- Zwischen Kapuzen und Kruzefix
Die Franziskanerinnen und Kapuzinermönche im badischen Kloster Stühlingen haben ihr bisheriges Leben aufgegeben, um sich ganz Gott zu widmen. Der Fotograf Kiên Hoàng Lê begleitete sie einen Monat lang
Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus dem September-Heft des Cicero. Das Magazin für politische Kultur können Sie auch in unserem Online-Shop abonnieren.
Schwestern und Brüder, das schreibt sich jetzt locker flockig. Doch am Anfang waren die traditionellen Begriffe gewöhnungsbedürftig. Später wurde ich selbst Bruder Kiên gerufen. Die Schwestern und Brüder im Kloster hatten Vertrauen zu mir gefasst, zu dem 30 Jahre alten Fremden, der nicht christlich, sondern eher buddhistisch ist und versucht, die Welt durch seine Kamera zu verstehen.
Einen Monat lebte ich im Kloster Stühlingen an der Schweizer Grenze mit den vier Schwestern und vier Brüdern – eine einmalige Erfahrung.
Ein unbewusster Prozess der Assimilierung
Bruder Kiên – mein neuer Rufname fiel mir bald nicht mehr auf. Ein Assimilierungsprozess, der ganz unbewusst geschah. Das Leben im Kloster ist das Leben in einer Gemeinschaft mit ihren verschiedenen Individuen und einer ganz eigenen Gruppendynamik. Die gleiche Kleidung in Tracht – für die Franziskanerinnen – und Habit – für die Kapuziner – gibt den Klosterbewohnern eine Basis. Sie spiegelt den gemeinsamen inneren Ruf wider, ein Leben in Armut, Demut und für Jesus zu führen. Sie unterliegen aber keinem Trachten- beziehungsweise Habitzwang.
Die Schwestern und Brüder besitzen kein privates Geld. Besitztümer beschränken sich auf das Hab und Gut in ihren Zimmern. Für ihr leibliches Wohl ist im Kloster gesorgt, teils durch die Ernten aus dem Garten und teils aus Spenden der Supermärkte im Dorf, die ihre abgelaufenen Produkte dem Kloster schenken.
Freiheit in der Besitzlosigkeit
Die Besitzlosigkeit gibt den Menschen eine ungeheure Freiheit, sich auf etwas zu konzentrieren, ohne den Fokus auf die Grundbedürfnisse legen zu müssen. Man könnte fast sagen: ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das Ideal ist, dass die Gemeinschaft den Einzelnen versorgt. Der ist in der Lage, sich auf das zu konzentrieren, was er am besten kann. Diese Freiheit war früher größer, weil der Zustrom und Zuspruch zu den Orden zahlreich und die Belastung des Einzelnen geringer war.
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Heute spüren die Orden die Säkularisierung. Es kommen vielleicht ein, zwei Novizen pro Jahr hinzu, und dann ist nicht sicher, ob sie sich für ein Leben im Kloster entscheiden. Was bleibt, ist eine ökonomische Rechnung. Wie erhalte ich Klöster, wenn die Kräfte schwinden?
In der ersten Phase muss der Einzelne mehr Verantwortung und mehr Zeit für die weltlichen Aufgaben aufwenden. Die wachsenden Aufgaben sind eine große Belastung für die Schwestern und Brüder. Es braucht Zeit, Ruhe und Besinnung, um in sich zu gehen und den spirituellen Dialog zu führen.
Orden haben die Regeln gelockert
Wenn auch das Bündeln der Kräfte nicht mehr ausreicht, müssen entweder Klöster geschlossen oder Mitglieder anderer Orden sowie Laien aufgenommen werden. Im Kloster Stühlingen haben die Kapuziner Franziskanerinnen des Klosters Reute in Oberschwaben eingeladen, mit ihnen gemeinsam ein Kloster zum Mitleben zu gestalten. Die Franziskanerinnen sind quasi bei den Kapuzinern angestellt und dennoch gleichgestellt.
Es ist eine radikale Entscheidung, ins Kloster zu gehen, alles aufzugeben und in eine neue Familie einzutreten. Die Kirche und die Orden haben allerdings die Regeln gelockert. Schwestern und Brüder besuchen ihre Familien und fahren sogar mit ihnen in den Urlaub.
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