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Flüchtlinge - Der Syrien-Krieg erreicht den Libanon

Jeden Tag flüchten Tausende Syrer in den Libanon. Dort sind sie höchst unwillkommen. Flüchtlingsorganisationen warnen vor Ausschreitungen

Autoreninfo

Raphael Thelen ist freier Journalist. Seit dem Ausbruch der Revolutionen in der arabischen Welt berichtete er aus Tunesien, Ägypten und Libyen für deutsche und englischsprachige Medien.

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Fahrig steht Jean auf der Straße in Ramlet al-Beida, einem Außenbezirk von Beirut. Rings um den Syrer ragen stacheldrahtbewehrte Betonwände in die Höhe. Auf dem Arm hält er die anderthalbjährige Tochter seiner Schwester. „Die Libanesen wollen uns hier nicht“, sagt der 25-Jährige, der vor dem Krieg in seinem Heimatland in den Libanon geflohen ist. Er wollte nur eine Woche bleiben. Jetzt ist es ein Jahr.

Die Betonwände rund um Jean gehören zu den Büros des UN Flüchtlingswerks. Täglich registrieren sich 3000 Neuankömmlinge, um Hilfe zu erhalten. Sicherheitsleute überblicken Hunderte von Menschen, die in langen Reihen vor den Schaltern stehen.

„Wir haben den Schlüssel für unser Haus den Nachbarn gegeben. Sie schauen danach“, sagt Jean, während seine Schwester auf einem Betonblock sitzend ein Formular ausfüllt. Doch er ist unsicher, ob sie jemals zurückkehren können. Die Familie hat gehört, dass Deutschland Flüchtlinge aufnimmt. Darauf hoffen sie jetzt.

Laut dem Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen haben mit dem heutigen Tag zwei Millionen Syrer ihr Land verlassen. Anfang des Jahres waren 100.000 Syrer im Libanon. Jetzt sind es 720.000. Ende des Jahres schätzt die UN, werden es eine Millionen sein. Damit wäre jeder vierte im Libanon ein Syrer. Schon vor dem Krieg hatten manche Teile des Libanons nur sechs Stunden Elektrizität am Tag. Die Straßen sind veraltet und öffentliche Angestellte und Lehrer demonstrieren, da sie seit Jahren keine Gehaltserhöhung erhielten. Jobs sind rar. Die internationale Gemeinschaft hat Hilfe versprochen. Doch bisher erhielt das UN Flüchtlingswerk gerade mal 27 Prozent des benötigten Budgets.

Zu Beginn des Konflikts in Syrien öffneten viele Libanesen ihre Häuser und nahmen Flüchtlingsfamilien auf. Doch die Gastfreundschaft stößt an ihre Grenzen. Ressentiments greifen um sich. 330.000 syrische Kinder benötigen bis Ende des Jahres einen Schulplatz. Die Gesamtzahl der libanesischen Schulkinder beträgt 300.000. Es häufen sich die Vorwürfe, dass die Syrer mit Billigangeboten den Arbeitsmarkt kaputt machen. Kommt es zu Raubüberfällen oder Vergewaltigungen, zeigen die Finger schnell in eine Richtung. Immer wieder werden Syrer auf offener Straße verprügelt. In manchen Städten warnen Flüchtlingsorganisationen vor Ausschreitungen.

Und seit immer mehr bewaffnete Gruppen aus dem Libanon sich an den Kämpfen in Syrien beteiligen, erreicht die Gewalt auch den Libanon. Sunnitische Extremisten kämpfen auf Seiten der libanesischen Opposition. Die schiitische Hisbollah unterstützt Präsident Bashar al-Assad.

Mitte August explodierte eine Bombe in einem vorwiegend schiitischen Vorort Beiruts und tötete mehr als 20 Menschen. Nur acht Tage später gingen zwei Autobomben vor sunnitischen Moscheen in Tripoli in die Luft und rissen 45 Menschen in den Tod. Wer da hinter steckt ist unklar, doch Sicherheitsdienste schließen eine Beteiligung syrischer Geheimdienste nicht aus. Analysten sagen, dass die syrische Regierung den Libanon destabilisieren wolle, um klar zu machen, dass sie das Nachbarland mit sich ins Verderben reißen kann. Die meisten libanesischen Parten und Gruppierungen versuchen bis jetzt, eine Eskalation zu vermeiden. Die Erinnerungen an den 15-jährigen Bürgerkrieg sind noch frisch.

Mit den drohenden Angriffen der USA auf Syrien, fürchten viele dennoch eine Eskalation. Die Hisbollah und der Iran – Syriens engste Verbündete – drohen mit Vergeltung, falls Amerikas Strafaktion für den Giftgaseinsatz der syrischen Regierung zu umfassend ausfällt. Die Hisbollah hat tausende Raketen auf Israel gerichtet. Erst 2006 kam es zwischen den beiden zu einem Krieg. Israel bombardierte für über einen Monat Ziele im Libanon. Danach waren große Teile der libanesischen Infrastruktur zerstört und mindestens 1000 Zivilisten tot.

In der gegenwärtigen Lage kann eine ähnliche Kettenreaktion nicht ausgeschlossen werden. Dann hätte der Krieg, von dem bereits seit zwei Jahren alle im Libanon reden, das Land schließlich erreicht. Den Flüchtlingen bliebe kein Ort mehr, an den sie gehen könnten.

 

 

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