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Social Media - Wie das TV-Duell bei Twitter einschlug

Im Netz war das TV-Duell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück das Thema des Tages. Während die Nutzer Aussagen, Versprecher oder Kleidungsstücke der Kandidaten kommentieren, nutzen Parteien und Politiker den Kanal dazu, den Ausgang des Duells in die gewünschte Richtung zu deuten

Autoreninfo

Tobias Wagner ist Social Media Redakteur bei Tazaldoo UG. Das Berliner Startup hat mit Tame (www.tame.it) eine Kontextsuchmaschine für Twitter entwickelt, die Journalisten und anderen Informationsarbeitern hilft, den Datenstream zu bändigen und die wichtigsten Themen, Nutzer und Links zu filtern. Wagner selbst befasst sich seit dem Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaft in Gießen und Jena mit dem Echtzeitnetz und forschte unter anderem zu politischer Online-Kommunikation auf YouTube und Twitter sowie zur Enthüllungsplattform WikiLeaks.

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Soziale Netze und besonders Twitter werden bei großen TV-Ereignissen zunehmend als „Second Screen“ genutzt: Während auf dem ersten Bildschirm die Sendung gesehen wird, diskutieren Nutzer auf dem zweiten Bildschirm das Gesehene mit anderen Nutzern, machen Witze oder decken Logikfehler auf. In Deutschland hat sich dies zum Beispiel beim sonntäglichen Tatort oder bei Sport-Events eingebürgert.

Dass es ein politisches Event in Deutschland mit der Masse an Tweets zum #Tatort aufnehmen kann, ist da schon eher ungewöhnlich, liegt aber sicher auch darin begründet, dass es in diesem Wahlkampf nur dieses eine direkte Aufeinandertreffen von Merkel und Steinbrück geben sollte. Twitter selbst verkündete gar, dass das deutsche #tvduell am Abend weltweit das am häufigsten genannte Hashtag war. Während der TV-Übertragung wurden demnach über 173.000 Tweets verschickt - für die doch eher geringe Anzahl deutscher Twitternutzer ein beachtlicher Wert.

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Merkels Deutschlandkette mit eigenem Twitter-Auftritt

Blickt man auf die Twitter-Accounts, die im Zusammenhang mit dem Hashtag #tvduell am häufigsten genannt wurden, gibt es einige Überraschungen. An vorderster Stelle liegt hier neben dem offiziellen Tagesschau-Account das Profil von Peer Steinbrück, der sogar während seines TV-Auftritts twitterte bzw. twittern ließ. Auch wenn in Steinbrücks Profil offen angegeben wird, dass sein Team die meisten Tweets schreibt, zeigten sich doch viele User verwundert bis verärgert über diese offensichtliche Diskrepanz und auch die politische Konkurrenz nahm die Steilvorlage dankend an.

Ein weiterer sehr häufig genannter Account wurde erst während des Duells angemeldet. So war schon nach wenigen Minuten diversen Usern Merkels Halskette in den Deutschlandfarben aufgefallen, auch wenn einige darauf hinwiesen, dass die Reihenfolge der Farben wohl eher auf Belgien schließen lasse. Dies nahm ein gedankenschneller Twitter-User zum Anlass den Account @schlandkette anzumelden und während des Duells einige Statements zu twittern. Mit Aussagen wie „Also ich häng hier so rum... und ihr?” schaffte es der anonyme User innerhalb weniger Stunden auf über 6.000 Abonnenten.

Ein ähnliches Phänomen ist der Account @grumpymerkel. In Anlehnung an ein verbreitetes Internet-Meme, die sauertöpfisch blickende „Grumpy Cat”, twittert hier Merkels Alter Ego etwas missmutig „live” vom TV-Duell: „Der Raab soll sich mit der Hand melden, wenn er was fragen will.

Politische Einordnung in 140 Zeichen

Wer den Twitter-Nutzern aber unterstellt, es drehe sich auf der Plattform alles um kleine Witzchen, der unterschätzt die Bandbreite der politischen Diskussion in diesem Medium. Besonders da hier politische Inhalte durch die Kürze der Tweets prägnant und knapp formuliert werden müssen, entstehen oft Statements, die so viel aussagen können wie ganze Leitartikel.

Der Journalist Stefan Niggemeier etwa thematisiert in seinem Tweet einen viel sagenden Satz von Merkel während des Duells: „Angela Merkels Regierungsprogramm in einem Satz: Sie kennen mich.“ Auch dass beide Kandidaten oft nicht wirklich auf die gestellten Fragen antworteten, stieß vielen Nutzern auf: „Merkel heute großzügig: Sie hört sich die Frage vorher an, bevor sie sie ignoriert!“.

Ein weiterer Vorteil am „Second Screen” Twitter: Falschaussagen der Kandidaten können oft sofort geprüft und widerlegt werden. So behauptete z.B. Steinbrück, dass Snowden kein Asyl in Deutschland beantragt hätte und sich diese Frage deshalb nicht stelle. Dabei hat Snowden, wenn auch rechtlich nicht korrekt, durchaus um Asyl gebeten. Auf Twitter konnte dies wenige Minuten nach dem Statement nachgelesen werden.

Aber nicht nur die Statements der beteiligten Politiker wurden diskutiert, sondern auch das Format an sich. Schon im Vorfeld wurde die Kritik laut, dass ein TV-Duell zwischen zwei Kandidaten einen reinen Zweikampf suggeriere und deshalb die politische Vielfalt in Deutschland nur unzureichend abbildet. Marina Weisband von den Piraten brachte dies in einem im Vorfeld des Duells sehr häufig verbreiteten Tweet ironisch auf den Punkt: „Zum Glück gibt es das #TVduell, um uns daran zu erinnern, dass wir eh nur die Wahl zwischen zwei Parteien haben.”

Aus den USA, die im Gegensatz zu Deutschland eine lange TV-Duell-Historie haben, stammt der Begriff der Spin-Doktoren. Diese sollen im Anschluss an die TV-Auftritte dafür sorgen, dass die Medienberichterstattung auch den „gewünschten Dreh” in Richtung ihres Wunschkandidaten bekommt. So wurde bisher immer davon ausgegangen, dass die Schlagzeilen am Morgen nach dem TV-Duell den größten Anteil daran haben, wer als Sieger vom Platz geht als die Live-Sendung selbst.

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Nun stellt sich heute die Frage, wie viele Menschen wirklich noch auf die Schlagzeilen der Tageszeitungen warten oder ob sie nicht bis dahin schon längst die diversen Einordnungen der Online-Medien gelesen haben. Neben diversen Live-Tickern, Live-Votings und Blitzumfragen werden auch hier die Sozialen Netze zum Schauplatz des Kampfs um die Deutungshoheit. Politiker und andere Spin-Doktoren sitzen deshalb nicht mehr nur in den Talkshows nach dem Duell, um den eigenen Kandidaten als Sieger zu küren, sondern kommentieren schon während des Duells und besonders kurz danach auf allen Kanälen.

Auf Twitter konnten deshalb von allen Parteien und vielen Politikern mehr oder weniger profunde Einschätzungen des Duells vernommen werden. Manche reagierten dabei erstaunlich schnell. So nutzten etwa die Grünen eine Aussage Merkels zum NSA-Skandal für eine neue Version ihres Wahlplakats. Auf der CDU-Seite fiel besonders auf, dass Hermann Gröhe, der sonst gerne als Sprachrohr der Partei auf Twitter auftritt, wohl während seines ZDF-Auftritts keine Zeit zum twittern hatte und im Gegensatz zu Steinbrück kein angebliches Multitasking betreibt.

 

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