscht worden.
Wenn der Drang nach Perfektion und Optimierung in die Liebeswelt hineingetragen und den ökonomischen Mustern unterworfen wird, entstehen Statementtexte auf Datingplattformen wie dieser hier von M.: „Ich habe viel erlebt, erfahren und gelernt und obwohl ich nicht zwanghaft auf der Suche bin, wäre es doch schön, jemanden zu treffen, dem es gelingt mein Herz zu erobern und wieder dieses komische Gefühl im Bauch zu erzeugen. Stehe fest im Leben und würde davon auch nie abrücken, aber jemanden, der mir Wohlbefinden verschafft, würde ich zeitweise akzeptieren. Es soll mich im Bauch kribbeln, wenn Du bei mir bist. Ich will bis in den Morgen reden und um jede Sekunde, die Du länger bleibst, feilschen und gewinnen! Und wenn ich 80 bin, will ich in meinem Schaukelstuhl sitzen und meinen Enkeln erzählen, wie es war, als wir uns das erste Mal geküsst haben und wo wir uns kennengelernt haben.
It’s got to be perfect
It’s got to be worth it
Too many people take second best
But I won’t take anything less!!!!!“
Ich will! Ich will! Ich will! Ob die Enkel der dann 80-jährigen M. tatsächlich hören wollen, dass das Kennenlernen im Internet stattgefunden hat? Werden die Enkel es romantisch finden, dass der Opa hier extremes Glück hatte, denn er wurde ja nur akzeptiert, weil er es geschafft hat, der Oma ein Wohlbefinden zu verschaffen“, durch „ Spaßhaben und Süß-gefunden-werden“? Oder werden sie vor so viel Anspruchsdenken („it’s got to be perfect!!!“) nur angewidert den Kopf schütteln?
Früher glaubte man an Eros, heute an den Markt
Früher glaubte man an den Liebesgott Eros, der seinen Pfeil abschoss. Heute ist es das kalte, unsichtbare Händchen des Marktes, das die Marktteilnehmer zusammenbringen soll. Unser Partner muss heute wie ein kompatibles Produkt sein, um als tauglich wahrgenommen zu werden. Nach einer aktuellen Allensbach-Studie steht eine funktionierende Partnerschaft als Quelle des Glücks der Deutschen auf Platz zwei, gleich nach dem Thema Gesundheit. Dementsprechend sorgfältig muss die Auswahl getroffen werden.
Der Partner ist eine öffentliche Person. Bestenfalls ist diese Person gesellschaftlich vorzeigbar (nie peinlich), stilbewusst (nicht exzentrisch), aber gleichzeitig natürlich total außergewöhnlich. Sie muss zur Familie, in den Freundeskreis passen. Und natürlich muss der Partner auch Arbeitszeit-kompatibel sein, wie eine Nutzerin auf Elitepartner schreibt:
„Als wir zusammenkamen, schob ich gerade 80 Stunden in der Woche. In unserer Anfangszeit blieb daher wenig Raum für Zweisamkeit. Damit kam Andi erst nicht gut klar, als Lehrer ist er feste Arbeitszeiten gewohnt. Aber solche Phasen gehören nun einmal zu meinem Job und damit auch zu mir – und ein Glück konnte sich Andi nach anfänglichen Schwierigkeiten damit arrangieren. In unserem ersten gemeinsamen Urlaub hatten wir dann auch genügend Zeit, uns kennenzulernen und festzustellen, dass es passt.“
Wenn es nicht passt, sortieren wir aus. Wenn wir Liebe allein als Bestätigungsform verstehen und uns nur auf äußere Attribute beziehen, kann ein intimes Verhältnis nicht erreicht werden. Der Partner ist kein Butler, der immer ein „Sehr wohl, Sir, sehr wohl, Madam, Sie haben ganz recht“ von sich gibt.
Diese Form der Bestätigung ist gekauft und nichts wert.
Liebe als Lebenslauf-Bestätigung
In dem Buch Warum wir lieben vertritt der Soziologe Günter Dux die Ansicht, dass Liebe einen wichtigen Teilbereich der Anerkennungswelt ausmacht. Liebe bildet Identität aus, indem sie die eigene Weltsicht bestärkt. In der ökonomischen Variante machen wir aus dem Nutzwert der Liebe ihr Hauptziel. Liebe erhält eine Funktion: Sie soll unseren Mangel kurieren. Sie bestätigt uns in unserem eigenen Lebensentwurf.
Wir gestehen unserem Partner auf diese Weise kaum Entwicklungs- bzw. Änderungsmöglichkeiten zu, da dies einer Profiländerung entspräche, wir uns jedoch für ein ganz bestimmtes Profil entschieden haben. Jede Profiländerung wird rechtfertigungsbedürftig.
Es folgt eine Reklamationsphase mit dem Ziel der Wiederherstellung des ursprünglichen Profils. Beide Partner sind enttäuscht. Der zu verändernde Partner fühlt sich missverstanden, da er sich in seinem Wesen nicht bedingungslos geliebt fühlt. Der andere fühlt sich betrogen, weil er nicht das Profil vorfindet, das ursprünglich vereinbart war. Die Partnerschaft droht zu scheitern.
Der veränderte Partner sucht Bestätigung in der Anfangserregung einer neuen Beziehung. Der andere beginnt erneut, weitere Personen auf ihre Kompatibilität mit dem eigenen Profil abzuscannen.
Das Buch erscheint am 3. März 2014 im Ch. Links Verlag und kostet 16,90 Euro.
Matuschek liest am 15.04.2014 aus dem Buch im „Heimathafen Neukölln“. Beginn der Veranstaltung ist um 19.30 Uhr.
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