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Eurokrise - Draghi hat Merkel einen soften Wahlkampf beschert

Im Wahlkampf ist es um die Eurokrise erstaunlich ruhig geworden. Schuld daran sei nicht etwa Angela Merkel, sondern die Europäische Zentralbank. Meint zumindest der Ökonom Sebastian Dullien

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Alexander Wragge seit Ende 2016 Redakteur und Koordinator der Initiative Offene Gesellschaft, und war zuvor als freier Journalist und als Redakteur des Diskussions-Netzwerks Publixphere tätig.

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Noch Anfang 2012 spitzte sich die Eurokrise bedrohlich zu. Nicht nur die Kreditkosten Griechenlands, sondern auch die Spaniens und Italiens schnellten in die Höhe. Schließlich kündigte die Europäische Zentralbank (EZB) an, unter bestimmten Bedingungen aber notfalls unbegrenzt Schuldscheine der Krisenländer zu kaufen. Hat die EZB vor rund einem Jahr den Zerfall der Eurozone verhindert?
Natürlich ist nicht ganz klar, ob ohne die Ankündigung von EZB-Chef Mario Draghi, Staatsanleihen aufzukaufen, die Eurozone tatsächlich zerbrochen wäre. Man muss aber konstatieren, dass die Lage im Sommer 2012 sehr ernst war, und dass Draghis Ankündigung den Wendepunkt in der Eurokrise herbeigeführt hat. Das hatte keine der anderen Maßnahmen -  vom Fiskalpakt bis zu den Milliarden-Rettungspaketen – zuvor erreicht. Hierfür gebührt Mario Draghi Lob.

Vor der Ankündigung der EZB versuchten Europas Regierungen, die Märkte zu beruhigen – etwa mit Rettungsschirmen und Verpflichtungen zu Reformen. Warum reichten diese Schritte nicht aus, die Zuspitzung der Eurokrise zu verhindern?
Das Problem an allen anderen Hilfsmaßnahmen war, dass sie von vorneherein in der Summe begrenzt waren und es klar war, dass die Pakete etwa einen Staatsbankrott Italiens nicht würden abfangen können. Und die Reformverpflichtungen und Sparpakete konnten die Märkte erst Recht nicht beruhigen, weil sie nichts zur Lösung der Finanzierungsprobleme beitrugen. Um dies zu verstehen, muss man sich ansehen, welche Faktoren die Schuldentragfähigkeit eines Landes beeinflussen. Am wichtigsten sind das Wirtschaftswachstum und die Höhe der laufenden Defizite. Die Sparpakete und Reformen belasteten das Wirtschaftswachstum der Krisenländer kurzfristig so sehr, dass sie zum Teil die Schuldentragfähigkeit sogar verschlechterten.

In der bedrohlichen Lage lehnte es Angela Merkel ab, den Finanzbedarf der Krisenländer mit gemeinsamen Schulden der Eurozone zu decken, also mit sogenannten Eurobonds. Wohin hätte die Ablehnung geführt, wäre die EZB nicht als „Kreditgeber letzter Instanz“ eingesprungen?
Ohne eine gemeinsame Haftung und ohne das Eingreifen der EZB hätte das Risiko bestanden, dass allein die Investorenstimmung die Zinsen für einige Euro-Länder auf eine Höhe getrieben hätte, bei der es zu einem Staatsbankrott kommt. Im Fall größerer Euro-Länder wie Spanien oder Italien hätte das zu einer neuen Bankenkrise und möglicherweise zum ungeordneten Austritt dieser Länder aus dem Euro geführt. So etwas hätte mit großer Wahrscheinlichkeit eine globale Finanzkrise nach sich gezogen, die die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers vor fünf Jahren in den Schatten gestellt hätte.

Angela Merkel hat die SPD im Wahlkampf als „europapolitisch unzuverlässig“ bezeichnet, weil die Sozialdemokraten - vor dem EZB-Programm – Eurobonds ins Spiel brachten, um der Krise Herr zu werden. Ist die Kritik berechtigt?
Für mich bedeutet europapolitisch unzuverlässig, das europäische Projekt und die Errungenschaften der EU grundsätzlich in Frage zu stellen. Nach dieser Definition müsste man eher die kategorische Ablehnung von Eurobonds als europapolitisch unzuverlässig bezeichnen. Eurobonds können in der richtigen Ausgestaltung einen wichtigen Beitrag zur Lösung einer Krise beitragen, wie wir sie in der Euro-Zone in den vergangenen Jahren gesehen haben. Wenn man feststellt, dass alle anderen Optionen nicht funktioniert haben, ist es Pflicht der Politik, auch unkonventionelle Ansätze ins Spiel zu bringen.

Nach der Ankündigung des EZB-Programms entspannte sich die Eurokrise deutlich. Auch die Kreditkosten Italiens und Spaniens sanken wieder. Würden Sie sagen, die EZB hat den Bundestagsparteien in der Frage der Eurorettung einen harten Wahlkampf erspart?
Ganz eindeutig. Ich gehe davon aus, dass wir einen ganz anderen Wahlkampf gesehen hätten, wenn sich die Eurokrise weiter zugespitzt hätte. Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten unmittelbar vor der Bundestagswahl darüber sprechen müssen, wie wir den Eurorettungsfonds ESM soweit aufstocken, dass wir daraus ein ausreichend großes Hilfsprogramm für Italien zusammenschustern können. In gewisser Weise muss Angela Merkel deshalb Mario Draghi dafür danken, dass er ihr einen so ruhigen Wahlkampf beschert hat.

Bei ihrer Krisenstrategie nach dem Motto „Solidarität nur bei Solidität“ kann Angela Merkel inzwischen erste Erfolge vorweisen. Die Krisenländer nehmen Strukturprobleme in Angriff und es gibt Anzeichen wirtschaftlicher Erholung, etwa in Portugal. Hat sich Merkels Kurs nicht bewährt?
Natürlich gibt es Anpassungserfolge. In Spanien etwa steigen die Exporte inzwischen kräftig, auch weil die Lohnkosten fallen. Die gesamtwirtschaftliche Erholung in den Krisenländern lässt sich allerdings in erster Linie auf zwei Faktoren zurückführen: Erstens hat die EZB-Ankündigung die Kreditzinsen gerade auch für den Privatsektor gesenkt. Zweitens sind die Sparprogramme massiv entschärft worden. Merkel kann sich hier rühmen, diese beiden Korrekturen nicht blockiert, und somit aus den frühen Fehlern der Krisenbekämpfung gelernt zu haben. Es wäre aber verlogen, würde sich Merkel zur Architektin dieses Erfolges stilisieren.

Wer wird einmal als Retter des Euros in die Geschichte eingehen - eher die EZB oder eher Angela Merkel?
In die internationalen Lehrbücher wird ganz klar die EZB als Retter des Euros eingehen. Man kann an der Entwicklung der Zinsaufschläge auf Staatsanleihen in der Peripherie sehen, wie alle von Angela Merkel vorgeschlagenen Elemente der Krisenbekämpfung erfolglos blieben. Mario Draghis Rede in London und das Programm zum Ankauf von Staatsanleihen brachten dagegen die Wende. In Deutschland werden natürlich CDU/CSU - aber auch konservative Ökonomen - versuchen, die Geschichte umzudeuten und Merkels Kurs als erfolgsentscheidend definieren.

Das EZB-Programm zum Ankauf von Staatsanleihen -  es trägt den Namen „Outright Monetary Transactions“ (OMT) -  ist rechtlich umstritten. Kehrt die Eurokrise zurück, wenn das deutsche Bundesverfassungsgericht im Herbst sagt: die EZB-Maßnahmen sind verfassungswidrig?
Das kommt auf die Details des Urteils an. Wenn das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich der EZB das Recht zu Anleihekäufen wie im Rahmen des OMT-Programms abspricht, könnte das zu einer europäischen Verfassungskrise führen. Denn es ist umstritten, ob diese Frage überhaupt unter die Jurisdiktion des Bundesverfassungsgerichts fällt. Ein solcher Rechtsstreit würde die Märkte sicher verunsichern. Ein so pauschales Urteil der Karlsruher Richter scheint aber unwahrscheinlich. Realistischer wäre etwa die Ansage des Verfassungsgerichts, dass der Bundestag der impliziten Risikoübernahme durch ein spezifisches OMT-Programm zustimmen muss. Praktisch würde der Bundestag dann bei seiner Abstimmung über ein neues ESM-Programm auch die EZB autorisieren,  OMT im Rahmen des Programms mit den verbundenen finanziellen Risiken für die Bundesrepublik vorzunehmen.

 

Sebastian Dullien ist Professor für International Economics an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und Senior Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations.

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