- Die große Chance in der Eurokrise
Die Energiewende kann nicht im deutschen Alleingang gelingen. Wenn die Große Koalition die Probleme ernsthaft angehen will, muss sie sich in der EU nach Partnern umsehen: Die Eurokrise könnte der Motor für ein gigantisches europäisches Energieprojekt werden
Der angekündigte Hungerstreik des philippinischen Abgeordneten während der Klimaverhandlungen in Warschau ruft uns ins Bewusstsein, dass die Energiewende nicht nur ein politisches Streitthema ist. Klimaschutz unterliegt der fierce urgency of now – der grimmigen Dringlichkeit des Jetzt. Ohne die Energiewende wird eine Stabilisierung des Weltklimas nicht gelingen. Die Maßnahmen im Rahmen der Energiewende werden die Klimaproblematik alleine nicht lösen können. Aber sie beweisen, dass ein Erfolg möglich ist.
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Um die Energiewende voranzubringen, muss diese nicht nur in Deutschland, sondern gemeinschaftlich in ganz Europa umgesetzt werden. Doch für die Europäische Union scheint der Klimaschutz ein rein technokratisches Projekt geworden zu sein. Und Europa ist mit noch dringlicheren Themen beschäftigt. Viele europäische Staaten, etwa Griechenland, Spanien, Italien, Portugal und Irland stecken in einer tiefen Rezession. Die Arbeitslosigkeit wird zum zentralen gesellschaftlichen Problem: In Spanien ist jeder dritte junge Spanier ohne Arbeit. Es ist zu wenig Geld für die Finanzierung der Infrastruktur da. Auch aufgrund des mangelnden deutschen Einsatzes wird Europa als ein „Gegeneinander“ erlebt; die EU scheint zum bürokratischen Verwaltungsprojekt ohne Vision zu verkommen.
Erneuerbare Energien in Nord und Süd
Beim Dahrendorf Symposium 2013 suchen und entwickeln wir einen Ausweg aus diesem Dilemma. Die Energiewende muss als gemeinschaftliches europäisches Projekt verstanden werden, das vor allem benachteiligten Ländern Perspektiven bietet. Um das zu erreichen, kann eine Energiewende nicht auf Deutschland beschränkt bleiben.
Sie hat aus zwei Gründen nur als gesamteuropäisches Projekt einen Sinn: Zum einen würde damit der Nachweis erbracht, dass Deutschland kein Spezialfall ist, wie häufig behauptet wird. Auch eine größere Wirtschaftsregion kann den CO2-Ausstoß reduzieren, erneuerbare Energien installieren und die Energieeffizienz erhöhen (wobei Deutschland beim letzten Ziel hinterher hinkt). Zum anderen ist nur eine systematische Verteilung erneuerbarer Ressourcen über Europa hinweg wirklich effizient: Erneuerbare Energien können nur dann Elektrizität liefern, wenn auch Wind- oder Solarenergiequellen vorhanden sind. Über einen größeren geographischen Raum hinweg gleichen sich die Wind- und Wolkenfluktuationen aus. Damit wäre ein wichtiger Schritt getan, um höhere Produktionsmengen an erneuerbaren Energien zu erreichen.
Studien zeigen nun, dass eine europäische Energiewende ganz unterschiedlich aussehen könnte. Eine Möglichkeit ist der rasche Ausbau der Windenergienutzung in Nord- und Zentraleuropa. Eine andere Option ist der raschere Zubau von Solarenergiegewinnung in Südeuropa. Beide Szenarien sind mit ähnlichen Kosten verbunden. Das südeuropäische Szenario wird vor allem dann sehr zukunftsträchtig, wenn es gelingt, die geringen Kosten der Photovoltaik in Deutschland auch auf die südeuropäischen Länder mit hohem Solarpotential zu übertragen.
Auch andere Gründe sprechen dafür, eine Energiewende gen Süden zu orientieren. Die anhaltende tiefe Rezession und Arbeitslosigkeit in Südeuropa verlangen nach Taten. Europa sollte in seinen Süden investieren. Investitionen in Infrastrukturen bieten sich dafür besonders an. Gerade hier sind die langfristigen Effekte für das Wohlergehen der Bürger, aber auch auf das Wirtschaftswachstum am größten.
Deutschland muss in diesem Prozess eine aktive Rolle einnehmen. Wenn die Rezession in der Peripherie des europäischen Wirtschaftsraums anhält, würde letztendlich auch die Bundesrepublik leiden. Exporte würden wegbrechen. Die Erkenntnisse des Nobelpreisträgers Paul Krugman zeigen: Gerade weil der europäische Wirtschaftsraum vereinigt wurde, profitierte der Kern, etwa Deutschland und die Beneluxstaaten, am meisten. Peripheriestaaten dagegen – aus Sicht des einheitlichen Wirtschaftsraums – verloren ihre produktive Basis. Sie konnten nicht mehr gegen die sogenannte Agglomerationsdynamik des europäischen Kerns anhalten. Ökonomische Effizienz und Dynamik kreierten also automatisch Ungleichheit. Wer Gerechtigkeit als Kriterium zulässt, der findet eine gewisse Umverteilung in die Peripherie nur angemessen.
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Schließlich würde eine solidarische europäische Energiewende auch eine ganz andere Stimmung erzeugen. Europäer werden Klimaschutz als etwas Positives wahrnehmen: Ein Teilen der Vorteile statt der Lasten eines gesamteuropäischen Projekts.
Europäisches Projekt, neue Visionen
„Wunschdenken!“, wird jetzt der Vorwurf lauten. Wie soll ein solches Projekt bloß finanziert werden? Die Antwort lautet: aus der Klimarente. Wenn die Treibhausgasemissionen weiter begrenzt werden und wenn daraufhin der Preis für die Tonne CO2 steigt, dann können die Einnahmen aus dem Emissionshandel verwendet werden, um genau die notwendigen Investitionen in erneuerbare Energien und in Netze zu tätigen. Die zentraleuropäischen Staaten mit höherem Bedarf an CO2-Zertifikaten würden damit auch eine gesamteuropäische Energiewende mitfinanzieren. Aber auch lokal stehen Finanzierungsquellen zur Verfügung. Die Abschöpfung einer lokalen Landrente, etwa mit Grundsteuern, würde selbst in Griechenland Finanzierungsmöglichkeiten ermöglichen.
Einfach ist das Projekt einer europäischen Energiewende nicht. Nicht alles wird gleich richtig gemacht werden. Aber die Chancen sind groß, Vieles besser zu machen, als es gerade läuft. Eine europäische Energiewende könnte ein zentrales europäisches Projekt werden, das die Kehrtwende eines technokratischen Europas zu einem mit menschlichem Antlitz einläutet. Eine große Aufgabe und Chance, möglicherweise auch für eine große Koalition.
Das Dahrendorf Symposium ist eine Initiative der Hertie School of Governance, der London School of Economics and Political Science und der Stiftung Mercator. Ziel ist es, im Geiste Lord Ralf Dahrendorfs etablierte Denk- und Argumentationsweisen zur Zukunft Europas zu hinterfragen und der europäischen Debatte neue Impulse zu geben.
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