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Götz Schleser für Cicero

Collonil-Geschäftsführer - Oberster Schuhputzer

Frank Becker arbeitet bei Collonil für sein Hobby und verleiht dabei der alten Marke neuen Glanz

Autoreninfo

Steffen Uhlmann Jahrgang 1950, schreibt als freier Journalist für die Süddeutsche Zeitung. Er lebt und arbeitet in Berlin-Mitte.

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Frank Becker hat einen Tick: Er sammelt Schuhe und putzt sie leidenschaftlich gern. 62 Paare hat der 51 Jahre alte Wahlberliner im Schrank, die er so behandelt, wie seine Mutter es ihm beigebracht hat: Zuerst mit Bürste und Tuch, das auch feucht sein kann, die vom Straßendreck beleidigten Ledertreter säubern. Dann trocknen lassen. Darauf die Creme mit sachten Bewegungen einmassieren. Danach wieder Pause, um das aufgetragene Fett einwirken zu lassen. Schließlich mit einem weichen Tuch polieren – das bringt den Glanz. „Für die meisten Deutschen ist das Sklavenarbeit“, sagt Becker. „Für mich ist das ein kulturvoller Akt, dem ich noch heute fröne.“ Seine Leidenschaft lebt er nicht nur an der eigenen Sammlung aus. Er macht sich regelmäßig auch über die Schuhwerk-Armada seiner Familie – vier Kinder und eine Frau – her: „Das ist für mich purer Luxus.“

Da fügt es sich gut, dass Becker Geschäftsführer und Mitinhaber einer Firma ist, die vom und für den Putzfimmel der Leute lebt. Collonil ist Marktführer unter den deutschen Herstellern von hochwertigen Schuh- und Lederpflegemitteln und hat derzeit mehr als 2000 Artikel im Sortiment. Imprägniersprays, Pflegelotions, Hochglanzcremes, die in unzähligen Farben und mit den verschiedensten Düften angeboten werden. Dazu gibt es passend Wachsauftrags- oder Feinglanzbürsten, zum Beispiel aus Ziegenhaar, sowie Schuhlöffel aus Bambusholz.

Vieles erinnert an Produkte der Kosmetikindustrie. Aber Becker findet das normal. Leder sei nun mal eine Tierhaut, die ebenso gepflegt werden müsse wie die menschliche Haut. Die Grundstoffe Wachs, Öl und Fett sind überall gleich. Das Geheimnis liegt in der Diversifizierung und den dafür nötigen Zusatzstoffen. Becker: „Die Rezepturen sind streng geheim. Wir hüten sie besser als eine Schweizer Bank.“

Gestartet ist Collonil vor über 100 Jahren in einer Dreizimmerwohnung in Berlin-Kreuzberg. Dort füllte Karl Esslen Lederöl aus Schweden in Fläschchen. Als ihm die Bestellungen zuviel wurden, suchte der Geschäftsmann Hilfe bei den Gebrüdern Paul und Walter Salzenbrodt. Aus der fortan gemeinsamen Generalvertretung für das schwedische Lederöl machte das Trio bald eine eigene Firma, die unter dem Markennamen Collonil (französisch „coller“ = kleben) Schuh- und Lederpflegemittel produzierte. Ihr erster Renner war eine Creme mit wasserabweisenden Eigenschaften. Später kam ein Fett hinzu, das das Schuhleder nicht nur geschmeidig, sondern auch glänzend machte. „Schuhe wollen Collonil“ hieß ihr Slogan dazu. Auch Ufa-Star Marlene Dietrich warb damit und machte die schnell wachsende Firma bald weltbekannt. 1930 entstand der erste Zweigbetrieb in Wien, der noch heute existiert. Und in Berlin zog man in Mühlenbeck am Rande der Stadt eine komplett neue Firma hoch.

Seite 2: Als Franz Becker 1998 zu Collonil kam, kriselte es im Traditionsunternehmen

Nach dem Zweiten Weltkrieg saß der letzte noch verbliebene Firmengründer Walter Salzenbrodt mit seinem Betrieb in der sowjetischen Besatzungszone. Vor der Anfang der fünfziger Jahre drohenden Enteignung setzte er sich in den Westteil der Stadt ab. Seitdem residiert das 1952 in Salzenbrodt & Co. KG umbenannte Unternehmen in Berlin-Wittenau. Mitte der neunziger Jahre kamen die Probleme. Die Berlin-Förderung ist weg, weniger Menschen kaufen im Schuhfachhandel und das Geschäft der Billiganbieter wächst.

Als sich bei Collonil die Verluste häuften, heuerten die Salzenbrodt‑Firmen­eigner 1998 Frank Becker an. Der ehemalige BASF‑Manager und ‑Sanierer krempelte das Unternehmen komplett um, ordnete das Produktportfolio neu, fokussierte Collonil auf die Außenmärkte und nutzte die eingeführte Marke für neue Produkte. Heute gibt es unter dem Namen Collonil auch Socken, Ein­legesohlen, Schnürsenkel, Schuhspanner oder gar Fußpflegemittel. Hinzu kommen Pflegemittel für Motorradbekleidung, Autoinnenausstattungen oder für Passagiersitze in Flugzeugen. Und seit ­kurzem auch Pflegesprays für Outdoor-Bekleidung.

In 100 Länder exportieren die Berliner. Das beschert ihnen einen Umsatz von derzeit 40 Millionen Euro im Jahr. Und sie sind weiter auf Wachstumskurs. Gerade hat Becker auf dem alten Firmengelände in Mühlenbeck das Richtfest für ein neues Produktions- und Logistikzentrum ausgerichtet, das im Frühjahr 2013 in Betrieb gehen soll. „Dann werden zu den jetzt 180 Beschäftigten in zwei Stufen weitere 60 Mitarbeiter hinzukommen“, sagt Becker, der noch mindestens 20 Jahre „oberster Schuhputzer“ im Unternehmen bleiben will. „Ich bin bei Collonil kleben geblieben“, sagt er. „Das ist das Beste, was mir passieren konnte.“ 

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