Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

EU - Warum das Modell Deutschland Europa gefährdet

Die Euro-Währungsunion wurde bereits stark nach dem deutschen Modell geformt. Doch davon profitiert Berlin am meisten. Den anderen EU-Ländern geht die deutsche Dominanz langsam auf die Nerven, beim letzten EU-Gipfel formierte sich sogar zum ersten Mal offener Widerstand

Autoreninfo

Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

So erreichen Sie Eric Bonse:

Es war eine Erfahrung, die Angela Merkel so noch nie gemacht hatte - und die sie sich sicher gern erspart hätte. Beim EU-Gipfel im Dezember 2013 stand die erfolgsverwöhnte Kanzlerin plötzlich allein auf weiter Flur; niemand wollte ihrem Ruf nach Reformverträgen für die Eurozone folgen. Man komme nur „Millimeter für Millimeter“ voran, räumte Merkel nach dem unerquicklichen Treffen mit den EU-Chefs in Brüssel ein. Das Thema wurde auf Oktober vertagt - auf die Zeit nach der Europawahl.

Doch es ist nicht nur die Angst vor dem Wähler, die Merkels Reformagenda verzögert. Am heftigsten protestierten ausgerechnet jene Länder, die Deutschland bisher am treuesten gefolgt waren. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy klagte, sein Land habe gerade den Euro-Rettungsschirm ESM verlassen und wolle sich nun keine neuen Vorschriften machen lassen. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann war ebenfalls erbost: „Das lassen sich viele nicht gefallen, auch nicht als Idee.“

Dabei klingt die Idee in deutschen Ohren durchaus verlockend. Es geht darum, dass alle Euroländer Strukturreformen nach dem Vorbild der Agenda 2010 machen sollen, um wettbewerbsfähiger zu werden und die Krise zu überwinden. Da Merkel weiß, dass eine solche Agendapolitik ziemlich unbeliebt ist, wollte sie widerstrebende Staaten per Vertrag zu Reformen verpflichten. Das Modell Deutschland sollte damit den ultimativen EU-Stempel bekommen, Prädikat: unverzichtbar.

Die Euronachbarn sind die deutsche Dominanz satt
 

Doch so läuft das nicht in Brüssel, oder: nicht mehr. Dafür gibt es viele Gründe. Der wichtigste ist wohl, dass Berlin der EU schon allzu oft den deutschen Stempel aufgedrückt hat. Schon die Währungsunion wurde nach dem Modell Deutschland bzw. Bundesbank konstruiert - mit einer stabilitätsorientierten Geldpolitik, einer unabhängigen Zentralbank und strengen Beitrittskriterien. In der Eurokrise kamen dann noch der Fiskalpakt mit deutscher Schuldenbremse und die nach Berliner Vorgaben gestaltete - oder verunstaltete - Bankenunion hinzu.

Auch die neue „Economic Governance“, also die gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, wurde nach deutschen Vorgaben gestaltet. Budgetdefizite und Miese bei der Leistungsbilanz werden bestraft, Überschüsse hingegen nicht. Das stinkt vielen in Brüssel, denn der Exportweltmeister bleibt so ungeschoren, obwohl die Überschüsse des einen doch immer die Defizite des anderen sind. Die Extrawurst bei den Klimavorschriften für Neuwagen, die für Daimler und BMW massgeschneidert wurde, brachte das Fass dann zum Überlaufen. Beim EU-Gipfel im Dezember ging nichts mehr für die deutsche Kanzlerin.

Aber es ist nicht nur die schiere Masse an „deutschen“ Regeln, die Widerspruch und Widerstand hervorruft. Es ist auch die Art und Weise, wie sie eingeführt und umgesetzt werden. Gerade Merkel neigt immer wieder zu Alleingängen, die viel böses Blut schaffen. Das war in der Griechenland-Krise so, wo sie monatelang auf der Bremse stand und dann plötzlich einen Schuldenschnitt erzwang. Das war aber auch bei der Energiewende so, wo die EU-Partner nicht einmal informiert wurden. Unter den Folgen leidet Brüssel noch heute, wie der Streit um das EEG und seine Ausnahmen für deutsche Firmen zeigt.

Das Hauptproblem ist aber, dass Deutschland einfach völlig anders ist als alle anderen - und deshalb auch schwerlich als Vorbild dienen kann. Ein Föderalstaat wie die Bundesrepublik kann nicht einem Zentralstaat wie Frankreich erklären, wie man Reformen umsetzt. Ein Land in der Mitte Europas, das nur von Freunden umgeben ist, hat keine Flüchtlingsprobleme wie Italien und keine Grenzprobleme wie Griechenland oder gar Zypern.

Die Großen fressen die Kleinen
 

Und eine Industrienation wie Deutschland, die von der Krise profitiert, ist schlecht beraten, den Nachbarn auch noch Lektionen zu erteilen. Wenn Ford in Genk dicht macht und die Produktion nach Köln verlagert, brauchen die Belgier nicht noch Lektionen in Industriepolitik. Die Werksschließung war nämlich nicht auf zu höhe Löhne oder veraltete Techniken zurückzuführen, sondern auf die Krise auf dem belgischen Automarkt. Die Großen fressen die Kleinen, das war das Prinzip - und es wird immer mehr.

Auch dafür hat Merkel gesorgt. Gemeinsam mit dem britischen Premier David Cameron setzt sie sich in Brüssel systematisch dafür ein, dass der Wettbewerb nicht nur zwischen Unternehmen, sondern auch zwischen Staaten gefördert wird. Liberalisierung, Privatisierung, Freihandel - das sind die neoliberalen Rezepte, die in Berlin en vogue sind. Große EU-Länder haben dabei einen Vorteil gegenüber kleinen, starke gegenüber schwachen.

Im Grunde wird damit das Prinzip der EU auf den Kopf gestellt. Sie wurde ja gegründet, um den aggressiven und ruinösen Wettbewerb der europäischen Staaten um einen „Platz an der Sonne“ zu beenden. In der Montanunion ging es darum, Kohle und Stahl der nationalen Kontrolle zu entziehen, nicht die Konkurrenz zu fördern. Doch genau das ist die Politik der Kanzlerin. Ihre neueste Erfindung, die Reformverträge, dienen just diesem Zweck: Die Euroländer sollen fit gemacht werden für den Wettbewerb, auch untereinander. And the winner is…

 

 

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.