- Merkel vs. Kohl vs. Schäuble
Das Verhältnis zwischen Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble ist zerrüttet. Beide verbindet dieser Tage ein rundes Jubiläum: Kohl feiert 30 Jahre Amtsantritt, Schäuble seinen 70. Geburtstag. Angela Merkel spricht auf beiden Festakten. Die drei verbindet ein spannungsgeladenes Verhältnis
Es ist müßig, die Frage zu stellen, ob Wolfgang Schäuble das Zeug zum Kanzler gehabt hätte. Hätte er. Und er hätte sich das Amt zugetraut, wie auch die Wähler, bei denen dieser nicht unkomplizierte und keineswegs widerspruchsfreie Mann aus dem Kabinett Angela Merkels unverändert sehr beliebt ist. Sie, die amtierende Regierungschefin, steht laut jüngster Spiegel-Beliebtheits-Skala auf Platz 2, auf Platz 4 nach Frank Steinmeier folgt bereits der Finanzminister, der nun wahrlich keinen einfachen Job hat.
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Am heutigen Dienstag feiert Schäuble, seit einem Pistolenattentat im Jahr 1990 an den Rollstuhl gefesselt, seinen 70. Geburtstag. Wie um sich selber ein Geschenk zu machen, hat er erst jüngst angekündigt, auch dem nächsten Bundestag noch einmal angehören zu wollen. Man darf vermuten, was er wirklich meint: Nicht als Kanzler, der Zug ist endgültig abgefahren, wohl aber weiterhin als Minister in der nächsten Bundesregierung! Die Aussichten dafür stehen nicht schlecht, zumal Angela Merkel nicht nur Ziemlich beste Freunde zusammen mit ihm im Kino betrachtet, sondern ihn offenbar auch erfolgreich durch alle Krisen hinweg zum Verbleiben ermuntert hat.
Mir geht es hier aber nicht um ein Geburtstagsständchen für Schäuble, das er gewiss verdient hat. Vielmehr möchte ich die Gelegenheit zum Anlass nehmen, über das politische Dreigestirn der Christdemokraten zu reden, das die Unionspolitik seit Jahrzehnten entscheidend prägt: Also über Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble und Angela Merkel. Über die Drei – und Europa. Sie, die Frau aus dem ostdeutschen Pfarrrhaus, wurde Kanzlerin und trat Kohls Erbe an, ihm aber wurde diese Chance auf die Kohl-Nachfolge strikt verwehrt, als die Zeit dafür reif erschien – von Kohl selber.
Ich meine, dass Schäuble mit Recht der „letzte Europäer“ im Kabinett Angela Merkels genannt worden ist, und er selber hat dieses Etikett auch durchaus gerne zitiert. Implizite hieß das für die Journalisten, die ihn so titulierten, dass die Regierungschefin selbst dazu selbst nicht wirklich zu zählen sei – ein Satz, der Schäuble selbst natürlich nie über die Lippen käme. Ein historischer Rückblick in politischer Absicht – und darum geht es mir – kann weder diesen kleinen Unterschied verschweigen, noch kann er übergehen, mit wem man da Schäuble auf eine Ebene hievt, mit Helmut Kohl nämlich. Mag man es Ironie der Geschichte oder doch eher eine tragische Pointe nennen – Kohl und Schäuble verbindet, dass sie die europäische Tradition der frühen bundesdeutschen Gründergeneration verkörpern, ja man kann getrost Schäuble in Sachen Europa den wahren Erben Kohls nennen.
Ausgerechnet die beiden, in denen man die Grundprinzipien der alten Bundesrepublik unverfälscht wiedererkennt, sind zugleich aber untereinander aber auf die bitterst denkbare Weise überworfen. Nicht einmal mit dem berühmten Wort von der „Männerfreundschaft“, mit dem Kohl und Franz Josef Strauß ihre Rivalität notdürftig verkleisterten, wurde dieser Bruch kaschiert. In Wahrheit übrigens ließ der Bayer von seiner Verachtung für den Parteifreund aus der Pfalz nie ab, den er als „total unfähig“ verhöhnte. Und dennoch war die Differenz anderer Art. Strauß sprach Kohl die notwendige Sachkompetenz ab und die Bereitschaft, sich kalt genug auf den Machterwerb zu konzentrieren; ja, Kohl dachte ihm nicht kategorisch, nicht prinzipiell genug, er war angeblich nicht bereit, sich mit dem härtesten, denkbaren Konfrontationskurs dem politischen Gegner in den Weg zu stellen. Das erforderte aus Strauß’ Sicht die Absage an das heimlich Konsensuelle der alten Bundesrepublik.
Die Fehde zwischen Kohl und Schäuble übertrifft alles
Abgesehen davon, dass Strauß Kohls Machtorientierung schlicht unterschätzte – die Kluft zwischen Kohl und Schäuble erscheint sogar tiefer aus einem ganz anderen Grund: Im Prinzipiellen, und das zeigt sich gerade jetzt, sind sie beide nämlich Kinder der alten Bundesrepublik, es verband und verbindet sie durchaus ein substantieller Konsens. Helmut Kohl, der sich selbst einen „Enkel“ Adenauers nannte, war dies in einer Hinsicht tatsächlich: Von der Notwendigkeit der europäischen Integration blieb er durch alle Wirrungen hindurch fest überzeugt, und als es darauf ankam, 1989, ließe er auch keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass er ein „europäisches Deutschland“ und kein „deutsches Europa“ wolle. Das war Wolfgang Schäuble, dem Mann aus einem besonders konservativen Winkel im ohnehin konservativen Baden, so nicht ganz in die Wiege gelegt, wohl aber wirkte sich die Nähe zu Frankreich aus. Den „deutsch-französischen Geist“, oder wie immer man es nennen mag, hatte er bereits inhaliert, als er 1972 erstmals in den Bonner Bundestag einzog, auch wenn er sich damals auf ganz andere Fragen kaprizierte und durchaus als parlamentarischer Scharfmacher galt, der mit bellikosem Gestus fast wie Strauß der Opposition Paroli bot. Nichts da von Konsens! 1990, in dem Jahr, in dem ihn die Kugel des Attentäters einholte, bewies er seine Kunst als Polit-Manager und handelte den Einheitsvertrag aus.
Damals pflanzte Schäuble noch eine schwarz-rot-goldene Fahne auf seinem Schreibtisch auf, sodass man fast meinen konnte, das „Nationale“ im größeren Deutschland steige ihm nun zu Kopf. Andere sprachen immerhin bereits von „Rückruf in die Geschichte“ und dem neuen Selbstbewusstsein, das Deutschland – endlich keine „große Schweiz“ mehr! – an den Tag legen müsse. Nicht so Schäuble, man hatte sich in ihm geirrt! Wie Kohl, begann er, die alte Bundesrepublik zu verteidigen gegen solche deutschnationale Kritik, und 1994 endlich verfasste er mit seinem Parteifreund Karl Lamers das legendäre Papier über ein künftiges „Kerneuropa“, Frankreich und Deutschland im Zentrum, ohne das die weitere Integration nicht denkbar sei; und das diese Integration auch vorantreiben müsse, wenn andere noch nicht Schritt halten könnten. Damit war er endgültig zum „Europäer“ mutiert. Seitdem, also auch während des Beginns der Griechenland- und Euro-Krise im Jahr 2008, kam an seiner europäischen Grundorientierung nie mehr ein Zweifel auf.
Man kann sogar noch weiter gehen: Von Schäuble wie von Kohl lässt sich mutmaßen, dass ihnen dieses Prinzip – Europas Zusammenschluss und ein europäisches Deutschland – jeden Preis wert gewesen wäre. Bei Kohl wurde es nicht ausgetestet, Europa erwies sich zu seiner Zeit – vom 1. Oktober 1982 an, also vor dreißig Jahren, als er Helmut Schmidt ablöste, bis zum Machtwechsel 1998 – als Prosperitätsgemeinschaft, alle profitierten davon, besonders die Deutschen, die sich als „Zahlmeister“ feiern ließen. Ich glaube jedoch, man kann sagen, Kohl hätte seine Kanzlerschaft dafür in die Waagschale geworfen, um diese Idee von den „Vereinigten Staaten von Europa“ zu retten. Sein Biograph Hans-Peter Schwarz vermutet – trotz aller Sympathie für den „Riesen“ – gerade deshalb, Kohl könne als tragische Figur in die Geschichte eingehen, weil er zu viel Europa wollte, und dafür auch den „Euro“ einzuführen bereit war. Wie Kohl, nehme ich an, wäre auch Schäuble bereit gewesen, Kurs zu halten und Europa zu retten.
Man spürte während der letzten drei Jahre häufig, dass er darüber auch anders dachte als Angela Merkel. Auf eine bloße „Fiskalunion“, wie es lange hieß, hätte er das europäische Projekt nicht verkürzt. Sieliefert jetzt nach. Für die Kanzlerin aber, das erwies sich nach Monaten des Zauderns, ist Europa allenfalls eine pragmatische Notwendigkeit, weil ein Scheitern des Projekts schlimmer wäre – schlimmer im ökonomischen Sinne – als eine Fortsetzung. Aber selbst bei ihrem Auftritt vor der Presse am Montag, brav und bieder und lustlos und natürlich durchaus sattelfest zugleich, entwarf sie nicht etwa das Bild eines künftigen Europa, von dem man sagen könne, es mache den deutschen Einsatz plausibel und es werbe um Verständnis dafür, dass es lohne, eine Durststrecke durchzustehen. Ihr Europa der „Anforderungen und der Solidarität“, wie die neue Formel nun lautet, bleibt in Wahrheit eines des jeweils allerkleinsten nächsten Schrittes. Dazu gehört inzwischen zwar auch, dass man ein bisschen Mitgefühl zeigt und neues Wachstum nach der Zeit der Prüfungen und dem Gang der Südeuropäer durch tiefe Täler verspricht – aber man hört zu und ist sich seltsamerweise immer noch sicher. Der Satz trifft unverändert zu, ja, Wolfgang Schäuble ist der „letzte Europäer“ im Kabinett, nicht sie.
Kohl verweigerte Schäuble die Nachfolge, jetzt müssen beide mit Merkel leben
Beide zusammen, Kohl und Schäuble, hätten vielleicht die Kraft gehabt, der verängstigten Politik Mut zu machen – beide großen Volksparteien werden heimgesucht von nationalen Wallungen über die schludrigen Südeuropäer, die an unser Geld wollen, beide schielen aufs Publikum! Aber der Bruch ist nicht zu kitten. Zuerst, man kann es nachlesen in der Schwarz-Biographie, verwehrte Kohl 1997 und 1998 ganz gezielt Schäuble den Wunsch, als sein Nachfolger antreten zu können. Rationalisiert hat Kohl das offenbar damit, Schäuble werde selbst aus den eigenen Reihen, der CSU und von seiten der FDP nicht hinreichend Stimmen gewinnen, und die Wähler akzeptierten den Mann im Rollstuhl nicht. Man kann auch sagen: Kohl wollte es nicht austesten, er wollte einen Machtwechsel, falls er verliert. Punkt. Später hat Kohl auf die schmerzhaftest mögliche Weise Schäuble in der Affäre um die Parteispenden desavouiert und beim Sturz ihn selber mitreißen wollen. Das letzte Gespräch zwischen beiden muss auf eine dramatische Weise verlaufen sein, wie sie Drehbuchautoren kaum zu erfinden vermöchten. Wenn Lyndon B. Johnson und Robert Kennedy, der Bruder des ermordeten Präsidenten, Anfang der 60er Jahre die „Fehde des Jahrhunderts“ austrugen in den USA, so könnte man wohl ähnliches von dieser Fehde sagen, auf deutsche Maßstäbe übertragen.
Angela Merkel und Jacques Delors werden am 27. September in Berlin an den Machtwechsel vor dreißig Jahren erinnern. Geplant ist: Mit Kohl gemeinsam. Er wird es sich gefallen lassen, es geht ihm nicht sonderlich gut. Aber ob man deshalb gleich glaubt, sie sei die legitime Erbwalterin des „Alten“ aus Oggersheim, die Europäerin, die treu in seinen Spuren wandelt? Woher denn! Nicht zufällig hat er vor einiger Zeit in einem sehr raren Interview (in der Zeitschrift IP, Internationale Politik) erklärt, er warne davor, am europäischen Kurs zu rütteln. Wiederholen wird er es so allerdings auch nicht, er wird ja geehrt.
Nein, derjenige, dem Kohl bescheinigen könnte, er verfolge die Idee von Europa getreulich weiter, die auch ihn umtrieb, wäre allein Wolfgang Schäuble, der Mann, den er nicht zum Nachfolger gekürt wissen wollte, dem er das Kanzleramt nicht zutraute und zu dem keine Brücke mehr führt.
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