- Schröders Buch ist mutig und revolutionär
Die Kritik an Familienministerin Schröder grenzt an eine Hetzjagd. Dabei fordert sie in ihrem Buch nichts anderes als die Selbstbefreiung der Frau. Warum sie für dieses mutige Plädoyer Lob verdient. Der Kommentar eines modernen Mannes
Vor fast genau 40 Jahren hat eine junge Journalistin ein Buch darüber geschrieben, wie Frauen von Männern unterdrückt werden. Sie wurde daraufhin von vielen Frauen verehrt und von ganz vielen Männern gehasst. Das Buch hieß „der kleine Unterschied“. Die junge Journalistin Alice Schwarzer.
Letzte Woche hat Kristina Schröder ihr Buch vorgelegt. Sie ist Bundesfamilienministerin, nicht viel älter als Alice Schwarzer damals. Der kleine Unterschied: Schröder geht es um die Unterdrückung der Frauen durch die Frau. Sie prangert weibliche Rollendiktate an. Und sie wird, so scheint es, dafür von den meisten Frauen gehasst. Das Buch wurde fast durchgehend verrissen, Politikerinnen und Jungfeministinnen fordern ihren Rücktritt. Ihre Buchvorstellung soll laut Presseberichten tumultartig gewesen sein. Und was sagen die Männer?
Zugegeben, es ist wirklich nicht schwer, Kristina Schröder uncool bis unsympathisch zu finden. Ein Blick auf das Buchcover genügt schon. Dieses aufgesetzte Lächeln in die Kamera. Dieses möchtegern selbstsichere Den-Arm-in-die-Hüfte-Stemmen. „Ich bin nicht die Gouvernante der Nation“, sagt sie. Sie wirkt aber so, denkt man. Irgendwie bemüht.
Und trotzdem: ihr Buch ist eine Streitschrift par excellence. Gut geschrieben, gut getroffen und vor allem mutig. Noch nie vor ihr hat eine Frau (geschweige denn ein Mann) in verantwortlicher Position sich so deutlich gegen den feministischen Zeitgeist aufgelehnt. Ihr Buch hat etwas Unerhörtes, ja im Grunde Revolutionäres. Und niemandem scheint es aufzufallen, weil alle über das Betreuungsgeld reden und über Kitaplätze. Was ja auch wichtig ist.
Schröder ist die erste Frau in verantwortlicher Position, die offen sagt: Schluss mit dem Rollensqueezing und der Anpassung des Lebens an die Ansprüche anderer! Es wird Zeit, dass sich die Arbeitswelt an den Menschen anpasst, vor allem an die Frau, nicht umgekehrt. Das Leben als Entfremdungserfahrung: Das hat man so deutlich zuletzt bei Marx oder Adorno gelesen.
Mit einem Unterschied. Schröder spart sich den ideologischen Überbau. Sie schreibt kein richtiges Leben vor und verurteilt kein vermeintlich falsches. Ihr Buch liest sich auch nicht in erster Linie als Abrechnung mit dem Feminismus. Es richtet sich gegen die Fremdbestimmung der Frau und die Unterwerfung unter das Diktat der Ökonomie, zu dessen verlängerten Arm der Feminismus verkommen ist. Damit hat sie doch recht!
Warum Schröder ausgerechnet im Prenzlauer Berg ausgebuht wurde
Im Zentrum ihres Plädoyers steht die existenzialistische Forderung nach der Selbsterfindung der Frau, die individuelle Suche nach „Selbst-Bewusstsein“. Das ist weniger banal als es klingt. Denn bisher wurde die Frau immer extern definiert. Lange Zeit von Männern, die in ihr nur das Heimchen am Herd sehen wollten, schließlich von der Frauenbewegung, die seit den 70er Jahren den Typ der Karrierefrau als einziges Modell der Selbstverwirklichung propagiert.
Egal ob sie Alice Schwarzer, Bascha Mika oder Elisabeth Badinter heißen, die Botschaft ist immer die gleiche: Wir wissen, was gut für euch ist. Diesem „Maternalismus“ - falls es das Wort noch nicht gibt, sei es hiermit erfunden - stellt Schröder nun die Befreiung der Frau von der Bevormundung durch Frauen entgegen. Die Frau soll ein Recht darauf haben, in Ruhe gelassen zu werden. Das ist der Schlussstein der Emanzipation.
Sturm im Bionadeglas
Auch mit dieser Forderung hat sie Recht. Ich sehe täglich, wie meine Altersgenossinnen unter ihrer unsichtbaren Zwangsjacke leiden. Soll ich noch einen Doktor machen? Oder lieber Beamtin werden? Darf ich jetzt schon Kinder bekommen? Als Mann Anfang 30 bin ich umgeben von High Potentials, von Frauen mit überragender Ausbildung. Oft einer besseren als der von uns Männern.
Aber während wir Männer das Leben locker angehen, reibt sich eine ganze Generation ferngesteuert wirkender Mittelstandsmädchen in irgendwelchen Rollenprojektionen auf. Sie wollen alles richtig machen, schaffen das auch und werden doch immer unzufriedener. Viele Frauen sind die perfekten insecure overachievers, die Alles-richtig-Macherinnen, die den äußeren Maßstäben entsprechen, aber innerlich entkernt scheinen.
Dass Kristina Schröder in Berlin Prenzlauer Berg, dem Kokon der Nation, ausgebuht wurde, verwundert nicht. Die Prenzlberg-Muttis sind die ideale Zielgruppe für die Thesen Schröders. Hier sitzt eine seltsam satte Akademiker-Elite aufeinander, die für ein Leben jenseits der reinen Erwerbsarbeit einfach keine eigene Anerkennung findet und deshalb eine externe Anerkennung sucht.
Gerne in Form einer monetären, verrechenbaren Kompensation für die selbst gewählte Mutterschaft. Nur um die Verhältnisse klarzustellen: Wer aus Schwabing oder Stuttgart in einen hippen Berliner Stadtteil zieht, sich eine Dachgeschosswohnung für 500.000 Euro leisten kann oder die stark gestiegenen Mieten, wird nicht durch angeblich fehlende Kita-Plätze von der Karriere abgehalten.
Es ist wohl eher das schlechte Gewissen, nicht genug zu leisten, und dadurch die Ideale der Frauenbewegung verraten zu haben, das die einstigen „Latte-Macchiato-Muttis“ (Bascha Mika) zu fritzkolagedopten Selbsthasserinnen werden lässt.
Wenn sich Frauen nicht dauernd selbst bekriegen würden, könnten sie soviel mehr bewegen
Ziemlich peinlich ist auch der offene Brief des feministischen Blogs „Mädchenmannschaft“. Dahinter verbergen sich die selbst titulierten „Alphamädchen“, Jungfeministinnen um die 30, die mal für eine neue, selbstbewusst-lockere Form des Feminismus standen. Jetzt singen sie das hohe Lied auf die Arbeitswelt mit.
Sie fordern den Rücktritt der Ministerin, da sie bei Quote und Kitaplätzen gescheitert ist. Abgesehen davon, dass das Nachbeten von Forderungen aus der Oma-Generation der Feministinnen weder selbstbewusst noch eigenständig ist – die Alphamädchen merken nicht, dass Schröder im Grunde eine Verbündete ist.
Sie steht für eine pragmatische und unideologische Frauenpolitik. Wenn sich Frauen nicht dauernd selbst bekriegen würden, könnten sie soviel mehr bewegen. Warum spricht eigentlich niemand mehr über Kitas in Unternehmen und Betriebskindergärten? Hier könnte weibliche Alpha-Power vermutlich Wunder vollbringen, wo doch Unternehmen, Kanzleien, Krankenhäuser etc. so angewiesen sind auf den weiblichen Nachwuchs. Vielleicht steckt der Jungfeminismus da noch in der Betaversion fest.
Leben um zu arbeiten oder arbeiten, um zu leben? Auch hier hat Schröder recht, wenn sie die Lebensplanwirtschaft geißelt. Wollen wir (Männer und Frauen) nicht alle lieber Teilzeit arbeiten und Vollzeit leben? Wenn ich als Mann sage, dass ich lieber mehr Zeit für Familie, Freunde, Lesen, Schreiben, Reisen und Klavierspielen habe, statt in einem Vollzeitjob meine Lebenszeit zu vermieten oder in Chefetagen Bullshit-Bingo zu spielen, ernte ich viel Kopfnicken. Meinetwegen sollen das alles jetzt Frauen machen, wenn sie unbedingt wollen. Wie sagte doch der bayerische Kabarettist Helmut Schleich: „Hauptsach' gsund, und d' Frau hat Arbeit.“
Der Feminismus hat Großartiges für die Befreiung der Frau (auch die sexuelle) geleistet. Für den Preis der Befreiung wurde die Frau jedoch lebenslauftechnisch versklavt. Der analoge und digitale Shitstorm gegen Schröder zeigt exemplarisch: viele Frauen ketten sich lieber an feministische Rollenklischees, als sich selbst neu zu erfinden, indem sie der einzigen gesellschaftlich anerkannten Zwangsarbeits-ideologie frönen. Statt „Leben“ wählen sie „Arbeit“, als wäre dessen kühler Kalkulationsgenuss Ersatz für die Suche nach Sinn.
Der Feminismus hat es geschafft, das Private nicht nur zu politisieren, sondern auch zu bilanzieren: Was kosten Kinder? Zu welchem Prozentsatz arbeitet der Mann im Haushalt mit? Sind es genau 50 Prozent? Der Feminismus verbreitet eine „Lass-dich-nicht-verarschen-Stimmung“, in der überall ständig die große Benachteiligung lauert.
Dabei bedeutet zum Beispiel eine starre Quote im Kern keine Aufwertung der Frau. Sie ist ein Krücke, die dem Einzelfall zudem oft nicht gerecht ist. Wie will man beispielsweise dem Gastarbeitersohn erklären, der mühsam über den zweiten Bildungsweg die gleiche Qualifikation erworben hat wie die privilegierte Mitbewerberin mit Internats- und Eliteschulenabschluss, dass er den Job nun wegen seines Geschlechts nicht bekommen soll?
Das Amt der Familienministerin ist für Frauen das, was für Männer der Job des Fußballbundestrainers ist. Jede(r) glaubt, es besser zu können. Schröder hat sich entschieden, keine staatlich vorgegebene Lebensaufstellung zu propagieren. Sie will „Leben“ von „Erwerbsarbeit“ entkoppeln. Dafür gebührt ihr Respekt. Dass sie sich zwischen Betreuungsgeld und Kitaplätzen politisch nicht richtig entscheiden will, wirkt zwar nicht besonders souverän, passt jedoch zu ihrem „dritten Weg“ zwischen Strukturkonservatismus und Karriere-Feminismus.
Schröder formuliert in ihrem Buch vor allem ein Unbehagen am öffentlichen Umgang mit jungen Frauen, wie es viele kennen, aber aus Scham nur heimlich kundtun. Zum Beispiel uns Männern gegenüber. Das zeigt, dass die Emanzipation immer noch eine Baustelle ist.
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