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Christoph Busse

Zahnbürsten - Ritterschlag von „Dr. Best”

Die Zahnbürstenfabrik von Margitta Siegel im Erzgebirge hat die Wende überlebt und produziert mittlwerweile 110 Millionen Zahnbürsten pro Jahr.

Autoreninfo

Steffen Uhlmann Jahrgang 1950, schreibt als freier Journalist für die Süddeutsche Zeitung. Er lebt und arbeitet in Berlin-Mitte.

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Eine Bürste ist eine Bürste, und Kehrschaufeln, Schrubber oder Besen sind schlichte Handwerkszeuge für den Hausgebrauch, die sich in Form, Funktion und Fertigung über Jahrhunderte hinweg dem technologischen Zeitgeist verweigern. „Von wegen“, sagt Margitta Siegel. „Wir fertigen hier intelligente Reinigungssysteme auf hochmodernen Anlagen.“

Man glaubt es der Chefin der Bürstenmann GmbH aus dem kleinen erzgebirgischen Ort Stützengrün, wenn man mit ihr durch den blitzsauberen Betrieb geht. Hier läuft fast alles vollautomatisch, computergestützt und präzise. Eine Massenfertigung, die dennoch individuelle Wünsche der Kunden berücksichtigt. Selbst Form und Farbe der Verpackung können sie sich aussuchen. Und das bei einer Auswahl von über 1500 Artikeln, darunter auch Zahnbürsten.

Die gibt es inzwischen in unzähligen Varianten: als Kurzkopf- oder Reisezahnbürsten, als Vier-Komponenten-Bürste in drei Borstenstärken oder als Sonderanfertigung für interdentale Pflegesets – in den verschiedensten Farben und Formen. Deutsche und internationale Kunden lassen in Stützengrün in Klein- bis Großserie Kunststoffgriffe spritzen, Borsten ein- und ihren Markennamen aufbringen. Selbst Bayern München ist Kunde bei Bürstenmann. Über 50 000 Zahnbürsten in den Farben Rot‑Weiß ordert der Fußballclub jedes Jahr für sein Fanartikelsortiment.

„Trotz der unterschiedlichen Aufträge und Wünsche produzieren wir die Zahnbürsten vollautomatisch“, erklärt die Bürstenmann-Chefin und zeigt auf drei neue Fertigungsstraßen, in der Roboter Spritzguss-, Beborstungs- und Verpackungsmaschinen miteinander verbinden: „Vorne kommt das Kunststoffgranulat rein und hinten die verpackte Zahnbürste raus. So einfach ist die Bürstenmacherei.“

So einfach ist sie natürlich nicht. Dahinter steckt nicht nur viel Erfindergeist, sondern auch der Behauptungswille eines ganzen Teams. Als der Genossenschaftsbetrieb mit damals noch fast 900 Beschäftigten in die Marktwirtschaft zog, schien sein Schicksal besiegelt. Die Traditionsfirma, die in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts im „Bürstenland“ Erzgebirge gegründet worden war, stand vor dem Aus. „Beinahe über Nacht hatten wir kaum noch Kunden und Märkte.“

Seite 2: Erfolgreiche Neuausrichtung

Siegel ist Betriebswirtin. Sie hat schon 1974 bei Bürstenmann als Assistentin angefangen. 1994 wurde sie Geschäftsführerin. „Wir Erzgebirgler sind zäh und bisweilen trotzig“, sagt sie. „Und wir haben uns durchgesetzt.“ Das aber hatte Bürstenmann kurz nach der Wende fast niemand mehr zugetraut. Schon 1991 empfahl die Münchner Unternehmensberatung Roland Berger, den Genossenschaftsbetrieb für eine D‑Mark zu verkaufen oder gleich ganz dichtzumachen. Genau das aber hat der ostdeutsche Konsumverband nicht getan. Martin Bergner, Vorstandssprecher der Berliner Zentralkonsum eG, zu der Stützengrün nun gehört, ist heute noch froh über diese „waghalsige wie sentimentale“ Entscheidung, den Betrieb weiterzuführen. „Bürstenmann ist eine Erfolgsgeschichte geworden“, sagt er. „Für den Zentralkonsum, den Osten überhaupt und auch für das im Aufwind befindliche gesamtdeutsche Genossenschaftsmodell.“

Zur erfolgreichen Neuausrichtung von Bürstenmann gehört auch der Betrieb Denta Bross, den man schon Anfang der neunziger Jahre mit dem westdeutschen Bürstenmulti M + C Schiffer, Neustadt/Wied, gegründet hat und der nun in Stützengrün für die Zahnbürstenproduktion zuständig ist. Über Schiffer habe die gemeinsame Tochter 2011 den Großauftrag vom britischen Pharma-Konzern Glaxo Smith Kline erhalten, erzählt Siegel. Das sei für Bürstenmann der „Ritterschlag“.

Glaxo Smith Kline, eine der größten Arzneimittelfirmen der Welt, lässt nun jährlich 40 Millionen Zahnbürsten seiner Marke „Dr. Best“ in Stützengrün fertigen. Statt 70 Millionen Zahnbürsten, rechnet die Geschäftsführerin hoch, fertigt das Unternehmen nun 110 Millionen pro Jahr an. „Das ist schon ein gewaltiger Sprung, wir sind jetzt die Nummer zwei unter Deutschlands Zahnbürstenherstellern.“

Margitta Siegel, inzwischen 62, denkt nicht daran, die Zügel bei Bürstenmann schleifen oder gar ganz loszulassen. Dabei liegt sie gern mal in der Sonne und sucht sich dafür Plätze, wo sie beinahe immer scheint. Und kommt auch dort nicht von ihrer Arbeit los. „Unlängst“, sagt sie, „habe ich doch tatsächlich Bürsten und Besen von uns in einem Laden auf Mauritius entdeckt.“ 

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