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Restaurant Sauvage

Paleo-Diät - Steinzeiternährung im 21. Jahrhundert

In einem Restaurant in Berlin wird nach dem Speiseplan der Höhlenmenschen gekocht. Die Steinzeit-Diät hat weltweit Anhänger gefunden

Autoreninfo

Studierte Politikwissenschaft, Medienrecht und Werbepsychologie in München und Bologna.

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[[{"fid":"59492","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":130,"width":196,"style":"margin: 5px 10px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]An erdig verputzten Wänden hängen Tierfelle und Geweihe, auf den Tischen stehen Tongefäße mit Zweigen und getrockneten Blüten, Kerzen sorgen für eine schummrige Atmosphäre, in der Luft hängt ein intensiver, würziger Duft. Keine Frage: Im Berliner Restaurant 'Sauvage' geht es recht archaisch zu. Dennoch hat es sich zum angesagten Szene-Treffpunkt entwickelt, oder treffender: Genau deswegen. Denn das Sauvage ist kein gewöhnliches Restaurant, sondern das erste 'Paleo-Restaurant' der Welt. 'Paleo' ist eine Ernährungsform, die sich an den Produkten der Altsteinzeit orientiert. Das bedeutet: Hier kommt nur auf den Tisch, was bereits unseren prähistorischen Vorfahren gut geschmeckt hat. Also vor allem viel Fleisch und Fisch, Gemüse, Nüsse und Beeren. Getreide, Milchprodukte oder auch Zucker sucht man hingegen vergeblich.

Darben muss man deswegen trotzdem nicht. Die Karte liest sich abwechslungsreich und vor allem erstaunlich modern. Als Vorspeise werden beispielsweise Cracker gereicht, die nicht aus Mehl, sondern aus Nüssen und Samen bestehen und mit einer Oliven-Paste serviert werden. Der Kräuterkäse für den Rote-Bete-Salat mit Balsamico-Dressing wird eigens aus Kokosmilch hergestellt. Darauf folgt ein Wildschweingulasch mit Beerenchutney, zum Dessert lockt gar ein Zwetschgenkuchen, selbstverständlich ohne Mehl oder Backpulver. Aber Moment einmal: Oliven-Paste? Balsamico-Dressing? Schwer vorstellbar, dass die Steinzeitmenschen in ihren Höhlen bereits über solche kulinarischen Raffinessen verfügten, zumal sie Lebensmittel wie Oliven noch gar nicht kannten. Und auch bei der Zubereitung möchte man im Sauvage nicht ganz auf die Errungenschaften der Moderne verzichten. Anstatt über loderndem Feuer wird auf einem handelsüblichen Elektroherd gekocht.

Dank 'Paleo' gesund geworden


Der Besitzer des Restaurants, der 30-jährige Belgier Boris Leite-Poço erklärt: „Wir wollen nicht die Steinzeit nachahmen.“ Schließlich habe es die meisten Früchte und Gemüsesorten, die wir heute kennen, in der Steinzeit noch nicht gegeben. Ziel sei es vielmehr, Gerichte zu erschaffen, die den modernen Gast ansprechen und gleichzeitig den steinzeitlichen Bedürfnissen des Körpers entsprechen. Denn dass die Steinzeit-Kost die optimale Ernährungsform darstellt, davon ist Leite-Poço überzeugt. Er selbst hält sich seit vier Jahren streng an diese Diät. In seiner Kindheit litt er unter starkem Asthma und Hautaussschlägen. „Seitdem ich Paleo esse, ist das weg“ sagt er. Aber auch das allgemeine Wohlbefinden werde spürbar verbessert. Mehr Energie, ein stärkeres Immunsystem und eine gesteigerte Libido werden auf der Website des 'Sauvage' versprochen. Außerdem sei die Küche ein wahres Schönheitselixier: Reinere Haut, glänzendes Haar, sogar die Figur soll sie trimmen.

Die Theorie dahinter ist nicht ganz neu: Bereits in den 1970er Jahren kursierten entsprechende Konzepte. Seitdem hat die Paleo-Bewegung viele Anhänger gefunden, darunter auch prominente Beispiele wie der britische Sänger Tom Jones. Die 'Steinis' glauben, dass sich das menschliche Erbgut seit der Steinzeit nicht verändert habe. Folglich sei die steinzeitliche Ernährung die einzig „artgerechte Ernährung“ des Menschen, an die sich der menschliche Organismus im Laufe von Millionen Jahren perfekt angepasst habe. Spätere Erzeugnisse wie Brot und Milch könnten die Menschen deswegen nur schlecht verarbeiten. Die Folge: Wir werden dick und krank.


 

Ein Argument, was wissenschaftlich jedoch so nicht haltbar ist. „Das ist Quatsch“, meint Prof. Dr. Andreas Pfeiffer, Direktor der Abteilung Endokrinologie, Diabetes und Ernährungsmedizin an der Berliner Charité: „Es gibt kein genetisches Programm, das uns eine bestimmte Ernährungsform vorgibt.“

Ist die Paleo-Diät als Ernährungskonzept deswegen durchgefallen? Keineswegs. Zwar warnt der Experte vor übertriebenen Heilsversprechen, persönliche Erfolgsgeschichten  wie bei Leite-Poço hält er aber dennoch für möglich: „Der Placebo-Effekt ist hier nicht zu unterschätzen, gerade Atemwegserkrankungen und Hautprobleme haben oft eine psychische Komponente.“ Solange man also persönlich gute Erfahrungen mit dieser Ernährung mache, müsse man auch nichts ändern, so Pfeiffer. Einzig der hohe Anteil an tierischen Fetten macht ihm Sorgen.

Ansonsten habe die Steinzeit-Kost durchaus gesundheitliche Vorzüge. Einer davon ist der Verzicht auf industriell verarbeitete Lebensmittel. „Ein Vitaminmangel ist somit trotz der eingeschränkten Lebensmittel nicht zu erwarten,“ meint der Experte. Auch eine Gewichtsreduktion hält er für plausibel, vor allem durch das Weglassen von Getreideprodukten: „Wann immer man Kohlenhydrate reduziert, nimmt man ab.“

Bereits ein zweites Restaurant eröffnet


Ob man dieses Prinzip jedoch langfristig tatsächlich durchhält, das ist eine ganz andere Frage.

Damit hat man auch noch im 'Sauvage' so seine Probleme. Nicht alle im Team sind so konsequent wie ihr Chef. Restaurant-Managerin Anne Christin Rommel schafft es jedenfalls noch nicht, voll auf Paleo umzusteigen. „Ab und an ein Teller Pasta oder ein Snickers, ganz ohne schaffe ich es noch nicht.“ Wenn sie 'sündigt', dann aber lieber mittags, als abends. „Mit Paleo am Abend schläft es sich einfach besser.“

Wie dem auch sei, ob Vollblut-Paleo oder nur ab und zu, das Berliner Restaurant  kann sich über mangelnden Zuspruch nicht beklagen. Gerade erst hat Leite-Poço ein zweites Lokal im angesagten Bezirk Prenzlauer Berg eröffnet. Hier sind die Produkte noch ungewöhnlicher, die Zubereitung noch aufwendiger. Das hat seinen Preis. Trotzdem sind die Gäste, eine bunte Schar von jungen Touristen, Szenegängern und ernährungsbewussten Berlinern meistens sehr angetan. „Eine eigenwillige, aber sehr gute Küche“ lobte jüngst auch ein angesehener Restaurantkritiker.

Was also von der Paleo-Theorie zu halten ist, bleibt letztlich jedem selbst überlassen. Feststeht aber: Die Logik unserer modernen Nahrungsmittelindustrie zu hinterfragen, ist nicht das Verkehrteste. Auch Ötzi, der Mann aus der Frühsteinzeit hat das wilde Essen nicht mehr kennen gelernt. Über ein „Sauvage“ in der Nähe wäre er aber sicherlich sehr dankbar gewesen. Wie sich herausgestellt hat, litt er nämlich an Laktoseunverträglichkeit.

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