- Bonbons für Königinmutter
Die eigene Basis hat sie abgewatscht. Gerade deshalb werden die Grünen Claudia Roth am Wochenende zur Königinmutter der Herzen küren. Es dürfte das letzte Mal sein, dass diese Partei-Logik funktioniert. Denn die Signale stehen auf Wechsel: Die grüne Basisdemokratie frisst ihre Mütter
Sie werden sie herzen. Sie werden sie umjubeln. Sie werden ihr voraussichtlich das beste Wahlergebnis ihrer Amtszeit bescheren. Genau eine Woche wird es her sein, dass die grünen Parteimitglieder ihrer Vorsitzenden den Boden unter den Füßen wegstimmten. Doch am kommenden Samstag soll Claudia Roth wieder auferstehen aus den Ruinen, die mit der Urwahl der Spitzenkandidaten über ihr einkrachten. Wenn die grünen Delegierten auf ihrem Parteitag in Hannover ihre neue Parteispitze wählen, werden sie die Verliererin zur Gewinnerin küren. Die Frau, der die eigene Basis gerade krachend attestiert hat, dass man sie für eine ziemliche Fehlbesetzung hält auf der Wahlkampfbühne, soll als Königinmutter der Herzen weitere zwei Jahre die grüne Partei führen.
Wie das geht? Ziemlich prächtig sogar! So prächtig, dass man das aktuelle Szenario für einen ausgeklügelten strategischen Schachzug halten könnte, wenn es nicht einzig der schönsten Unberechenbarkeit einer Urwahl geschuldet wäre. Aus dem Überraschungs-Ei, das die grüne Basis ihren Parteioberen ins Nest gelegt hat, wird so eher zufällig ein allseits kompatibles Personaltableau für die Bundestagswahl: ein Spitzenduo aus einem linken Herzbuben Trittin und einer wertkonservativen Kreuzdame Göring-Eckardt für die Außenrepräsentanz und dazu nun Claudia die Erste als Königinmutter, die den grünen Laden nach innen zusammenhält.
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Tatsächlich hat es gute Gründe, dass prominente Grüne die demontierte Roth nach ihrem Urwahldebakel geradezu bestürmt haben, den Bettel als Parteichefin nicht hinzuschmeißen. Mit einem „Candystorm“, der Positivalternative zum „Shitstorm“, rief Parteifreund Volker Beck via Twitter dazu auf, die Enttäuschte mit verbalen Bonbons zu überhäufen. Die Twitter-Versüßungskampagne „Claudia muss bleiben“ hat offenbar Wunder gewirkt gegen Roths „Zweifel und große Zerrissenheit“.
Vor allem aber Politiker des grünen Realo-Lagers, sonst wahrlich nicht Mitglieder des Roth‘schen Fanclubs, bedrängten die Düpierte, am kommenden Samstag in Hannover wieder anzutreten. Das süße Lob, mit dem da einige die oft bespöttelte Parteichefin überschütteten, war zwar peinlich dick aufgetragen. Aber es war durchaus klug kalkuliert. Denn ohne Roth hätten die Grünen am Wochenende nicht nur ohne eine ernst zu nehmende Bewerberin auf den Parteivorsitz dagestanden. Sie hätten auch ein unverzichtbares Bindeglied zu ihrer eigenen Geschichte verloren.
Denn die 57-Jährige nervt zwar längst auch innerhalb der eigenen Reihen. So sehr, dass die grüne Basis sie mit ihrer hyperventilierenden Betroffenheitsdramatik und der euphorischen Aufbruchsmetaphorik nicht mehr vor den Wahlkampfkameras und schon gar nicht als mögliche spätere Ministerin sehen wollte. Da teilt die Grünen- Chefin übrigens das Schicksal eines Sigmar Gabriel. Auch den mag seine eigene Partei dem Wählervolk nicht als Kanzlerkandidaten zumuten. Doch Gabriel ist dem Kampf um die Spitzenkandidatur wohlweislich aus dem Weg gegangen. Roth hat ihn gesucht und sich dabei Beulen geholt.
Dennoch wird sie derzeit händeringend gebraucht. Denn Roth verkörpert wie niemand anderes grüne Weltverbesserungsutopie und Radikalität. Die droht ihrer Partei zunehmend abhanden zu kommen, ist aber auch in der bürgerlich gewordenen grünen Klientel durchaus noch erwünscht. Gerade mit der Wahl ihrer Konkurrentin Göring-Eckardt zur Spitzenkandidatin gewinnt Roth in dieser Rolle an Gewicht. Denn sie kann der Partei und der grünen Klientel Ängste nehmen: vor einer Öffnung in die bürgerliche Mitte und womöglich in schwarz-grüne Kreise. Damit sich die Grünen – wie in Baden-Württemberg – neue Wählermilieus erschließen können, braucht es zugleich die Königinmutter in Berlin, die qua Person demonstriert: schaut her, wir sind doch noch ganz die Alten.
Sind sie aber nicht. Wenn die Urwahl eines gezeigt hat, dann ist es das: die grüne Basis will auch neue, jüngere Gesichter. Wenn sie in die Zeitung schaut oder in Talk-Runden, will sie nicht mehr nur die alten Kempen. Eine nachwachsende Grünen-Generation will sich zwar nicht vom alten Gründungscredo ihrer Partei lossagen – aber sie hat genug von den eingefahrenen politischen Schlachtmustern. Und sie will sich nicht mehr allein von den Nach-68er-Veteranen repräsentieren lassen.
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Claudia Roth, die immer beanspruchte, das Ohr am Puls der Basis zu haben, hat diese Warnsignale unterschätzt. Sie, die die Urwahl mit ihrer Bewerbung um die Spitzenkandidatur erst losgetreten hat, muss nun eine Lektion lernen: nicht nur Revolutionen fressen ihre Kinder. Auch Basisdemokratien können ihre Eltern fressen, wenn diese nicht erkennen, den angestammten Platz rechtzeitig zu räumen.
Das gilt übrigens nicht nur für Claudia Roth. Es gilt auch für Renate Künast. Die nämlich ist, wenn die alte Parteichefin am Wochenende wieder zur neuen gewählt wird, die wahre Verliererin der Urwahl. Für Künast ist das basisdemokratische Votum nach der vergeigten Berlin-Wahl die zweite Schlappe in Folge. Als Fraktionschefin ist sie damit geschwächt und noch sichtbarer angezählt als Claudia Roth. Die kann am Samstag auf dem Parteitag immerhin in einem Regen süßer Bonbons baden. Aber auch diese Sympathie, die die Basis ihr damit erweist, ist eher ein Stück grüne Selbstvergewisserung auf Zeit. Sie bedeutet keine reale Macht mehr.
Dahinter zeigt sich neben einer persönlichen auch eine politische Tragik. Die Grünen, die Pioniere der Frauenquote, die Partei, die vor allem von ihrer weiblichen Wählerbasis lebt, hat ein Frauenproblem. In ihrer Führungsebene gibt es derzeit keine starken Politikerinnen, die intern unumstritten sind und zugleich nach außen überzeugen. Auch Katrin Göring-Eckardt, die jetzt so hoch Gelobte, ist eher Projektionsfläche für die Hoffnung auf grüne Resonanz im bürgerlichen Lager. Ihren Erfolg bei der Urwahl hat sie weniger eigener Überzeugungskraft als den Wahlerfolgen von Winfried Kretschmann und Fritz Kuhn zu verdanken. Um als Hoffnungsträgerin grüner Frauenpower zu taugen, müsste sich auch Göring-Eckardt erst einmal neu erfinden.
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