- Michelangelo vs. Leonardo
Ob in diesen Tagen im Florentiner Palazzo Vecchio ein neuer Leonardo entdeckt wird oder nicht, spielt angesichts der Begegnung, die dort einmal stattgefunden hat, kaum eine Rolle. Über das spannendste Künstlerduell der Renaissance und sein plötzliches Ende
Eigentlich hätte es donnern und blitzen müssen. Oder ein schwarzes Loch hätte sich auftun und alles verschlucken können. Irgendeine Naturgewalt dieser Art ist in der Fantasie beim Zusammentreffen zweier Genies unausweichlich. In einer Verfilmung wäre es wohl mindestens mit theatralisch-stürmischer Musik unterlegt. Zumal die beiden Genies, von denen hier die Rede ist – Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarotti – nicht nur einfach in einem Raum zusammenkamen, sondern dort auch gegeneinander zur Tat schritten. Jeder von ihnen sollte einen Wandabschnitt im Ratssaal des Florentiner Palazzo Vecchio mit einem Schlachtenbild aus der glorreichen Geschichte von Florenz schmücken.
Das Wandbild Leonardos galt lange Zeit als zerstört. Nun meint der Kunsthistoriker Maurizio Seracini es hinter einer davor eingezogenen Wand entdeckt zu haben. Kritiker bezweifeln das und haben sogar mit einer Unterschriftenaktion versucht, die Forschungsarbeiten von Seracini zu verhindern, um das davor liegende Werk zu schützen. Alles spricht dafür, dass die verzweifelte Aktion in Florenz nur das jüngste Kapitel des Irrsinns nach dem Prinzip Dan Brown ist. Und eigentlich ist das Ergebnis der Forschung für diesen Mythos der Renaissance auch irrelevant. Die legendäre Geschichte um den Wettkampf in diesem Raum geistert seit Jahrhunderten durch kunsthistorische Literatur und wirkt durch den Mangel an Bildmaterial, der nur unzulänglich durch tradierte Erzählungen über die Werke kompensiert werden kann, umso geheimnisvoller.
Wir schreiben das Jahr 1504. In den Straßen von Florenz herrscht Aufregung, denn ein besonders spannender Moment der Kunstgeschichte scheint sich anzubahnen. Leonardo da Vinci, bereits damals einer der berühmtesten Künstler der Welt, umschmeichelt von den Fürsten Europas und dem Inhaber des Heiligen Stuhls in Rom, kommt im Alter von 52 Jahren nach Florenz. Von Piero Soderini, dem damaligen Gonfaloniere della Giustizia, erhält er den Auftrag, im größten Saal des Palazzo Vecchio ein monumentales Wandgemälde anzufertigen. Dargestellt werden soll der Sieg der Florentiner über die Mailänder in der Schlacht von Anghiari. Ein Kinderspiel für Maestro Leonardo. In vielen Gemälden und mit der großformatigen Darstellung des Abendmahls in der Konventskirche von Santa Maria delle Grazie in Mailand hat er sein Können bereits unter Beweis gestellt.
Leonardo weiß zu diesem Zeitpunkt wohl nicht, dass Soderini für die Gestaltung des Saals einen weiterführenden Plan hat. Frei nach dem Motto „Wenn zwei (wett)streiten, freut sich der Dritte“ plant der Regierungschef von Florenz, einen weiteren Maler für das große Wandstück direkt daneben zu verpflichten: Michelangelo Buonarotti. Der Florentiner Künstler ist damals gerade 29 Jahre alt und hat durch seine Arbeit für den Petersdom in Rom und vor allem durch die Skulptur des David landesweit Aufmerksamkeit erregt. Nicht nur sein Zeitgenosse Giorgio Vasari sieht in Michelangelos Arbeiten die Kunst zu ihrem absoluten Höhepunkt geführt. Mit der Zusage Michelangelos, seinerseits einen Wandteil des Ratssaals mit einem Gemälde der Schlacht von Cascina zu gestalten, ändert sich folglich auch für Leonardo die Bedeutung seines Auftrags gewaltig: Ein Kampf der Giganten kündigt sich an.
Die Persönlichkeiten der beiden Künstler könnten dabei unterschiedlicher kaum sein. Leonardo, das Universalgenie, der Erfinder, wird neben seinem Talent auch für seine Schönheit gerühmt. Er gilt als Feingeist, der sich gerne teuer kleidet und wohlbedacht mit der Feder oder einem minimalistischen Pinsel arbeitet. Die Malerei ist seiner Auffassung nach die höchste der Künste, ist sie doch in der Lage, die ganze Natur und damit auch Architektur und Bildhauerei täuschend echt wiederzugeben.
Der junge Michelangelo steht dazu im starken Kontrast. Noch am Anfang seiner Karriere stehend, wird er an seinem Lebensende nach 89 Jahren auf das Werk eines Universalkünstlers zurückblicken können. Sowohl in der Zeichenkunst, der Malerei, der Bildhauerei, der Architektur als auch der Dichtung werden seine Werke neue Maßstäbe setzen. 1504 ist er aber vor allem – und er bleibt es zeitlebens nach eigenem Verständnis auch vorrangig – Bildhauer. Seine Arbeit mit Marmor ist dreckig: Ganz dem harten Element des Steins ausgesetzt, arbeitet er an jeder neuen Skulptur Tag und Nacht wie ein Besessener. Marmorstaub, Schweiß und Blut kleben durch diese Schaffenswut in seinen Haaren und an seiner Kleidung. Das sei eines Handwerkers, nicht eines Künstlers würdig, meint Leonardo. Michelangelo stört die Kritik wenig. Auf Äußerlichkeiten legt er zeitlebens kaum Wert, zu sehr wird er von einer inneren Kraft getrieben.
Als Michelangelo den Auftrag für das Wandgemälde in Florenz erhält, ist Leonardo bereits an der Arbeit: In seinem Entwurf dominiert die Komposition, durch die sich alles auf den entscheidenden Moment zuspitzt, in dem die Florentiner die gegnerischen Fahne in der Schlacht von Anghiari erobern. Er betont damit die Spannung und Gewalt des Moments. Für den jungen Michelangelo ist der Druck, in so direkter Konkurrenz im gleichen Raum wie der seit Jahrzehnten gefeierte Leonardo zu arbeiten, offenbar zu groß. Er zieht sich mit dem Karton für sein Wandgemälde in ein naheliegendes Gebäude zurück.
Doch auch bei Leonardo kommt trotz allen Hochmuts, mit dem er auf Michelangelo blicken mag, Angst auf. Der Aufstieg des jungen Florentiners ist – wenn auch verachtet – nicht unbemerkt an Leonardo vorübergegangen. Sowohl dessen Pietà im Petersdom als auch die Skulptur des Davids zeugen von Michelangelos außergewöhnlichem Talent, den menschlichen Körper zu erfassen. Tatsächlich setzt Michelangelo in seinem Bildentwurf auch eher auf die Darstellung des menschlichen Aktes als auf eine revolutionäre Komposition: Er zeigt die beim Baden im Arno von den Feinden überraschten Florentiner Soldaten, die aufgeschreckt nach Kleidung und Waffen greifen. Die in Aktion begriffenen Körper verstärken den Eindruck der wachsamen Soldaten.
Währenddessen ist Leonardo bereits dabei, im Ratssaal mit dem Malen zu beginnen. Doch die von ihm aufgetragene Grundierung erweist sich schon bald als zu grob und schimmert nach ein paar Tagen durch. In diesem Patzer ist sogleich der Anfang vom Ende des Gigantenkampfs begründet: Dass die ganze bisherige Arbeit vergebens sein sollte, frustriert den Maler so sehr, dass er das Projekt gleich vollkommen verwirft und sich auf den Weg nach Rom macht. Typisch für Leonardo, meint auch Vasari: „Man sieht, dass Leonardo, um die Kunst gründlich kennen zu lernen, vielerlei anfing und nichts richtig beendete.“
Warum auch Michelangelo seine Arbeit am Wandbild aufgab, ist nicht gesichert. Möglicherweise verlor er nach dem Ausstieg Leonardos das Interesse an dem Projekt, vielleicht ließ aber auch einfach der Ruf des Papstes aus Rom keine Verzögerung zu. Für eine Weile bleiben den Florentinern noch die Entwürfe der beiden Maler. Doch schon bald wird Michelangenlos Karton – vermutlich von einem Konkurrenten und Neider – zerstört und auch Leonardos Bild wahrscheinlich vernichtet. Nur durch Kopien einer Reihe von Künstlern – darunter Peter Paul Rubens – ist bis heute ein Eindruck dieser beiden Kompositionen überliefert.
Mit den verschwundenen Künstlern ist auch der Plan einer Gegenüberstellung der Meister verpufft. Nur eine Vorahnung dieser Idee ist in den angefertigten Kopien geblieben. Die Gewalt ihrer eigenen Natur stieß die beiden Künstler voneinander ab. Zurück blieben ein paar Meter Wand – sie reichten einfach nicht aus für Leonardo und Michelangelo.
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Dank für den instruktiven Artikel, der bezeugt, dass kreative Energien, wenn sie sich in Individuen wie Lionardo und Michelangelo verkörpern und aufeinander prallen, die Wirkung zeitigen, die man als wechselseitiges Sich-Paralysieren bezeichnen könnte. Zwei hochentwickelte Universen der Kreativität und Spiritualität in einem Raum ihre Potenziale entfalten lassen zu wollen, kommt einem Sakrileg gleich, denn ihre Kräfte können die Titanen nur dann entfalten, wenn ihnen hinreichend Raum zur Entwicklung des Gedankens, des Themas gewährleistet wird. Die Renaissance-Künstlerelite, zu der Rafale Santi gehört, beobachtet einander, ihre Intensitätsfluktuationen, die Werkgedanken, von denen sie heimgesucht werden, lassen jedoch ein Gegeneinanderantreten wie im Colosseum der Gladiatorenkämpfe nicht zu. Soviel hätte der Auftraggeber wissen müssen. Da Piero Sderini jeglicher Sensibilität entbehrte, erhielt er genau das, was er verdiente: Den Rückzug der Künstler und deren Werke als Fragmente.