- Heulsusen, die sich für Volkes Stimme halten
Eine neue Rechte argumentiert im Namen der Freiheit, des Individuums, gibt sich ideologiefrei und wettert gegen die vermeintlich linksliberalen Medien. Vom Dogma der Unkorrekten
Um es vorwegzunehmen: Ich bin kein Grünenwähler. Nie gewesen. Doch diesmal wähle ich sie vielleicht sogar. Aus Trotz. Warum? Nun, neulich las ich mal wieder einen Text, der ziemlich stringent und ungelenk, zielsicher und mit obligatorischem Schaum vor dem Mund über die strukturelle Boshaftigkeit der Grünen fabulierte. Wie sehr doch vom grünen Wesen eine Gefahr für die Demokratie ausgehe und so weiter. Ökodiktatur pur. Um Himmels Willen, was für eine böse, böse Partei. Wohltemperiertes Grünen-Bashing. Furchtbar originell dieser Tage.
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Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich mag radikale Thesen. Ich mag auch Grünen-Kritik. Denn der konservative Bewahrerinstinkt ist heute gerade in den grünen Großstadtmilieus stärker denn je. Und ja: Wir finden gerade bei den Grünen eine Art vormundschaftlicher Herrschaftsordnung, die auf einer durch Ethik und Moral legitimierte Ideologie des Rechthabens fußt und weniger auf rationale Argumente setzt. Insofern basiert Grünes Selbstverständnis klassisch-konservativ auf dem Gefühl moralischer Überlegenheit. Soweit, so gut.
Doch das ewig gleiche Lied von den Grünen als der Bevormunderpartei, die alles verbieten will, die den Untergang des Abendlandes heraufbeschwört und alles Böse in Persona Claudia Roths vereint? Nein, danke!
Die Ideologie der politisch Unkorrekten
Die Richtung indes ist klar, aus der dieses Lied des Wählers Ohr umsäuselt: Eine neue Rechte hat sich da unlängst formiert. Eine wütende Reaktion. Sie sind vorwiegend männlich, katholisch, fürchten sich vor dem Staat, wettern gegen Abtreibung und Homo-Ehe und nutzen die Chiffre „Gutmensch“, um unliebsame Diskurse abzuwürgen. Sie schreien Zensur und polemisieren gegen alles, was nicht in Ihr Weltbild passt. Sie reden von Freiheit und merken gar nicht, wie hermetisch und unfrei ihr Gesellschaftsbild ist, das sie da zwischen den Zeilen, zwischen Freiheitspostulat und Eigenverantwortlichkeit, transportieren. Sie beginnen Ihre Sätze mit „Man wird doch mal sagen dürfen“ und enden unweigerlich im Ressentiment.
Gleichzeitig beanspruchen sie für sich, im Namen des kleinen Mannes zu sprechen, die wahre Stimme des Volkes zu sein, berufen sich auf den gesunden Menschenverstand und übertreten gern und vorausschauend die Grenze des demokratischen Diskurses. Alles ganz ideologiefrei, versteht sich.
Sich selbst verorten sie auf der Achse des politisch Inkorrekten. Natürlich. Wer will schon politisch korrekt sein? (Und merken dabei gar nicht, wie brav und bieder sie Vorurteile aneinanderreihen.) Sie sind schnell zur Hand mit dem obligatorischen PC-Vorwurf, um dabei gleichzeitig eben genau jenes dogmatische Klima zu erzeugen, das sie doch so schmerzlich beklagen. Statt in die inhaltliche Auseinandersetzung zu gehen, dient heute der PC-Vorwurf eher der Umgehung der Debatte. Die Anti-PC-Bewegung schafft letztlich genau das, was sie eigentlich zu bekämpfen gedachte. Sie erzeugt durch ihr dogmatisches Verständnis von Diskurs eine moderne Kultur des Denkverbotes.
Am liebsten intonieren sie das Stück über ein vermeintliches Diktat gleichgeschalteter Medien, um gleichzeitig die Rhetorik der Totalität zu bemühen. Von Blockparteien ist dann die Rede, von Eurodiktatur, Ökofaschismus, Brunnenvergifter und Propaganda. Gerade online fühlen sie sich wohl, haben die Meinungshoheit und werden mir auch jetzt wieder (so viel ist sicher) das Postfach zuscheißen und mich nach Israel wünschen.
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Sie schreiben gegen einen vermeintlichen Mainstream an. Dabei sind Ihre Thesen längst im Mainstream angekommen. Sie fühlen sich verfolgt und werden beklatscht. Beklagen Tabus, wo keine sind und fühlen sich im Netz, im Biotop der Empörten, besonders wohl. Die Zustimmung des Onlinestammtisches ist ihnen gleichwohl sicher, weil sie formulieren, was andere nur denken. Der Fehler ist nur: Alles was man(n) denkt, sollte eben nicht zwangsläufig ausgesprochen werden.
Eine demokratische Gesellschaft braucht bestimmte Tabus – jedoch nicht in Form von Denkverboten. Nein, sie braucht semantische Grenzen, die aufzeigen, wo der gesellschaftliche Konsens beginnt bzw. endet. So, wie es Regeln im Straßenverkehr, im menschlichen Miteinander – Verhaltensregeln – gibt, so bedarf es diskursiver Regeln im gesellschaftspolitischen Diskurs. Und damit ist nicht Zensur gemeint. Sondern eine mehrheitsgesellschaftliche Klarstellung, die signalisiert, dass beispielsweise ein gewisser Sprachgebrauch keine gesellschaftliche Akzeptanz findet. Heißt, wenn mein Nachbar lauthals und auf offener Straße Ausländer beschimpft, dann erwarte ich, dass das nicht unkommentiert bleibt, dass er von den Herumstehenden zurecht gewiesen wird.
Man bedient sich einer Heulsusenmethodik
Als parteipolitischen Arm hat sich die neue Rechte die AfD auserkoren. Eine Partei, die mit dem berechtigten Anliegen das politische Parkett betrat, eine Alternative jenseits der als alternativlos ausgerufen Europolitik von Angela Merkel zu formulieren. Ihr Sprecher, Bernd Lucke, ein kluger Professor, der glaubwürdig für sich beansprucht, keiner rechten Gesinnung anzugehören, hat gleichzeitig aber so recht keine Ahnung, wer und was sich da alles im Namen seiner Partei positioniert und in welchem Milieu da ganz offensichtlich gefischt wird. Politisch naiv, würde man das wohl nennen.
Die Folge: Man bedient sich einer Heulsusenmethodik. Man glaubt, im Namen des Volkes die eine letzte Wahrheit zu vertreten, fühlt sich in den sogenannten linksliberalen Mainstreammedien nicht repräsentiert und totgeschwiegen. Man wittert Kampagnenjournalismus all über all. Dabei hat es wohl nie eine politische Minderheit gegeben, der so viel Öffentlichkeit zu Teil wurde. In unzähligen Talkshows durfte die AfD ihre Konzeptionen vortragen, in unzähligen Zeitungsartikeln linksliberaler Mainstreammedien ihr Programm verwursten.
Ich kann Sie beruhigen. So recht weiß ich noch nicht, was ich wählen werde. Weil das so ist, schenkte mir mein Chef kürzlich einen Würfel, der - statt der üblichen sechs Ziffern - die fünf im Bundestag vertretenen Parteien inklusive der Piraten abbildet. Die AfD ist nicht dabei. Selbst die Würfelindustrie hat sich also gegen sie verschworen. Ja, sogar auf einem Mainstreamwahlwürfel wird sie totgeschwiegen. Herrlich.
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