- Gefährliche Nestwärme
Die Luxusreise eines FAZ-Autors mit ThyssenKrupp-Managern ist nur der dreisteste jüngere Fall journalistischer Grenzüberschreitungen. Die Wege, wie sich Zeitungen Firmen mit großen Werbeetats andienen, sind subtiler. Je tiefer sie in die Krise geraten, desto mehr fallen die Hemmungen
Will man das Verhältnis von Journalismus und der PR-Industrie in einem Satz beschreiben, so müsste dieser so lauten: Die Relevanz eines Vorgangs ist umgekehrt proportional zur Alimentierung der mit ihm befassten Berichterstatter.
Anders gesagt: Je größer das Bankett, desto unwichtiger die Veranstaltung. So wird über manche Unternehmens-Pressekonferenz nur wegen der dort servierten Lachshäppchen berichtet. Umgekehrt gilt: Nachrichtenwert gibt es vor allem da, wo Journalisten draußen vor der Tür stehen müssen. Noch spannender wird es, wenn sie hungrig in der Mülltonne wühlen.
Der frühere US-Präsident Theodore Roosevelt nannte die zweite Sorte Journalisten einmal „muckraker“ – jene, die im Schmutz stochern. Obwohl das sicherlich nicht als Kompliment gemeint war, stand der Begriff seit jeher für kritische, investigative Recherche.
Und so ziemlich für das Gegenteil dessen, was die Frankfurter Allgemeine Zeitung jüngst über die ThyssenKrupp AG schrieb. Der angeschlagene Stahlriese hatte einen Wirtschaftsredakteur teuer durch China chauffiert. First-Class-Flug und Fünfsternehotel inklusive – insgesamt rund 15.000 Euro, schätzte die Welt am Sonntag. Mit Erfolg: Fundamentale Kritik sucht man in dem anschließend veröffentlichten Artikel vergeblich. Die Praxis, Journalisten derart zu pämpern, bedeutete für den verantwortlichen ThyssenKrupp-Vorstand Jürgen Claassen vorerst das Aus. Am Mittwoch entließ der Konzern auch noch drei weitere Vorstandsmitglieder. Am kommenden Montag soll endgültig über die Zukunft der betroffenen Manager entschieden werden.
Auf die Frage, ob auch die FAZ daraus Konsequenzen zog, antwortete ein Unternehmenssprecher nicht. Er verwies auf eine entsprechende Verlautbarung, wonach die Redaktion ein Thema allein nach seiner Relevanz auswähle.
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Was beim einzelnen Journalist noch als individueller Fehltritt gelten könnte, wird spätestens dann verdächtig, wenn es die Hausebene erreicht. Überträgt man die eingangs aufgestellte Regel also auf die Verlagsebene, wird aus dem Lachshäppchen schnell die Werbespalte, aus der Sponsoring-Reise die Anzeigenreihe.
Eine Zeitung finanzierte sich früher noch zu zwei Dritteln aus Anzeigen und zu einem Drittel aus Verkaufserlösen. Dieses Verhältnis hat sich nun nicht nur auf ein Fünfzig-Fünfzig verändert, die Rubrikenmärkte sind obendrein noch ins Netz abgewandert. 2011 schrumpften die Werbeeinnahmen der Zeitungen – trotz guter Konjunktur – um 2,1 Prozent. „Nur die Traueranzeigen scheinen bislang unberührt zu sein“, seufzte Konstantin Neven DuMont, Erbe des Kölner Zeitungshauses M. DuMont-Schauberg.
Aus Sicht eines Werbestrategen ist eine Zeitungsseite also noch ungefähr so hipp wie ein Grabstein.
Und doch gibt es in dieser Branche nicht nur morbides Schwarz, sondern sehr viel Grau. Da die Zeitung schlecht dafür sorgen kann, dass mehr Leute sterben, pflegt sie stattdessen das „redaktionelle Anzeigenumfeld“. Bei der Süddeutschen Zeitung ist das die „Geld“-Seite im Wirtschaftsteil. Anlegertipps, Börse, Versicherungen: Wo das hochsolvente Publikum treffsicher erreicht werden kann, finden sich eher Geldinstitute, die ein paar Münzen locker machen. Das ist so lange in Ordnung, wie nicht die Kontakte zu Werbekunden die Auswahl der Inhalte beeinflussen. Wie nicht die Alimentierung aus den Anzeigenetats die redaktionelle Relevanz diktiert. Kontrollieren lässt sich das freilich selten.
Manchmal aber kommt es doch heraus. Jüngst skizzierte der Spiegel, wie im Verlagshaus Gruner + Jahr – wo das muckraking einst vorbildlich gepflegt wurde – munter die Grenzen zwischen Werbung und Redaktion überschritten werden. Die Zeitschrift „Essen & Trinken“ leitete seine Leser an, Plätzchen in Form eines bestimmten Parfumflakons zu backen. Vorstandsfrau Julia Jäkel hielt das nicht für verwerflich: „Es geht hier um Plätzchen, Leute!“
Seite 2: Besorgniserregende Nähe von Lokalzeitungen zu örtlichen Firmenketten
Auch der Konkurrent Bauer Media Group schätzt die Nestwärme für Anzeigenkunden: die Maskara-Anzeige neben den Schminktipps in der tina, die Wunderdiät neben dem Rohkostrezept in der Laura. Es ist ein lukratives Geschäftsmodell: Für 2012 – mitten in der Medienkrise – erwartet der Verlag einen Erlös von 2,2 Milliarden Euro. 2013 will Bauer Gruner + Jahr als größtes europäisches Zeitschriftenhaus überholen.
Gefährlich ist diese Praxis aber nicht so sehr in irgendwelchen Wellness-Heftchen, sondern da, wo Journalismus kritisch sein soll, wo er konkurrenzlos ist und daher umso unersetzbarer: im Lokalen. Hier ist das Verhältnis der Zeitungen zu ansässigen Firmen besonders empfindlich. Die einseitigen Lokalanzeigen von Kettenfirmen wie Lidl, Aldi oder Media Markt sind eine sichere, wichtige Einkommensquelle für regionale Tageszeitungen. Mit ihren Werbeetats verfügen sie über eine schmerzhafte Daumenschraube in den Redaktionen. Es gilt also, diese Firmen nicht mit allzu kritischen Berichten zu verärgern.
Oder besser noch: langfristig gute Beziehungen aufzubauen.
Möglicherweise zielte auch das Sommerprojekt der Sächsischen Zeitung Kamenz mit der dort ansässigen Helios-Klinik Schwedenstein in diese Richtung. In einer siebenteiligen „Exklusivserie“ stellte das Lokalblatt ausgewählte psychische Erkrankungen vor. Alle wurden in dem privaten Krankenhaus behandelt. Die Serie lief ganzseitig, mit ärztlichem Experten-Interview, Reportage und Therapietipps. Und natürlich mit mehr oder weniger ausgeheilten Patienten: die Adipositas-Frau, die die Schwedensteinklinik „in höchsten Tönen“ lobt. Die Magersüchtige, die die strengen Hausregeln „inzwischen richtig“ findet. Der schlaflose Pfarrer, der „endlich Zeit für sich selbst gefunden“ habe. Der von Panikattacken Geplagte, der gelernt hat, „dass er keine Angst mehr vor der Angst haben muss“.
Helios warb auf seiner Webseite mit der Zeitungsserie. Die Krankenhauskette wies auf Cicero-Online-Anfrage jegliche Einflussnahme ab. Es sei kein Geld geflossen, zumal die Zeitung selbst auf den Konzern zugegangen sei. Für den Umgang mit Presse gebe es intern strenge ethische Richtlinien, sagte eine Helios-Sprecherin.
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Die private Fernsehbranche hat sich selbst gerade einen bemerkenswerten Verhaltenskodex zu Produktplatzierungen gegeben. Demnach dürfen Sender erst dann über solche Werbeformen beraten, wenn ein fertiges Drehbuch eingereicht wurde. Der gemeinsame Kodex des Verbands Privater Rundfunk und Telemedien, der Produzentenallianz und des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft soll verhindern, dass Filme oder Serien gezielt auf Produkte zugeschnitten werden.
Der Kodex geht damit sogar weiter als der Pressekodex, der Zeitungen und Zeitschriften eine Trennung von Werbung und Redaktion vorschreibt. Wann ein Redaktionsumfeld anzeigenfreundlich ist, ist dort nämlich nicht definiert. Der zuständige Presserat beschäftigt sich daher meist nur mit offensichtlichen Grenzübertritten. Etwa mit Schleichwerbung in der Online-Ausgabe des Münchner Merkurs: Die Zeitung hatte ohne Not eine Stirnlampe als „Outdoorteil der Woche“ angepriesen – inklusive Preis und Link auf die Bestell-Webseite. Der Presserat sprach am Donnerstag eine Rüge aus.
Weil aber nicht jeder Fall so eindeutig ist, passieren immer wieder Sachen, die etwa die taz vor anderthalb Jahren aufdeckte. Der Rechercheur gab sich als Werbeagent aus und fragte diverse Verlage, ob er nicht gegen Geld Artikel kaufen könne. Bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, dem Neuen Deutschland und der Frankfurter Rundschau gelang ihm das sogar. Letztere habe für den Reiseteil sogar eine Kombination aus Anzeige und Artikel angeboten: „Wenn ich eine ganze Seite buche, dann kann man schon über die zweite Seite redaktionell reden. So als Hausnummer.“
Die Frankfurter Rundschau befand sich schon damals im Siechtum.
Hinweis: Der Artikel wurde am 6.12. um 16.20 Uhr aktualisiert und um die Mitteilung des Presserats ergänzt.
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