- Unsere Schattenbank in Dublin
Gerhard Bruckermann machte aus einer biederen deutschen Bank einen „undurchsichtigen Hedgefonds“ in Irland. Die Kosten trägt der deutsche Steuerzahler
Das Restaurant im Frankfurter Hof öffnet gerade: schon lange ein legendärer Treffpunkt für die Wirtschaftsleute in der Mainmetropole. Hier hat „das Mädchen Rosemarie“, die Nitribitt, einst in den fünfziger Jahren Hof gehalten und sich ihre Kundschaft aus Hochfinanz, Industrie und Politik geangelt, bis sie in ihrer Wohnung hinterrücks gemeuchelt wurde. Heute sind es die Banker, die sich hier zum Lunch treffen, gleich um die Ecke der Europäischen Zentralbank (EZB). Bei Elsässer Gänseleber und Hirschrücken in Holundersoße tauschen sie sich über Credit Default Swaps, Zinsunterschiede und Basispunkte aus. Doch Herr K. fühlt sich an dem Ort nicht wohl. Dabei gehörte er bis vor wenigen Jahren selbst dazu: zur Kaste der Banker und Finanzjongleure, zu denen, die das ganz große Finanzrad drehten. Herr K. ist einer von ein paar Dutzend Millionären, die ihr Geld in einer Bank verdient haben, die heute vom Staat abgewickelt werden muss.
Herrn K. möchte anonym bleiben. Er ist Mitte fünfzig. Seit ein paar Jahren hat er viel Zeit. Gerade kommt er aus Norwegen, war zehn Tage mit dem Postschiff unterwegs – Richtung Nordkap. Jetzt macht er einen kurzen Zwischenstopp zu Hause, in drei Tagen geht es dann weiter nach Florida, Golf spielen.
Ein Ortswechsel hilft, um Herrn K. ins Plaudern zu bringen. Die Eisdiele „Fontanella“ auf der Kaiserstraße ist für Männer wie Herrn K. eher Niemandsland. Hier kennt ihn keiner. Herr K., gedeckter grauer Anzug, sonnengebräunt, blauweiß gemustertes Hemd, taut bei einem Amarenabecher richtig auf, fängt an, voll Begeisterung zu erzählen: von „seiner“ Bank, von den tollen Zeiten, in denen sie dort das große Geld verdient haben. Immer wieder malt er Zettel voll mit Prozentzahlen und Kurven, mit Pfeilen und Variablen, um die Geschäfte von damals zu erklären. Alle anderen Mitglieder des Clubs der Millionäre jener Bank hüllen sich lieber in Schweigen. Je mehr Millionen sie dort verdient haben, desto unsichtbarer und schweigsamer sind sie geworden. Dabei ermittelt noch nicht einmal ein Staatsanwalt gegen sie. Obwohl doch keine andere Bank den Steuerzahler in Deutschland am Ende auch nur annähernd so viele Milliarden Euro gekostet haben wird wie die Depfa, das Geldinstitut, in dem Herr K. und seine Kollegen reich geworden sind. Solche Argumente sind für Herrn K. „Sozialistensprech“. Von der Krise angesprochen fühlt er sich nicht, obwohl Herr K. doch selbst mit Schuld an ihr trägt.
Die Depfa ist, nach ihrer Übernahme durch die Hypo Real Estate und deren Rettung durch die deutschen Steuerzahler, mittlerweile in einer Bad Bank in München mit dem in die Irre führenden Namen „FMS Wertmanagement“ aufgegangen.
Ursprünglich hieß sie: Deutsche Pfandbriefbank, abgekürzt Depfa. Später, mit den hinzugefügten drei Buchstaben plc, die für public limited company stehen, wurde sie zu einer Aktiengesellschaft irischen Rechts. Keine andere Bank in Deutschland ist so stark involviert in die Staatsschuldenkrise wie die Depfa. Seit ihrer „Rettung“ ist sie zu 100 Prozent in staatlicher Hand. Bei der Bad Bank wurden kürzlich Fehlbuchungen in Höhe von 55,5 Milliarden Euro entdeckt. Seither ist die „FMS Wertmanagement“ im Rampenlicht der Öffentlichkeit, genauso wie der Finanzminister, der eigentlich über sie wachen soll. Auch wenn die Buchungsfehler kein Geld in irgendwelche Kassen spülen, reduzieren sie die Schuldenquote der Bundesrepublik um 2,6 auf 81,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Die falsch verbuchten Milliarden sind allerdings nur ein Skandal unter vielen, die bis in die neunziger Jahre zurückreichen. Was ist das, was war das für eine Bank, deren Tausende von Kreditverträgen und Derivaten, von Schrottpapieren und Staatsanleihen bis 2020 in München aufgelöst werden sollen?
Seite 2: Wie hängen die HRE und die Depfa miteinander zusammen?
Wenn Mario Draghi, der neue Chef der EZB, in diesen Wochen griechische, italienische, portugiesische oder auch andere europäische Staatsanleihen aufkauft, damit Geschäftsbanken überall in Europa, in Paris und Lissabon, in Frankfurt, Athen oder Rom nicht pleitegehen, dann sind darunter viele Anleihen, deren Entstehung er einst selbst als Direktor des italienischen Schatzamts zusammen mit einem deutschen Banker ausgehandelt hat. Dieses Staatsanleihenmodell lebte im Wesentlichen von Zinsdifferenzen in der gerade entstehenden Eurozone, so erklärt es Herr K. Man könnte diese Geschichte mit Mario Draghi als eine Urszene entziffern für die neue Depfa, aber auch als einen Ursprung für das lockere Schuldenmachen im Euroraum, das heute mit so vielen Steuergeldern bekämpft werden muss.
Der CEO, der die Staatsfinanzierung zum Kerngeschäft der Depfa machte, hieß Gerhard Bruckermann. Herr K. beschreibt ihn noch heute stolz als schnellen Denker und Sympathieträger, der als Erster die Möglichkeiten der entstehenden Eurozone erkannt habe. Nein, Bruckermann sei kein Bad Boy, kein Bad Banker. Damit würde man ihm unrecht tun, wehrt er ab. Geld habe bei Bruckermann nie so eine große Rolle gespielt. Und doch, meint Herr K. dann anerkennend, „hat er irgendwie am Ende immer die höchsten Boni kassiert“. Letztlich habe er einfach Glück gehabt, in diesem kleinen Zeitfenster zwischen Juli und Oktober 2007 die Depfa plc an die HRE verkauft zu haben. Da sei doch schon absehbar gewesen, dass dieses Geschäftsmodell am Ende war. Nein, Bruckermann habe alles richtig gemacht, meint Herr K. bis heute. Mitschuld an der Krise – Fehlanzeige.
In der Öffentlichkeit wird die Finanzkrise in Deutschland vor allem mit der Hypo Real Estate (HRE) und ihrem gescheiterten Vorstandschef Georg Funke identifiziert. Genauso wie jetzt die Bad Bank FMS Wertmanagement. Ein Vexierbild. Denn das eigentliche Krebsgeschwür dieser HRE war die Depfa plc, die nur wenige Monate zum Konzern gehörte und dem Mutterhaus das Genick brach, bevor es samt Depfa verstaatlicht werden musste.
Kein anderer deutscher Manager konnte so kurz vor der Pleite seines Unternehmens, die schließlich nur noch durch Verstaatlichung abzuwenden war, mit seinen Boni und Aktien noch so üppig abkassieren wie Gerhard Bruckermann: über 103 Millionen Euro cash war der goldene Handschlag zu seinem Abschied wert. Alles ganz legal. Kein lästiges Gerichtsverfahren wie bei den HRE-Managern, das immer noch läuft. Kein Verfall der Boni, kein Verlust der Aktien durch die Verstaatlichung wie bei Georg Funke, keine Regressforderungen der öffentlichen Hand. Kein öffentlicher Pranger. Selbst vor dem HRE-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags musste Gerhard Bruckermann nicht aussagen – weil sich keine ladungsfähige Adresse fand.
Wer ist Gerhard Bruckermann? Seine Kommilitonen aus Studententagen beschreiben den Sohn eines Sparkassenangestellten aus Solingen als eher mittelmäßigen Juristen. Bruckermann habe der Ehrgeiz gefehlt. Er galt schon damals als Sonnyboy. Vom Alter her gehört Bruckermann zu den 68ern. Doch politisch sei er „damals schon eher FDP“ gewesen, sagen alte Weggefährten. Sie hat es überrascht, dass ihr einstiger Kommilitone plötzlich in den Wirtschaftsteilen deutscher Zeitungen als neuer Star der europäischen Finanzbranche auftauchte.
Die Geschichte der Depfa und ihres Spitzenmanns ist perfekter Anschauungsunterricht in Sachen Finanzkrise. Es ist die Geschichte vom Ende einer „sicheren“ Bank. Davon, wie am Ende eines Jahrhunderts und in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends in einer Bank Grundwerte des Wirtschaftens und der Geldvermehrung, Grundwerte von Treu und Glauben aus den Angeln gehoben wurden. Und wie eine Generation von Finanzmanagern in Deutschland, die so alt ist wie die Bundesrepublik, Kasse gemacht hat und sich bis heute keiner Schuld bewusst ist.
Seite 3: Bruckermann gründet die Depfa
Die Deutsche Pfandbriefbank wurde 1922 als Preußische Landespfandbriefanstalt gegründet. Sie ist eng verknüpft mit dem Aufstieg des Sozialstaats. Explizit der Gemeinnützigkeit verpflichtet, war sie 70 Jahre lang ein wichtiges Instrument staatlicher Wohnungspolitik und allein in der Nachkriegsrepublik an der Finanzierung von insgesamt einer Million Wohnungen beteiligt. Pfandbriefe und Hypotheken, abgesichert durch Immobilien, die damit finanziert wurden, waren das wesentliche Geschäftsfeld der Depfa.
Für die Anleger und Häuslebauer war sie eine „sichere Bank“ mit günstigen Zinssätzen für Bauherren und verlässlichen Zinsen für Pfandbriefanleger. Im ersten Jahr des Geschäftsbetriebs 1923 wurde – trotz der galoppierenden Inflation – der Bau von 3000 Wohnungen mit Krediten der Bank ermöglicht. In den ersten 20 Jahren der Nachkriegsrepublik waren es schon 500000 Wohnungen, darunter 60000 Eigenheime. Neben der Wohnungsbaufinanzierung stieg die Depfa Mitte der siebziger Jahre ins Geschäft der Kommunaldarlehen, sammelte mit entsprechenden Anleihen Kapital für bundesdeutsche Gemeinden. Bürgerlich-kulturbeflissen entlehnte die Depfa ihren Werbespruch bei Tucholsky, platzierte ihn jahrzehntelang in rororo-Taschenbüchern: „Macht unsere Bücher billiger … für die Jahreszinsen eines 100-Mark-Pfandbriefs kann man sich drei Taschenbücher kaufen.“
Ludwig Schork war fast 25 Jahre lang Präsident dieser „alten“ Depfa. CEOs gab es damals noch nicht. Befragt nach den Gründen für den Niedergang seiner Bank, verwies er auf den seiner Meinung nach entscheidenden Unterschied zwischen der Kultur eines Bankers seiner Zeit und der eines Bankmanagers von heute: „Es gibt Selbstverständlichkeiten, die waren gegeben …Wir wussten, was man machen darf und was nicht. Heute müssen die das erst aufschreiben“ – und hier macht er eine lange Pause – „lassen.“ Er ringt um Fassung, wenn er vom Niedergang seiner Bank erzählt.
Schorks Vorgänger bei der Depfa, erzählte dieser, habe testamentarisch festlegen lassen, dass die Depfa für ihn keine Todesanzeige veröffentlichen dürfe. Scham über den Tod hinaus.
Anfang der neunziger Jahre wurde die Deutsche Pfandbriefbank in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und privatisiert. Deregulierung und Privatisierung wurden zur Zauberformel für die Sanierung der Staatsfinanzen. Für das Finanzministerium haben daran federführend der spätere Bundespräsident Horst Köhler und der spätere Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer mitgewirkt.
Kurz danach stieß Gerhard Bruckermann zur Depfa. Herr K. beschreibt die Lage der Depfa damals so: „Es war ein rein auf die Bundesrepublik beschränktes Unternehmen mit einem beschissen langweiligen Geschäftsmodell.“ Weil Bund, Länder und Kommunen ein so hervorragendes Rating hatten, waren die Margen im Inlandsgeschäft mit Staatsanleihen und Kommunalobligationen für die damals junge Generation der Banker einfach zu gering. Damit ließ sich zu wenig Geld verdienen. Omas Pfandbrief, lästerten die Neuen, war out.
Gerhard Bruckermann habe als Erster die neuen Geschäftsmöglichkeiten erkannt, die sich in der gerade entstehenden Eurozone für die Depfa auftaten. „Ein sagenhaftes Geschäft, mit extrem guten Margen“ bot sich in den Südländern Europas, zu denen die Bank auf einmal Zugang hatte. Mitte der neunziger Jahre, erzählt Herr K., habe Gerhard Bruckermann die ersten italienischen Staatsanleihen mit dem heutigen EZB-Präsidenten Mario Draghi für die Depfa ausgehandelt. „Direkt!“ Kein anderer hätte diese Chuzpe gehabt. Die Depfa konnte dank bestem Rating zu viel günstigeren Bedingungen Fremdkapital einsammeln als der italienische Staat. Daraus erzielte sie ihre Rendite. Die kommende Einheitswährung, der Euro, verschaffte ihr Sicherheit. Die Depfa spekulierte auf eine Angleichung der Zinsen im Euroraum, die Italiens Refinanzierung in Zukunft erleichtern würde. Je näher die Einführung des Euro rückte, desto geringer wurden durch die tatsächlich stattfindende Zinsangleichung die Margen in diesem Geschäft. „Das wurde mit immer größeren Volumina kompensiert“, erzählt Herr K. Zum Schluss ging es bei einem einzigen solchen Geschäft, bei einer einzigen Tranche schon mal um mehrere Milliarden D-Mark.
Seite 4: Die Depfa schlittert in die Krise
Für einen anderen ehemaligen Vorstand der Depfa, der immerhin bei mehreren Telefongesprächen ein wenig aus dem Nähkästchen der Bank plaudert, ist die Misere mit den Staatsanleihen auch eine des Gesetzgebers, der nie verlangt habe, dass sie mit Eigenkapital zu unterlegen seien. Spätestens mit der Europäisierung dieses Geschäfts seien die unausgetragenen Probleme eigentlich klar gewesen: Jeder habe damals doch gewusst, dass Griechenlands Staatsanleihen, aber auch die von Spanien oder Italien nicht so sicher waren wie die der deutschen Länder oder gar der Bundesrepublik. Bruckermanns Bank hat aus diesem politischen Versäumnis üppige Renditen erzielt. Und es sind die späten Kosten dieser Renditen, die jetzt vom Steuerzahler beglichen werden müssen. Bei den griechischen Staatsanleihen heute und vielleicht morgen bei den italienischen?
Die Geschäfte mit der Staatsfinanzierung ließen die Depfa wachsen und wachsen. Eine immer stärkere Rolle spielte, je größer die Bank wurde, die sogenannte Fristentransformation. Langfristige Kredite wurden mit immer kurzfristigeren, „billigeren“ Krediten refinanziert. Am Ende mussten manchmal innerhalb einer Woche 50 Milliarden Euro refinanziert werden. Jede Störung des internationalen Bankenmarkts wurde so zum unkalkulierbaren Risiko. Hatte die alte staatliche Depfa 1989 noch eine Bilanzsumme von 64 Millarden DMark, betrug sie knapp 20 Jahre später 249 Milliarden Euro.
1995 zog Gerhard Bruckermann mit dem ganzen Bereich der Bugdet- und Staatsfinanzierung der Depfa ins Steuerparadies Dublin: Dorthin lockten 10 Prozent Steuern und extrem billige Infrastruktur. Aber auch die Globalisierung des Staatsfinanzierers in den angelsächsischen Raum bot Vorteile, der amerikanische Markt neue Betätigungsfelder. Das Gegenmodell zu Omas Pfandbrief wuchs und drehte ein immer größeres Rad. Aus der verschlafenen Preußischen Anstalt, die in der alten Bundesrepublik mit ihrem Pfandbriefgeschäft einst den allerbesten Ruf hatte, schuf der eloquente Banker aus Solingen in Dublin einen Global Player der Staatsfinanzierung mit höheren Eigenkapitalrenditen als die Deutsche Bank. Die Wirtschaftsmedien feierten ihn als „Juwelenschleifer“. Nur wenige kritische Stimmen in Frankfurter Bankenkreisen bezeichneten die Depfa schon damals als „undurchsichtigen, hochriskanten Hedgefonds“.
Nach Europa erschloss Bruckermann die Märkte in den USA: unter anderem mit amerikanischen Studentenkrediten und Anleihen für Städte und Kommunen. Bald handelte er auf dem amerikanischen Markt wie einst mit den Staatsanleihen in Europa. Das meiste war abgesichert mit Kreditausfallversicherungspolicen. Gerhard Bruckermann galt schließlich als „ein Top-Mann“. Doch so manche dieser Versicherungen ist heute nichts mehr wert und die ersten US-Kommunen sind bereits pleite. In der Bilanz der FMS Wertmanagement schlummern die entsprechenden Milliardenrisiken.
Gerhard Bruckermann kam aus dem Kapitalgeschäft der Deutschen Bank. Ihm eilte da schon der Ruf voraus, kreative Finanzprodukte entwickeln zu können. Auch wenn er kein Mathematiker war, überzeugte er als „Sympathieträger“ die Händler genauso wie Investoren, sagt Herr K.
Seit der endgültigen Aufspaltung des Unternehmens 2002 war die Depfa plc eine irische Bank. Im Votum der Opposition zum Abschlussbericht des Bundestagsuntersuchungsausschusses zur HRE heißt es treffend: „Die Insolvenz einer irischen Bank – der Depfa – (ist) durch die deutschen Steuerzahler dauerhaft abgewendet worden.“ Hätte die HRE um Herrn Funke die Depfa nicht im Herbst 2007 gekauft und damit den irischen Finanzplatz gerettet – das Schicksal der Gläubiger dieser Depfa wäre wohl in Irland entschieden worden. Ob das für die Deutschen besser gewesen wäre? Wohl kaum. Denn auch etliche deutsche Banken, Versicherungen, Pensionskassen, öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten und Gebietskörperschaften waren als unbesicherte Gläubiger bei der Depfa mit von der Partie. Insgesamt ging es für die Gläubiger um einen unbesicherten, knapp dreistelligen Milliardenbetrag!
Seite 5: Bruckermann schwelgt im Luxus
Die Depfa, obwohl um einiges größer als die HRE, wurde im Oktober 2007 von der Münchner Bankenholding übernommen. Der Chef der Bankenaufsicht Bafin, Jochen Sanio, erklärte im Untersuchungsausschuss des Bundestags später, damit habe die HRE in der Falle gesessen. Es dauerte dann noch ein knappes Jahr, bis der Staat die Depfa im Verbund mit der Hypo Real Estate kurz nach dem Zusammenbruch von Lehman retten musste. Wer Sanios Argumentation folgt, kommt zu dem Schluss, dass die HRE, und damit die Depfa, auch ohne die Lehmann-Pleite vom Staat hätte gerettet werden müssen.
Seit Herbst 2010 versucht nun die staatliche Bad Bank „Risikopositionen und nichtstrategische Geschäftsbereiche“ der HRE in einem Volumen von insgesamt 170 Milliarden Euro abzuwickeln. Es sind Tausende von Verträgen. Wie viele davon der Depfa zuzuordnen sind, lässt sich nur annähernd feststellen. Offizielle Zahlen sind dazu von der Bank selbst nicht zu erhalten. Aus einem detaillierten, mehrere Hundert Seiten umfassenden Abwicklungsplan der HRE für die Bad Bank aus dem Sommer 2010 geht allerdings hervor, dass von den 170 Milliarden Euro Nominalvolumen der Bad Bank 134,4 Milliarden der Depfa zuzuordnen sind. Darunter sind knapp neun Milliarden Euro Kredite und Staatsanleihen für Griechenland, 27,6 Milliarden für Italien, 14,9 Milliarden für Spanien. Würden diese Kredite und Staatsanleihen der südeuropäischen Wackelkandidaten tatsächlich alle glattgestellt und so wirklich an den heutigen Marktwert angepasst, dann müssten nicht nur, wie Ende Oktober beschlossen, für die Griechenland-Anleihen vier bis fünf Milliarden Euro abgeschrieben und neue Kredite in gleicher Höhe für die Bad Bank aufgenommen werden, um die Bilanz wieder auszugleichen.
Bei einer ähnlichen Operation wären für Italien noch mal knapp fünf Milliarden Euro, für Spanien drei Milliarden Euro fällig. Zwölf Milliarden Euro, die sich die Bad Bank als Kredite würde besorgen müssen. Allein in diesem Herbst. Im Bundeshaushalt sind solcherart Wertberichtigungen als Schulden erst einmal nicht vermerkt. Lediglich in der Eurostatistik für die Staatsverschuldung werden sie mitgerechnet. Denn die Bad Bank agiert außerhalb des Bundeshaushalts, kann sich ihr Geld auf dem freien Markt besorgen. Anleihen für 20 Milliarden waren es bis Anfang September allein in diesem Jahr – immer mit Staatshaftung und deshalb gut verkäuflich. Das dicke Ende wird also 2020 erst wirklich sichtbar – wenn im glücklichsten Fall alle Derivate, Staatsanleihen und Schrottpapiere aufgelöst oder verkauft sind und dann „nur“ noch die Außenstände der Bad Bank beglichen werden müssen. Experten rechnen mit mindestens 50 Milliarden Euro zusätzlicher Schulden, die dann die Bilanz des Bundeshaushalts verhageln werden.
Gerhard Bruckermann selbst lebt mit seinen 103 Millionen Euro auf dem Konto inzwischen wohl in Zürich und in Florida. Ihn aufzuspüren, ist schwer. Ein Foto in einer Zeitung aus dem vergangenen Jahr zeigt ihn bei der Charity-Konferenz eines Golfclubs in dem US-Staat. 2010 hat die Familie dort eine Immobilie erstanden. Vor anderthalb Jahren noch wähnten ihn einstige Weggefährten in der spanischen Provinz Huelva. Dort habe er, erzählt Herr K., schon zu Depfa-Zeiten ein großes Stück Land gekauft, um später dort Zitronen zu züchten.
Jeder Versuch, Bruckermann persönlich zu kontaktieren, scheitert. Sein Sohn will die E-Mail-Adresse des Vaters nicht herausgeben. Immerhin erklärt er sich bereit, Kontaktdaten an ihn weiterzuleiten. Eine Rückmeldung bleibt aus. Der Sohn arbeitet jetzt bei einer Firma, die Mikrokredite nach Afrika vermittelt, Bruckermanns „rechte Hand“ aus Depfa-Zeiten ebenfalls. Auf dem Gebiet hat sich auch der Vater schon engagiert, sagt zumindest Herr K. Man will es nicht herbeireden, aber vielleicht bietet der Bruckermann-Clan ja bald Mikrokredite in Griechenland an.
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