- Wie wird das europäische Jahr 2013?
Krise? Welche Krise? Inzwischen mehren sich die Stimmen, denen zufolge in der europäischen Schuldenkrise das Schlimmste überstanden ist. Dennoch lohnt es sich auch in diesem Jahr mehrere Länder in der Euro-Zone und einige Streitthemen unter den EU-Staaten im Auge zu behalten.
Spanien
Das Land auf der Iberischen Halbinsel gilt derzeit als eines der
größten Sorgenkinder der Euro-Retter. Die Gefahr einer Staatspleite
ist zwar gebannt, seit der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB),
Mario Draghi, im vergangenen Sommer ankündigte, notfalls unbegrenzt
Staatsanleihen kriselnder Euro-Länder aufzukaufen – ein Angebot,
das angesichts der horrenden Anleihezinsen seinerzeit vor allem auf
Spanien gemünzt war. Allerdings hat das Angebot Draghis einen
Haken: Um die Hilfe der EZB in Anspruch nehmen zu können, müsste
Spanien unter den Euro-Rettungsschirm ESM schlüpfen. Und das geht
wiederum nur, wenn Madrid im Gegenzug harte Sparauflagen in Kauf
nimmt.
Aus diesem Grund zögert Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy auch weiterhin, auf das Hilfsangebot von EZB-Chef Draghi einzugehen. Er könnte allerdings dazu gezwungen sein, wenn die Zinsen der spanischen Staatsanleihen wieder nach oben schnellen sollten. Rajoy hat seine Landsleute bereits darauf eingestimmt, dass auch das Jahr 2013 „sehr schwierig“ wird, gleichzeitig rechnet er im zweiten Halbjahr mit einer Verbesserung der Lage.
Gegenwärtig steckt Spaniens Wirtschaft in der Rezession, auch für 2013 wird mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent gerechnet. Für den Fall, dass Rajoy den Spaniern im Gegenleistung für Hilfen aus dem Rettungsschirm ESM weitere Einbußen – etwa Steuererhöhungen – zumuten müsste, könnte sich die Stimmung vollends gegen den Regierungschef wenden. Seine konservative Volkspartei musste seit Rajoys Amtsantritt 2011 erhebliche Popularitätseinbußen hinnehmen.
Italien
Mit der unsicheren politischen Zukunft Italiens steigt auch wieder
das Risiko, dass das europäische Gründungsmitglied wie schon im
vergangenen Sommer erneut in den Fokus der Anleihemärkte gerät. Der
amtierende Regierungschef Mario Monti hat es geschafft, seinem Land
wieder zu erträglichen Finanzierungskosten an den Kapitalmärkten zu
verhelfen. Der Preis bestand aus Steuererhöhungen, Rentenkürzungen
und Reformen am Arbeitsmarkt – lauter unpopuläre Maßnahmen, die dem
früheren Regierungschef Silvio Berlusconi Futter für seine
Wahlkampagne liefern. Nach den gegenwärtigen Umfragen sieht es zwar
nicht danach aus, als könnte Berlusconi eine Rückkehr an die Macht
gelingen. Aber trotzdem ist nicht gesichert, dass Italien nach den
Wahlen Ende Februar weiter auf Reformkurs bleibt. Als möglich gilt
eine Zusammenarbeit Montis mit dem Chef der Demokratischen Partei,
Pier Luigi Bersani, der ein Mitte-Links- Bündnis führt. Bersani
liegt in den Umfragen vorn. Er hat bereits angedeutet, dass er
Montis Reformwerk im Falle einer Wahl fortsetzen könnte.
Seite 2: Deutschland und Frankreich
Deutschland
Deutschland wird wohl auch 2013 die Euro-Krise kaum zu spüren
bekommen. Experten rechnen hierzulande mit einem Wachstum von rund
einem Prozent. Sollte gleichzeitig kein akuter Handlungsbedarf bei
angeschlagenen Euro-Mitgliedern wie Spanien oder Griechenland
bestehen, dürfte das auch bedeuten, dass europapolitische
Grundsatzentscheidungen wie eine mögliche Einführung von Euro-Bonds
oder ein Schuldenschnitt in Griechenland auf die Zeit nach der
Bundestagswahl im September vertagt werden. Ohne Deutschland geht
in beiden Fragen nichts, und bekanntermaßen hält Bundeskanzlerin
Angela Merkel weder von Euro-Bonds noch von einem Schuldenschnitt
für Athen etwas – insbesondere nicht im Wahljahr. Das muss aber
nicht heißen, dass Deutschland in den kommenden neun Monaten als
europapolitischer Reformmotor ausfällt. So unterstützt Merkel ein
EU-Projekt, das bis zum Juni Gestalt annehmen soll: EU-Staaten
sollen Hilfen aus einem „Soliaritätsfonds“ erhalten, wenn sie sich
zuvor zu länderspezifischen Reformen – etwa auf dem Arbeitsmarkt –
gegenüber der EU-Kommission verpflichtet haben.
Frankreich
Frankreichs Staatschef François Hollande muss in diesem Jahr das
Kunststück fertigbringen, einerseits die Brüsseler Sparvorgaben zu
erfüllen und andererseits die Wirtschaft so weit anzukurbeln, dass
sich der Trend einer immer weiter zunehmenden Arbeitslosigkeit
umkehrt. Ende November waren 3,1 Millionen Menschen in Frankreich
arbeitslos, was dem höchsten Stand seit knapp 15 Jahren entspricht.
Die Quittung hat Hollande in Form desaströser Umfragewerte
erhalten: Im Dezember äußerten sich nur noch 35 Prozent der
Befragten positiv über den Staatschef. Dank der komfortablen
Mehrheit der Sozialisten muss Hollande aber anders als Italiens
Regierungschef Monti nicht befürchten, demnächst den Rückhalt im
Parlament zu verlieren.
Der für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählte Präsident setzt darauf, dass sich das Blatt langfristig zu seinen Gunsten wendet – Ende 2013 soll die Arbeitslosigkeit seiner Planung zufolge wieder fallen. In der Zwischenzeit könnte Frankreich, dem die Ratingagenturen Standard & Poor’s und Moody’s bereits die Bestnote bei der Kreditwürdigkeit entzogen haben, allerdings verstärkt ins Visier der Märkte geraten. Denn schließlich steht und fällt Hollandes Versprechen, wieder mehr neue Jobs zu schaffen, mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Regierung von Premierminister Jean-Marc Ayrault geht in ihren Planungen bislang davon aus, dass Frankreichs Wirtschaft 2013 um 0,8 Prozent wächst. Tatsächlich dürfte das Wachstum aber geringer ausfallen, wenn man den jüngsten Prognosen des Statistikamts Insee folgt. Und damit könnten auch die ehrgeizigen Haushaltsziele Hollandes ins Wanken geraten. Bislang hat sich die sozialistische Regierung dem Ziel verpflichtet, 2013 die jährliche Neuverschuldung auf die im Maastricht-Vertrag vorgesehene Marke von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zu drücken.
Nicht zuletzt Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici hat immer wieder deutlich gemacht, dass ein strikter Sparkurs in Frankreich unabdingbar ist, wenn die „Grande Nation“ nicht in einen ähnlichen Abwärtsstrudel wie Spanien und Italien geraten soll. Allerdings rechnet der Internationale Währungsfonds (IWF) damit, dass Frankreich das Drei-Prozent-Ziel im Jahr 2013 nicht erreichen wird; stattdessen geht der IWF von einer Neuverschuldung von 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung aus.
Seite 3: Griechenland, die EU-Bürger und ihr Haushalt
Griechenland
Die wirtschaftlichen Aussichten für Griechenland sehen weiterhin
düster aus – und doch könnte es sein, dass die Hellenen das
Spitzenpersonal der EU 2013 weniger in Atem halten werden als in
den zurückliegenden zwölf Monaten. Denn im Dezember haben die
Euro-Finanzminister die Freigabe von Finanzhilfen in Höhe von
insgesamt 49,1 Milliarden Euro beschlossen. Die Summe, die unter
anderem zur Rekapitalisierung der griechischen Banken eingesetzt
wird, dürfte weit bis ins Jahr 2013 hinein reichen – immer
vorausgesetzt, Athen setzt wie versprochen Bedingungen wie etwa
eine Steuerreform um und sichert sich damit die Auszahlung der
Hilfstranchen.
Aber auch wenn das Damoklesschwert der Pleite im kommenden Jahr nicht mehr über Hellas schwebt und das Szenario eines Austritts Griechenlands aus der Euro-Zone von deutschen Spitzenpolitikern ebenfalls nicht mehr heraufbeschworen wird, dürfte Athen in den kommenden zwölf Monaten ein Unruheherd bleiben. 2013 ist für Griechenland das sechste Rezessions-Jahr in Folge. In Brüssel wird damit gerechnet, dass Griechenlands Wirtschaft im kommenden Jahr um weitere 4,2 Prozent einbricht. Sollte sich Ministerpräsident Antonis Samaras wegen des Überdrusses der Bevölkerung nicht an der Macht halten können und statt dessen sein Konkurrent Alexis Tsipras von der linken Partei Syriza zum Zuge kommen, würde dies das Aus für die Reformvereinbarungen zwischen Brüssel und Athen bedeuten – und Griechenland stünde sofort wieder ganz oben auf der EU-Agenda.
Die EU-Bürger
Die EU-Kommission hat 2013 zum „Europäischen Jahr der Bürgerinnen
und Bürger“ ausgerufen. Dabei sollen den EU-Bürgern deren Rechte
und Freiheiten – etwa das Studium im Ausland oder der kontrollfreie
Grenzübertritt – vor Augen geführt werden. Auch wenn der gute Wille
der Aktion unverkennbar ist, spricht doch einiges dafür, dass im
ständigen Hin und Her der Euro-Rettung der Zusammenhalt zwischen
der EU und ihren Bürgern weiter verlorengeht. Befördert wird das
Auseinanderdriften noch von der unvermeidlichen Kakophonie der bald
28 Mitgliedstaaten – im Juli will Kroatien Mitglied der
Gemeinschaft werden. Die großen Parteienfamilien in der EU haben
die Gefahr erkannt. Sie wollen verhindern, dass es bei der nächsten
Europawahl 2014 einen Negativ-Rekord bei der Wahlbeteiligung gibt.
Wenn es ihnen gelingen sollte, 2013 EU-weite Spitzenkandidaten
aufzustellen, die zugleich Nachfolge-Kandidaten des scheidenden
Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso sind – dann wäre das
immerhin ein demokratischer Fortschritt.
Der EU-Haushalt
Der Streit um die nächste mehrjährige Haushaltsperiode der EU
zwischen 2014 und 2020, der sich um das Volumen und die Verteilung
milliardenschwerer Fonds wie des Agrarhaushalts dreht, könnte zur
Belastungsprobe für das Verhältnis zwischen Großbritannien und den
übrigen EU-Ländern werden. Anfang des Jahres soll bei einem
Sondergipfel eine Einigung über das mehrjährige Budget in Höhe von
rund einer Billion Euro erzielt werden, nachdem beim ersten Anlauf
im November noch kein tragfähiger Kompromiss unter den 27
EU-Staaten in Sichtweite war. Besonders der britische
Regierungschef David Cameron war dabei durch seine radikalen
Kürzungswünsche aufgefallen. Zur allgemeinen Überraschung hatte
sich auch Kanzlerin Merkel auf seine Seite geschlagen. Allerdings
gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden:
Während Merkel über einen größeren politischen Spielraum im
Haushaltsstreit verfügt, steht Cameron unter gewaltigem Druck. Um
die Skeptiker in der konservativen Regierungspartei bei Laune zu
halten, muss er als harter Verhandler gegenüber den
Empfängerstaaten in der EU auftreten.
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