- Zwischen Malerei und Millionen
Der Leinwand-Fürst Gerhard Richter vollendet sein achtzigstes Lebensjahr. Dass seine Bilder zu Millionenpreisen versteigert werden, ist dem Künstler peinlich. Tatsächlich ist es etwas anderes, das seine Kunst im Innersten zusammenhält
„Die Malerei ist zu Ende“, postulierte der Künstler Marcel Duchamp vor 100 Jahren. Zwanzig Jahre später erblickte Gerhard Richter in Dresden das Licht der Welt, trotzte bald darauf technischen Innovationen wie der Fotografie und widerlegte somit Duchamps Behauptung. Richters Verdienst – soviel steht schon heute fest – ist folglich die Wiederbelebung der totgeglaubten Malerei.
Das Lebenswerk Richters, dessen Retrospektive ab dem Wochenende in der Neuen Nationalgalerie Berlin gezeigt wird, ist vielfältig. Er hat Zeichnungen geschaffen, Fotografien und Skulpturen gefertigt, einen U-Bahnhof gestaltet und ein Kirchenfenster für den Kölner Dom entworfen. Unauslöschlich in ihrer Bedeutung für die Kunstgeschichte sind aber vor allem seine Gemälde. Sie machen den Großteil seines Œuvres aus und teilen sich in zwei Strömungen. Zum einen begann er 1962 mit seinen figurativ-realistischen Arbeiten, die Fotos nachempfunden sind, und stieß damit zunächst auf Missverständnisse: Das mittlerweile berühmte fotorealistische Öl-Bild „Ema (Akt auf einer Treppe)“ reichte er 1966 bei einem Wettbewerb in Berlin ein – und wurde abgewiesen.
Ein Missverständnis. Denn begründet wurde die Ablehnung mit dem Hinweis, dass keine kolorierten Fotos zum Wettbewerb zugelassen wären. Die im wahrsten Sinne unglaubliche Meisterschaft Richters, in seinen Bildern einen fotografischen Stil zu imitieren, versetzt noch heute Museumsbesucher weltweit in sprachloses Staunen. Ähnlich beeindruckend sind weitere Gemälde, die Richter nach Fotos von Personen anfertigte, wie beispielsweise die Familienmitglieder „Tante Marianne“ und „Betty“ oder bekannte Persönlichkeiten wie die Baader-Meinhoff-Gruppe, Albert Einstein, Franz Kafka und Thomas Mann.
[gallery:80 Jahre Gerhard Richter - eine Revue in Bildern]
Diese Bilder sind allerdings mehr als Gemälde nach Fotos. In seinen realistischen Bildern, die neben Portraits auch Landschaften und Stillleben umfassen, werden immer wieder Bezüge zur europäischen Malerei deutlich. So hat Richters „Lesende“ Ähnlichkeiten mit Vermeers „Briefleserin am offenen Fenster“. Sein „Ema (Akt auf einer Treppe)“ bezieht sich auf Duchamps berühmtes „Akt, eine Treppe hinabsteigend, Nr.2“. Auch in seinen Landschaftsbildern sind Parallelen erkennbar. Sein „Eisberg im Nebel“ erinnert beispielsweise an Caspar David Friedrichs „Eismeer“. Und auch den Vanitas-Bildern der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts nähert er sich mit naturgetreuen Gemälden von Kerzen und Totenschädeln an. Seine Ölbilder stehen somit in einer langen Tradition und eröffnen der Malerei den Weg ins 21. Jahrhundert.
Das ist die eine Seite. Neben diesen Bildern, die Richter selbst als „handwerkliches Tun“ bezeichnet, gibt es auch noch eine für ihn „schmutzige“ Arbeit, die „ein bisschen was von einer Schlacht“ hat: Das Malen von abstrakten Bildern. Als Ostdeutscher hatte Richter 1959 die Möglichkeit, sich die documenta in Kassel anzusehen. Ausschlaggebend für seine Kunst war die dortige Erfahrung von Bildern Lucio Fontanas und Jackson Pollocks: „Sie waren so dreist. Der eine hatte einfach in die Leinwand geschnitten, der andere Farbe draufgespritzt.“ Der Schock, den diese Bilder bei ihm ausgelöst hatten, ließ ihn auch nicht in Ruhe, als er 1961 in den Westen floh. Den größten Teil in Richters Gesamtwerk bilden heute seine abstrakten Bilder: ob grau-monochrom, geometrisch-bunt oder zerkratzt-farbig.
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Bei diesen Bildern komme fast immer etwas anderes heraus, als er ursprünglich geplant habe, erzählt der Künstler. Der Prozess, den Richters abstrakte Bilder durchlaufen, lässt sich in der 2011 erschienenen Dokumentation „Gerhard Richter – Painting“ von Corinna Belz gut nachvollziehen. Anfangs würden die Bilder häufig gut aussehen, aber nach einer Weile der Betrachtung nicht mehr stand halten und dann, so Richter, „beginnt die Arbeit – ändern, zerstören, neu entstehen lassen, usw., bis es fertig ist.“ Woran er erkenne, dass ein solches Bild fertig sei, wird Richter häufig gefragt. „Wenn mich nichts mehr daran stört und ich keine Idee habe, was ich tun, hinzufügen oder zerstören kann. Das ist meist sehr überraschend. Plötzlich ist es fertig.“
Überhaupt ist die Qualität Richters Hauptkriterium. Er müsse an einem Bild arbeiten, bis es die Wahrheit erzähle. Der perfektionistische Maler erklärt: „Es ist eine bestimmte Qualität, um die es geht. Die ist weder ausgedacht, noch überraschend oder einfallsreich, nicht verblüffend, nicht witzig, nicht interessant, nicht zynisch, nicht planbar und wahrscheinlich nicht mal beschreibbar. – Einfach gut.“
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Mit seiner Kunst ist Gerhard Richter deshalb streng. Was auch im Zuge von Überarbeitung nicht besteht, wird vernichtet. Eine Rigorosität, die für Künstler nicht ungewöhnlich ist. Auch das erste Modell von Duchamps heute berühmtem Pissoir, ein Readymade mit dem Titel „Fontaine“, ist bei einem Umzug weggeworfen worden, später hat er fürs Museum ein neues ausgewählt.
Doch bei Gerhard Richter bekommt ein solches Verhalten aus ökonomischen Gründen eine andere Aufmerksamkeit: Er ist, wie man so schön sagt, der teuerste lebende Künstler der Welt und liegt somit vor Jeff Koons und Damien Hirst, den Medienstars der Branche. Im Herbst 2011 wurde eines seiner Bilder zum Bestpreis von 15 Millionen Euro verkauft. Allein der Handel mit Richters Arbeiten hatte 2011 weltweit einen Umsatz von knapp 80 Millionen Euro. Dem zurückhaltenden und medienscheuen Künstler, dessen Vermögen auf 200 Millionen Euro geschätzt wird, ist dieser Hype eher peinlich. Er bezeichnet ihn als „unverständlich, albern, unangenehm“.
Dass Richter, wie jetzt durch das Gerhard Richter Archiv der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden bekannt wurde, in den 60er Jahren über 100 seiner Bilder verworfen und deshalb zerstört hat, hatte einen harten, aber ganz simplen Grund: Sie genügten seinen eigenen Ansprüchen nicht. Wenn nun in vielen Medien Wehklagen ertönt, ob des Verlustes von Bildern, die laut SPIEGEL heute eine halbe Milliarde Euro wert wären, dann zeigt das einmal mehr, wie hysterisch der Kunstmarkt sein kann. Wie selten dort nur noch die Kunst der eigentliche Mittelpunkt ist. Es wird nicht akzeptiert, dass Richter selbst sein schärfster Kritiker ist. Wenn ein Werk in seinen Augen nicht besteht, hilft auch alles Geld der Welt nichts.
Malerei müsse etwas „Unbegreifliches“ haben, „etwas, was über uns hinausgeht“, meint Richter. Denn der Zweck der Kunst sei es, mit ihrer Hilfe diese Welt zu überstehen, „wie Brot und Liebe.“ Mit seinem untrüglichen und instinktivem Kunstsinn und Können hat Gerhard Richter dieses Ziel schon lange erreicht: Seine Werke werden bleiben.
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