- „Die Angst war mein Gefängnis“
Rommel Roberts kämpfte gegen die Apartheid in Südafrika. In seinem Buch „Wie wir für die Freiheit kämpften“ erzählt er die Geschichte der vielen kleinen Heldinnen und Helden, die genau wie Nelson Mandela gegen die Rassentrennung vorgingen. Bei Cicero Online lesen Sie einen Vorabdruck, indem Roberts die Qualen seiner Inhaftierung beschreibt
Rommel Roberts (*1949) ist südafrikanischer Autor und Aktivist. Während des Apartheid-Regimes war er Entwicklungsbeauftragter des Bischofs und späteren Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu und kämpfte als „Coloured“ (mit einer als „indisch“ bzw. „asiatisch“ klassifizierten Mutter) gegen das Regime. Mit seinem Hilltop Empowerment Centre setzt sich Roberts auch heute für Bildung und Korruptionsbekämpfung ein. Sein Buch „Wie wir für die Freiheit kämpften – Von stillen Heldinnen und Helden in Südafrika“ erscheint am 21. Januar.
Freiheit finden im Gefängnis
Sobald sie mit mir allein war, ließ die Sicherheitspolizei ihr formelles, geschäftsmäßiges Verhalten fallen und wurde informell und aggressiv. Das Ganze war ein langes und bedrohliches Szenario. Zuerst ließen sie mich in einem kahlen Raum warten, stundenlang allein, ohne Essen, Trinken und menschlichen Kontakt. Ich sollte erst einmal schmoren. Meine Beschwerlichkeiten waren ziemlich gering im Vergleich zu den Leiden von Menschen wie Steve Biko oder anderen. Meine Geschichte handelt in Wirklichkeit von einer persönlichen Reise durch diese Erfahrung. Mir wurden in diesem Gefängnis die Techniken und Methoden der Sicherheitspolizei und ihre Auswirkungen anschaulich gezeigt. Die größte Wirkung ist diejenige auf die Psyche. Alles ist darauf ausgerichtet, den Willen zu brechen. Verschiedenste Arten von Druck werden ausgeübt, wobei Gewalt das letzte Mittel ist.
Der Schrecklichste unter den Polizisten hieß „Spyker“ van Wyk. Sein Spitzname Spyker bedeutet Nagel, was sein hartes, rücksichtsloses Gehabe gut beschreibt. Er war der Fluch aller unglücklichen Gefangenen, die zufällig in seine Klauen gerieten. Er war bekannt als Killer und ich war in den Klauen dieser Bestie gelandet. Spyker hatte ein missgestaltetes Auge, was ihm ein Furcht einflößendes Aussehen verlieh und off enbar sein wunder Punkt war. Dies steigerte noch sein Bedürfnis nach Rache an der Menschheit.
Ich bemitleidete mich angesichts dieser Umstände und spürte, wie ich vor nackter Angst zitterte. Spyker hatte die Gewohnheit, während der Verhöre damit anzugeben, dass er gewisse Leute verschwinden lassen könne. Und er prahlte damit, was er mit Timol gemacht hatte, einem Gefangenen, der seine „Aufmerksamkeiten“ nicht überlebt hatte. Timol hatte offiziell Selbstmord verübt, eine beliebte Erklärung, wenn Gefangene in der Zelle starben. Ein Suizid aber war das sicher nicht gewesen, denn die Polizisten berichteten angeberisch von all den Maßnahmen, die man angewandt hatte, um den armen Menschen zu zerstören. Timol muss unglaubliche Schmerzen erlitten haben durch scharfe Instrumente, deren Anwendung sich Spyker und sein Helfershelfer Van Avenbagh rühmten. Sollte dies auch mein Schicksal werden?
Ich musste mit dem Tod rechnen
Doch in meinem Fall entsprachen die verschiedenen Aktivitäten, derer ich aufgrund der Terroristengesetze angeklagt war, nicht im Entferntesten der Realität. Denn Gewalt hat in meinem gesamten Tun niemals eine Rolle gespielt und wird, so Gott will, auch niemals eine Rolle spielen. Mir wurde klar, dass ich nicht hoffen konnte, die Sicherheitspolizei davon zu überzeugen. Schlimmer war, dass sie eine Menge Beweismaterial vorbrachten, gesammelt an den unwahrscheinlichsten Stellen. Sie verfügten zum Beispiel über Papiere, die ich per Kurier aus Holland bekommen und persönlich dem niederländischen Botschafter übergeben hatte. Die Kopien zeigten deutlich, dass eine Kooperation zwischen den Sicherheitsdiensten der verschiedenen Länder stattgefunden hatte. Die Aussagen von Regierungen gegen die Apartheid waren offensichtlich nur Lippenbekenntnisse. Das wahre Ausmaß der Unterstützung der südafrikanischen Regierung durch die CIA bei ihren Angriffen auf Angola ist ja inzwischen zum Teil bekannt geworden. Und auch etliche europäische Geheimdienste waren mit dem weißen Regime in Südafrika bekanntlich gut Freund.
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So musste ich erkennen, dass ich in ernster Gefahr steckte. Bestenfalls musste ich mit einer langen Haft auf der Gefängnisinsel Robben Island und schlimmstenfalls mit dem Tod rechnen. Meine Befürchtung war, dass viele Mitstreiter nicht wussten, was sie erwartete, und wie sehr auch sie gefährdet waren. Ach, hätte ich doch den Freunden Informationen zukommen lassen können, um sie zu warnen! Doch es gab keinen Weg, da ich vollständig von normalen menschlichen Kontakten abgeschnitten war. Ich befand mich allein in meiner Zelle, zumeist in völliger Dunkelheit.
Die Verhöre waren für mich der schlimmste Alptraum, da sie sowohl auf den Körper als auch auf die Psyche abzielten. Mehrere Sicherheitspolizisten arbeiteten zusammen. Jeder spielte eine andere Rolle: der gute Polizist, der böse Polizist, der schlimme Polizist, der Psycho-Polizist im weißen Kittel etc. Sie prahlten dauernd mit ihrer Tüchtigkeit als Verhörspezialisten und damit, wen sie in der Vergangenheit schon überführt und fertiggemacht hätten. Der Alptraum hörte nach den Sitzungen nicht auf, sondern wurde noch stärker, wenn ich allein in der Zelle saß. Ich sollte weichgekocht werden.
In meiner Zelle konnte ich kaum etwas sehen wegen der Dunkelheit. Trotzdem erkannte ich Kratzer und Blutspuren an den Wänden. Das erzeugte natürlich noch weiteren Stress und psychische Instabilität. Das Alleinsein verstärkte die Ängste. Nun verstand ich, warum jemand Selbstmord begeht. Diese Umstände können zu einem Zustand von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit führen. Oder sie können extreme Wut hervorrufen, die wiederum bösartige Reaktionen der Sicherheitsleute provoziert, was bis zum Tod führen kann. Genau das schien mit Steve Biko passiert zu sein. Der Studentenführer wehrte sich gegen die Schikanen, leistete Widerstand und kämpfte bis zum bitteren Ende. Er provozierte bei den Sicherheitsleuten solch extreme Gemeinheiten, bis sie ihn töteten.
Ich wurde von Spyker darauf hingewiesen, dass es eine Antwort auf seine Fragen gab, die er nicht dulden würde: „Andiyazi“ – ich weiß nicht. Die Art, wie er es sagte, zeigte seinen Hass gegenüber seinen Opfern. Er presste die Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er kam mit seinem Schielauge ganz nah an mein Gesicht heran und starrte mich an, während er die verhassten Worte aussprach und Drohungen ausstieß. Es war klar, dass man ihn sehr ernst nehmen musste und dass er sich unmissverständlich ausgedrückt hatte.
„Hier war das Eigentliche die nackte Angst“
Ich kann mich an ein einziges Mal erinnern, wo ich ähnliche Angst gehabt habe. Das war, als ich als Neunjähriger zusammen mit Freunden in Mafeking verhaftet wurde, nachdem wir auf einem Rasen gespielt hatten, der „Nur für Weiße“ gekennzeichnet war. Die Spielgeräte auf diesem schönen grünen Rasen hatten so einladend ausgesehen, dass ich der Versuchung nicht widerstehen konnte und meine Freunde herbeirief, um dort zu spielen. Wir tollten voller Freude herum. Dies schlug schnell in Schrecken um, als mehrere Polizisten uns plötzlich umringten und durch die Stadt jagten, bis ein Freund und ich erwischt und zur Polizeistation gebracht wurden. Dort warteten wir ein paar Stunden lang, bis ein riesiger Polizeibeamter uns sagte, dass wir bestraft werden würden. Er hatte einen speziellen Stock dabei. Ich war an körperliche Bestrafung von der Schule gewohnt, aber das war anders. Der Stock war mit Salzwasser vollgesogen, man zog uns die Hosen herunter und wir mussten uns auf eine Bank legen und die ersten Schläge auf unser Gesäß abwarten. Der Mann war kräftig und hatte riesige Arme, was uns Angst machte. „Vandag trek ek jou gatvel van jou lyf af“, sagte er. Heute werde er uns die Haut vom Arsch reißen.
Diese Furcht war entsetzlich, sowohl beim Warten als auch bei den Drohungen – schlimmer als die Schläge selbst, die fast eine Erleichterung waren, obwohl sie höllisch schmerzten. Ich erinnere mich, dass ich während des Wartens ständig zitterte und mir in die Hose machte. So müssen sich Tiere fühlen, wenn sie zur Schlachtbank geführt werden. Diese Erfahrung im Alter von neun Jahren kam dem am nächsten, was ich jetzt erlebte. Hier war das Eigentliche die nackte Angst, die man nicht wirklich wahrhaben will und der man sich nicht zu stellen wagt.
Allein in meiner Zelle musste ich mich meiner Angst stellen. Die Angst war mein Gefängnis und eines der entscheidenden Instrumente der Sicherheitspolizei gegen mich. Die Angst verwandelte meinen Körper zu Brei und meinen Kopf in ein völliges Durcheinander. Ich versuchte an meine Freunde zu denken, an jeden einzelnen, und erkannte, dass sie in dieser Situation genau so hilflos waren wie ich, obwohl sie sich offenbar große Sorgen machten. Es wurde mir klar, dass aller Reichtum, alle Beziehungen, die ich möglicherweise auf der Welt hatte, und jeder sonstige Trost von mir genommen war. Ich war völlig nackt. Mein Selbstvertrauen war wie Eis geschmolzen und in den Staub gesickert – ich war nur noch ein kümmerliches Etwas. Ich musste mich mit mir selbst konfrontieren, und was ich sah, war weder angenehm noch schmeichelhaft.
Rommel Roberts: Wie wir für die Freiheit kämpften – Von stillen Heldinnen und Helden in Südafrika, Lokwort, 224 Seiten, 19,90 Euro. Erscheint am 21. Januar 2014
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