- Mein Geigen-Stopp am russischen Flughafen
Musiker geben ihre Instrumente ungern aus der Hand. Auf Reisen ist da Kreativität gefragt. Der Geiger Daniel Hope berichtet von einem kuriosen Erlebnis am russischen Flughafen
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Als Reisender Musiker führen mich Tourneen um den ganzen Erdball. Die vielen Hürden, die mir und meinen Kollegen das Reisen erschweren, verlangen eine enorme Kreativität. Wir Streicher geben unsere Instrumente nie aus der Hand. Deshalb brauchen Cellisten, wenn sie per Flugzeug unterwegs sind, nicht nur ein Ticket für sich selber, sondern auch noch ein zweites für „Mrs. Cello“, die für die Gepäckablage zu dick ist und einen eigenen Sitzplatz in der Kabine benötigt. Manche verlangen von der Stewardess sogar eine Extramahlzeit für ihre Begleitung.
Vor kurzem kam es zu einem Eklat beim berühmten amerikanischen Cellisten Lynn Harrell. Harrell hatte seine „Mrs. Cello“ bereits vor Jahren als Person beim Meilenprogramm einer amerikanischen Luftlinie registriert und somit auch Meilen für das Extraticket kassiert. Eine völlig legitime Angelegenheit, schließlich muss der Musiker für sein Instrument den vollen Tarif zahlen, selbst wenn er sein eigenes Ticket reduziert ergattert. Harrell staunte nicht wenig, als die Fluggesellschaft ihn schließlich ganz aus ihrem Meilenprogramm warf, seine Meilen konfiszierte und ihn auf Lebenszeit sperrte.
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Bei Geigern ist es in letzter Zeit häufig zu Problemen beim deutschen Zoll gekommen. Kurz hintereinander sind einige Solisten bei der Ankunft am Frankfurter Flughafen festgehalten und ihre Instrumente beschlagnahmt worden, obwohl sie außerhalb Deutschlands leben oder nur umsteigen wollten. Jeder Musiker, der von außerhalb der EU einfliegt, muss nämlich sein Instrument beim Zoll deklarieren, ob es ihm gehört oder nicht. Ansonsten droht ihm eine hohe Geldstrafe. Allerdings scheinen gewisse Beamte an den verschiedenen Flughäfen nicht immer informiert zu sein, wie die Regeln tatsächlich lauten. So werde ich öfters mit fassungslosen Blicken konfrontiert, wenn ich morgens um 5 Uhr, gerade aus Amerika gelandet, den Herrschaften zu erklären versuche, dass das Instrument nicht „Neuware“ ist, die im Drittland günstig eingekauft wurde, sondern ziemlich alt.
Nur in Russland gibt es immer wieder interessante Begegnungen beim roten Zolldurchgang. Die Unterhaltung verläuft etwa so:
„Guten Tag, ich bin Geiger.“
Der Beamte sagt: „Moment.“
Danach kommt der nächste und fragt: „Was wollen Sie?“
„Ja, ich bin Geiger, ich spiele hier ein Konzert.“
„Aha, Konzert! Geiger. Moment.“
Dann kommt wieder ein anderer, und irgendwann wird man an eine Frau weitergereicht, eine ziemlich massive Frau in Uniform. Die sagt: „Skripka, aha. Auspacken. Sofort!“
Man steht am Flughafen, die Leute gehen an einem vorbei, und du musst die Geige herausnehmen. Du bist ganz vorsichtig. Und die Frau in Uniform packt sie mit dicken, tintenbeklecksten Fingern, reißt sie an sich, schüttelt sie und dreht sie. „Stradivari?“
„Nein.“
Sie guckt noch einmal. „Guadagnini?“
„Nein.“ Jetzt guckt sie die Geige fast herablassend an.
Und dann fängt sie an, die ganze Palette von Geigenbauern aufzusagen. „Ruggieri?“
„Nein.“
„Testore?“
„Nein.“
Es ist schon erstaunlich. In anderen Ländern kennt ein Zollbeamter höchstens die „Stradivari“. Aber sie, die russische Dame vom Zoll, kennt fast alle. Gereizt fragt sie: „Ja, was ist es denn?“
„Es ist eine Guarneri.“
Augenrollend fotografiert sie die Geige, notiert und stempelt alles. Das Procedere dauert fast eine halbe Stunde.
Russen besitzen übrigens einen wunderbaren, skurrilen Humor. Eine Musikeranekdote der ehemaligen Leningrader Philharmoniker gefällt mir besonders: Eines Abends, während einer Tournee durch die Vereinigten Staaten, bei einer Feier im Hotelzimmer der Musiker, ließ jemand eine brennende Zigarette auf das Sofa fallen. Anstatt ein Kissen auf den Brandfleck zu legen, um die Beschädigung zu verbergen, beschlossen die Musiker, dass einer von ihnen mitten in der Nacht in einem Baumarkt, der 24 Stunden geöffnet hatte, eine Axt kaufen sollte. Gesagt, getan. Dann wurde das Sofa in Stücke gehackt und in Kleinteilen im Gepäck herausgeschmuggelt. Als der Manager des Hotels irgendwann fragte, wo bitte sehr das schöne Sofa aus Zimmer 413 geblieben sei, zuckten alle die Schultern und sagten nur: „Welches Sofa?“ Reisende Musiker sind eben besonders erfinderisch.
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