Das Magazin - Die Frau auf den Knien

Jane Campions neuer Film handelt von Macht und Ohnmacht zwischen den Geschlechtern

Die Reaktionen auf den Thriller der New Yorker Autorin Susanna Moore, der auf Deutsch unter dem Titel «Aufschneider» erschien, waren gespalten; drastischer hatte selten eine Frau über Sex und Gewalt geschrieben, über weibliches Begehren und männliche Bedrohung, über Ekstase und Blutrausch. Im Mittelpunkt des Romans steht die Literaturwissenschaftlerin Frannie, die an einem Buch über Slang-Ausdrücke arbeitet und ihr Geld damit verdient, Studenten das Schreiben beizubringen. Eine allein stehende Mittdreißigerin in Manhattan, geschieden, frech, mutig und gescheit. Sie ist eine Wortsüchtige, eine ewig Notierende und Kommentierende, eine starke Frau, die einen dummen Fehler macht, aus dem weitere erwachsen. Sie geht mit einem ihrer schwarzen Studenten in eine Bar, sieht zufällig etwas, was sie nicht sehen sollte – und ist davon fasziniert. Danach ist nichts mehr, wie es war. Überrascht und ratlos kommentiert sie noch ihr eigenes blutiges Ende. Eine – vor allem für ungeübte Sex-and-Crime-Leserinnen – schwer erträgliche Lektüre.

Die neuseeländische Regisseurin Jane Campion hat nach dieser Romanvorlage ihren schmerzlichsten und düstersten Film gedreht. Wie schon in «Das Piano» oder in der Henry-James-Verfilmung «Portrait of a Lady» zielt sie auf die Grenzüberschreitung, die im Begehren liegt, sucht danach, die Unmöglichkeit der Liebe zwischen Frau und Mann zu zeigen. Deutlich sind die Anleihen dieses verstörenden Films beim Thriller der siebziger und bei den schwarzen Serien der vierziger Jahre. Frauen in der Großstadt sind Freiwild, unablässig bedroht von Gewalt und Erniedrigung. Meg Ryan, die heitere Hollywood-Komödiantin mit dem offenen Blick, spielt die Hauptrolle.

Allein in dieser – nach dem gängigen Rollenklischee – großartigen Fehlbesetzung liegt eine überraschende Stärke des Films, denn Ryan spielt überzeugend eine zerbrechliche, trotz aller selbstsicheren Intellektualität ratlose Frau. Sie entfernt sich von der schnoddrigen Romanheldin, stattet sie mit einer ambivalenten, traurigen Sehnsucht aus. Die Universitätsdozentin trägt eine Brille, ist nicht aufreizend angezogen wie ihre sinnlich-fordernde Halbschwester und erfüllt trotzdem das Opfer-Klischee. Alle Frauen strahlen Hilflosigkeit aus, egal wie sicher sie die Gesetze des Großstadtlebens beherrschen.

Die Literaturkennerin sieht versehentlich, was nicht für ihre Augen bestimmt ist: Eine Frau kniet vor einem Mann, in Dunkelheit gehüllt verrichtet sie einen Blow Job. Jane Campion inszeniert, was selbst in unseren freizügigen Kinozeiten gewöhnlich nicht zu sehen ist: Sie geht mit der Kamera ganz nah heran, zeigt das männliche Geschlechtsteil in Großaufnahme, lässt es ebenso leuchtend wie bedrohlich aussehen; es scheint ein Eigenleben zu führen und wird im wahren Sinn des Wortes bearbeitet. Der dazugehörige Mann bleibt im Dunkeln, wirkt durch seine Schemenhaftigkeit groß und angsteinflößend. Er ist der Mächtige, die langhaarige Frau auf den Knien vor ihm ist all ihrer Professionalität zum Trotz die Schwache. Wenig später wird sie von ihrem Mörder furchtbar zugerichtet werden. Einen kurzen Augenblick lang dauert diese Szene nur, die verstörender wirkt als jede ausführliche Sex-Inszenierung.

Der Film wird das bedrängende Verhältnis von Macht und Ohnmacht zwischen Frau und Mann immer wieder variieren. Nicht nur die Slang-Ausdrücke sind in ihrer Rüdheit frauenverachtend, auch die gewöhnliche Sprache der Polizisten ist es, die die Bettgefährtinnen reduziert auf passende Löcher. Selbst das reine Begehren, der Anfang einer Verliebtheit, wird bestimmt von der Differenz weiblicher Sehnsüchte und männlicher Gewalttätigkeit. Davon erzählt dieser bedrückend spannende Thriller vor allem: von der scheinbaren Unmöglichkeit, die Rolle des Opfers und die des Täters abzustreifen, Passivität und Aktivität zu vertauschen. Als die Protagonistin das in einem Liebesspiel versucht, unterläuft ihr zur Strafe ein furchtbarer Irrtum.

Die Verhaltensmuster scheinen festzustehen, und doch flirren inmitten der Furcht einflößenden, männlich dominierten Großstadt die Lust und die Sehnsucht. Der, der Frannie fremd und bedrohlich erscheint, wird zum Begehrten, der ihr nahe kommt wie keiner vor ihm. Der Detektiv weiß um ihre sexuellen Träume und erfüllt sie. Er ist das seltene Exemplar eines Liebhabers, der weiß, was er tut, der das erotische Spiel beherrscht. So viel Intuition und Fingerfertigkeit müssen der intellektuell überlegenen Frau verdächtig erscheinen. Zumal er lügt, wie anscheinend alle Männer lügen.

Düsterer war nie ein Liebesfilm, sehnsüchtiger nie ein Thriller. Und nie war man so froh, dass Jane Campion, die gemeinsam mit Susanna Moore das Drehbuch schrieb, das gefürchtete Romanende verändert hat. Aller Gewalt, allem Blutrausch zum Trotz gehören die einander ewig fremd bleibenden Geschlechter doch zusammen.

 

«In the Cut»
USA/Australien 2003, 118 Min.
Regie: Jane Campion
Mit Meg Ryan, Mark Ruffalo, Kevin Bacon, Jennifer Jason Leigh, Nick Damici u. a.

Susanna Moore
Aufschneider. Thriller
Aus dem Amerikanischen von Ditte und Giovanni Bandini.
dtv, München 2003. 208 S., 8 €

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