- Warum Gauck das Falsche tut
Joachim Gauck will die olympischen Winterspiele in Sotschi boykottieren und niemand weiß weshalb. Ein Bundespräsident sollte aber nicht in eigener Sache handeln sondern als Stellvertreter und Staatsoberhaupt Deutschlands
Der Bundespräsident ist verstimmt. Doch worüber? Er lässt sein Volk im Dunkeln. Joachim Gauck sagt nicht, warum er die Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi meiden will. Warum er sich nicht aufmachen wird in das mit Deutschland befreundete Riesenreich, in dem ein gewisser Wladimir Putin regiert, den nicht alle Beobachter wie Altkanzler Gerhard Schröder für einen „lupenreinen Demokraten“ halten. Gauck mag für seinen Boykott Gründe haben. Dass er diese für sich behält, macht die Sache nicht besser.
Des Bundespräsidenten stille Post zwingt zur Spekulation
Jeder kann sich nun aus den Urteilen und Erkenntnissen und Verkennungen, die über Russland kursieren, einen bunten Strauß der Abneigung selbst zusammenstellen. Aufklärung wächst so nicht. Gauck verfährt nach dem Prinzip der Stillen Post, in der am Ende jeder hört, was er zu hören gewohnt ist.
Gaucks Schweigen zwingt zur Spekulation. War es die mangelnde Unabhängigkeit der russischen Justiz, die ihn ergrimmte? Der Umgang der Behörden mit Oppositionellen? Ihr patriarchaler Blick auf nicht-orthodoxe, „unrussische“ Religionen? Oder ganz konkret das Gebaren des Staats als Bauherr in der Region Sotschi? Es müssen, so mutmaßen wir, drastische Gründe sein – Gründe, mit denen sich Russland vom hohen Ross aburteilen und billig in den Senkel stellen lässt. Prompt finden laut einer Umfrage 65 Prozent der Deutschen die Entscheidung Gaucks richtig.
Entspringt Gaucks Boykott einem Kindheitstrauma?
War es ihm, dem gefallbereiten, fallweise gefallsüchtigen Präsidenten, darum zu tun? Wollte er ganz im Einklang schwingen mit der Mehrheitsmeinung? Nicht zu unterschätzen ist gewiss das biografische Moment. Gaucks Vater wurde 1951 von den Rotarmisten nach einem Schauprozess in ein sibirisches Arbeitslager verschleppt. Vier Jahre blieb er dort. Biograf Mario Frank nennt dieses Erlebnis „die entscheidende Prägung seiner – Gaucks – Kindheit“.
Ein Bundespräsident sollte aber nicht in eigener Sache handeln und urteilen, sondern stellvertretend, zum Wohl der Menschen, die er vertritt. In dieser Disziplin ist Gauck Novize.
Die Olympischen Spiele sind längst zu einer globalen Gelddruckmaschine und zum roten Teppich für sinistere Figuren verkommen. Das traditionell opake Internationale Olympische Komitee fand nichts dabei, die „Jugend der Welt“ 2008 nach China zu bitten, wo die Hinrichtungsindustrie floriert. Das war beschämend und traurig. Wer daran etwas auszusetzen hat, der sollte den Mund rechtzeitig auftun und sich an einer politischen Debatte beteiligen. Das Wort, nicht das vielmeinende Schweigen steht einem Präsidenten zu Gebote.
Politnovize Gauck vollendet seine Weltabgewandtheit
Außerdem ist die Lage in Russland längst nicht so eindeutig, wie es der abendliche Neunzigsekünder im Fernsehen vorgibt. Russland mag keine lupenreine Demokratie sein – doch ist Deutschland ein solches Musterländle? Eine lupenreine Diktatur ist Russland gewiss nicht. Der Schriftsteller Michael Klonovsky macht sogar eine schelmische Gegenrechnung auf: In Russland könne man immerhin „auf unabsehbare Zeit und unbeschränkt sowohl Glühbirnen als auch Mentholzigaretten als auch Duschköpfe kaufen; der Staat knöpft einem nicht die Hälfte des Einkommens ab, um damit unter anderem eine sogenannten Energiewende autokratisch durchzusetzen (…); das Regime presst einem ferner weder TV-Zwangsgebühren noch eine exorbitante Mineralölsteuer ab; niemand bekommt dortzulande vom Staat Geld dafür, dass er den Geschlechtsunterschied für ein soziales Konstrukt erklärt; man kann in Russland sowohl äußern, dass Stalin der größte Verbrecher als auch der größte Staatsmann aller Zeiten war, ohne dass sich Presse und Staatsanwaltschaft auf einen stürzen.“
Davon völlig abgesehen: Tragen wohlfeile Gesten dazu bei, Missstände zu beheben? Das vornehme Schweigen, in das sich Gauck hüllt und durch das er sich zum Liebling der Masse macht, ist in seiner vollendeten Weltabgewandtheit und Selbstbezüglichkeit desaströs. Er will erscheinen als der absolut Wohlmeinende, ohne sich die Hände mit einer eigenen Meinung schmutzig zu machen. Er palavert, indem er nichts redet.
Olympische Spiele, finden sie einmal statt, sind Hochämter des Sports, Leistungsschauen der Athletik, Wettkämpfe der Nationen. Wer ihnen wortlos fernbleibt, sollte seine Kinderstube neu möblieren. Sonst ist er nur ein Barbar mit besten Absichten.
Dem Contra von Alexander Kissler wird Alexander Marguier morgen mit einem Pro begegnen.
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