- Misanthropes Gewaltbuch als Hörspiel
Hörspielregisseur Klaus Buhlert ist der Beste seiner Zunft. Jetzt hat er Elias Canettis „Die Blendung“ inszeniert – mit eigener Musik und Klangwelten von Peking bis Wien
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Klaus Buhlert, groß, schlank, grau meliertes Haar, sitzt im Studio 10 des Bayerischen Rundfunks. Er lauscht konzentriert, welche Sprechhaltungen ihm Manfred Zapatka anbietet, und kommentiert: „Das Absurde kannst du noch steigern.“ „Mehr Atem, aber die Haltung war super.“ Dann erhebt Zapatka erneut seine unverwechselbare, wie ein altes Akkordeon klingende Stimme. Bis der 63-jährige Hörspielregisseur und Komponist zufrieden ist: „Gut, die Version nehmen wir.“
Buhlert und der feinnervige Charakterdarsteller arbeiten an der Erzählerpartie für das Hörspiel „Die Blendung“ nach Elias Canettis gleichnamigem Roman. Die zwölfteilige Koproduktion von BR und ORF, an der unter anderem noch Birgit Minichmayr und Samuel Finzi beteiligt sind, wird ab dem 6. Oktober im BR urgesendet. Einen Monat später erscheint eine Box mit den CDs.
Der spätere Literaturnobelpreisträger Canetti hat sein Erstlingswerk Anfang der dreißiger Jahre in Wien geschrieben. Die Intention des gebürtigen Bulgaren: „Die Welt war zerfallen, und nur wenn man den Mut hatte, sie in ihrer Zerfallenheit zu zeigen, war es noch möglich, eine wahrhafte Vorstellung von ihr zu geben.“ In der Tat gibt es kaum einen zweiten Roman der Weltliteratur, der nur verrückte, gewalttätige und niederträchtige Protagonisten kennt, und der dennoch einen derart faszinierenden Sog entfaltet. Der Geschichte um den bibliomanen Sinologen Peter Kien, die geldgierige Haushälterin Therese Krumbholz und den sadistischen Hausmeister Benedikt Pfaff kann man sich nicht entziehen.
Einen Roman durch Töne zu beleben, ist Übersetzungsarbeit
„Ein literarisches Monster“ hat Hans Magnus Enzensberger das Buch genannt, das von Canetti als Aufgalopp zu dem dann nie ausgeführten Prosazyklus „Comédie Humaine an Irren“ gedacht war. „Die Blendung“ sollte sein einziger Roman bleiben. Von einem „Menschenhasser-Roman“ spricht Klaus Buhlert, nachdem die Aufnahmen beendet sind und sich ein müder Manfred Zapatka mit den Worten verabschiedet hat: „Wie Sie sehen, bin ich völlig erschöpft. So geht es mir jeden Tag.“
Buhlert, der Akustik und Informatik studierte und eine Gastprofessur für Elektronische Musik an der TU Berlin innehat, besitzt dank seiner Musikalität die Fähigkeit, die besondere Stimmung elaborierter Romankonstrukte herauszuhören und in akustische Klangfarben zu übersetzen. Zu jeder Inszenierung erstellt er selbst die Textfassung und komponiert die Musik – in der „Blendung“ ist es eine Mischung aus Wiener Schrammelmusik, Peking-Oper und Free Jazz.
Buhlert und Zapatka sind seit Jahren befreundet. Der Schauspieler war schon bei Buhlerts Bearbeitungen von Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften. Remix“, Hermann Brochs „Die Schlafwandler“ und bei James Joyces „Ulysses“ dabei – mit 22 Stunden die aufwendigste deutsche Rundfunkproduktion überhaupt. Bis dahin bereits hochdekoriert, gewann Buhlert mit „Ulysses“ dann alles, was man gewinnen kann: „Hörbuch des Jahres 2012“, „Preis der deutschen Schallplattenkritik“, „Deutscher Hörbuchpreis“ 2013 in der Kategorie „Bestes Hörspiel“. Nun besteigt Buhlert mit der „Blendung“ erneut ein Himalaya-hohes Textmassiv. Warum?
Die sperrigen Schwergewichte der literarischen Moderne haben es ihm angetan: Melville, Kafka, Musil, Broch, Joyce. So verwundert es nicht, dass die Wahl auf Canetti fiel. „Diese Autoren“, sagt Buhlert, „bieten so viel an Erfahrung und Erkenntnis.“
Entscheidend aber dürfte eine biografische Parallele gewesen sein. 1972 wagte der in Oschersleben in Sachsen-Anhalt Geborene die Flucht aus der DDR. Unerträglich war dem damals 22-jährigen Musiker die „maskenhafte Welt engstirniger Parteisekretäre, Offiziere und Polizisten“ geworden. Erst verbot man seine Jazz-Rock-Band, dann ließ man ihn trotz bestandener Aufnahmeprüfung nicht an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg studieren. Im Westen macht er sich Anfang der neunziger Jahre als Komponist für Theater, Radio und Film einen Namen. Eine enge Freundschaft verband ihn mit George Tabori. Für Oliver Stones „Natural Born Killers“ lieferte er einen Musiktitel.
Buhlert zieht eine Parallele zwischen der grotesken Komik der „Blendung“, bei der einem das Lachen im Halse stecken bleibt, und seiner geglückten Flucht. Canetti sieht Lachen und Fressen verschwistert. Das Lachen in seinem Roman ist gewalttätiger Natur, es ist das Lachen nach dem Fangbiss und kurz vor dem Gefressenwerden. „In einer ganz ähnlichen Situation“, erklärt Buhlert, „befand ich mich damals. Auch das ist für mich das Spannende an dem Buch. Denn zwischen Fangbiss und Schluckvorgang hat man noch Entscheidungsspielraum. Mir stellte sich die Frage: Nehme ich das Risiko der Flucht auf mich, bevor ich von dem Apparat verschluckt werde, oder nicht?“
Zum Glück ist er das Risiko damals eingegangen. Künftig will Klaus Buhlert weniger Literatur für das Hörspiel adaptieren, sondern verstärkt eigene Texte schreiben und inszenieren. Diese Freiheit nimmt er sich.
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