- „Was uns zusammenführt, ist etwas Großes”
Peter Handke und Siegfried Unseld arbeiteten als Autor und Verleger 37 Jahre zusammen und überwanden einige Streitigkeiten. Ihr Briefwechsel gibt Aufschluss über eine Zusammenarbeit, die 2002 mit dem Tode Unselds endete
Natürlich gab es Spannungen. Natürlich gab es auch Krach, gewaltigen Krach sogar. Das konnte im Lauf von fast vier Jahrzehnten literarischer Zusammenarbeit schon deshalb nicht ausbleiben, da es sich bei einem der beiden Beteiligten um Peter Handke handelte, der, um es vorsichtig zu sagen, über ein etwas reizbares Temperament verfügt. Es ist also keineswegs überraschend, im Briefwechsel des österreichischen Schriftstellers mit seinem Frankfurter Verleger Siegfried Unseld Sätze zu lesen, die von Ärger, Verstimmung und Kommunikationskrisen zeugen.
Zu einer solchen Krise kommt es im Februar/März 1975. Peter Handke lebt zu dieser Zeit mit seiner kleinen Tochter Amina in Paris. Er hatte gerade das Manuskript seines neuen Romans „Die Stunde der wahren Empfindung“ beendet und es Siegfried Unseld übergeben. Nun wartet er auf eine Reaktion mit – menschlich verständlicher – Nervosität. Taugt der Text? Ist es ein gelungenes Buch? Was denkt Unseld? Warum lässt Unseld nichts von sich hören?
Handke wird ungeduldig. Er ruft von Paris aus im Verlag an und spricht mit Siegfried Unseld. Der Unmut darüber, dass er als erfolgreicher, berühmter, fast schon weltberühmter Hausautor den Verleger an dessen Lektüre seines neuen Werkes erinnern muss, scheint den Unmut über das Telefongespräch verstärkt, vielleicht erst hervorgebracht zu haben.
Am 21. Februar 1975 schreibt Peter Handke an Siegfried Unseld einen ungewöhnlich langen Brief, im Kern eine bittere Beschwerde: „Hier will ich, was mich seit einiger Zeit beschäftigt, nicht verschweigen: als ich das Manuskript Dir zukommen ließ, hast Du Dich nicht, wie bis dahin immer, nach der Lektüre vor mir geäußert. Ich sage offen, dass ich unruhig war und deshalb von mir aus in Frankfurt anrief. Du sagtest darauf nichts als (was mir außerdem – misstrauisch? – eher pflichtbewusst klang) dass Du ‹begeistert› seist – und dann hörte ich einen Satz, den ich nie vergessen werde: Du sagtest einem Autor, der ja immerhin schon einigermaßen gelesen wird: ‹Dieses Buch wird seine Leser finden›. Was Du da sagtest, schlug mir ein richtiges Loch ins Bewusstsein – es war nicht nur nichtssagend und erschreckend unpersönlich, sondern auch bezeichnend.“
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Das klingt dramatisch. Das klingt nach einem Konflikt, der seine Zeit dauern wird. Das wird er aber keineswegs. Denn die Briefe, die nun folgen, sind in ganz erstaunlicher Weise getragen von dem Bemühen, das Konfliktlein so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen, es bloß nicht ins Neurotische, Dauerbeleidigte ausufern zu lassen; ein Bemühen von beiden Seiten. Denn überraschend ist an dieser Korrespondenz vor allem eines: die spürbare Entschlossenheit zweier sehr starker, sehr souveräner Männer, der gemeinsamen Sache zuliebe alles persönlich Heikle oder Trennende im Zweifelsfall zurückzustellen. Die Sache ist die Literatur. Der eine schreibt, der andere verlegt sie. Das Gelingen der einen wie der anderen Tätigkeit bedarf nicht nur der Loyalität, sondern auch einer gewissen Großmut aus Vernunft. Und eben diese drückt sich in den Briefen aus.
Am 3. März 1975 schreibt Siegfried Unseld einen nicht minder langen, versöhnlichen Brief an Peter Handke, in dem er erklärt, erläutert, beruhigt, richtigstellt und die energischen Werbemaßnahmen skizziert, die der „Stunde der wahren Empfindung“ auf dem Buchmarkt unter die Arme greifen werden. Nur vier Tage später antwortet Peter Handke: „Lieber Siegfried, vielen Dank für Deinen schönen, ausführlichen Brief. Mein letztes Schreiben wirst Du als einen exemplarischen Autorenbrief bewahren können …“ Um die Geste des Einlenkens zu verstärken, schickt Handke wiederum zehn Tage später, am 16. März 1975, einen zweiten, eher privat gehaltenen Brief nach Frankfurt. Er macht gerade Urlaub am Meer in Cabourg, wohnt dort im Grand Hotel. „Lieber Siegfried, hier in der Schublade war so schönes Briefpapier, und weil auch das Meer so heimelig rauscht vor dem Fenster am düsteren Vormittag, will ich das zu einem kleinen Brief nutzen. Ich bin mit Amina, die gerade im Badezimmer Muscheln gewaschen hat, in dem Hotel, von dem ich Dir in Paris erzählt habe. Dein Freund Proust ist hier fein‑sinnig oder ‑sinnlich gewandelt …“
nächste Seite: 37 Jahre lang unzertrennlich
Im Subtext heißt das: Nichts Kleinliches soll zwischen uns geraten. Was uns zusammenführt, ist etwas Großes. Der Name Proust ist hierfür die angemessene Chiffre. Und auch beim ersten gewaltigen Krach im Jahr 1981 geht es um nichts Nebensächliches, sondern um die zentrale Reizfigur des deutschen Literaturbetriebs, um Marcel Reich-Ranicki. Er war kein Handke-Fan, verglich in der FAZ die Erzählung „Die linkshändige Frau“ (1976) mit Hedwig Courths-Mahler, rezensierte den Roman „Langsame Heimkehr“ (1979) in Grund und Boden. Was Peter Handke dem Kritiker gegenüber empfindet, darf man als blanken Hass bezeichnen. Nun findet er eines Tages im Hause Unseld einen Aufsatzband mit Widmung eben dieses Kritikers. Handke kocht über. Handke donnert alttestamentarisch los: „Die Zeit der Lügen muss ein Ende haben. Schon an jenem Tag, als ich am Frühstückstisch in Frankfurt in dem Sammelwerk des übelsten Monstrums, das die deutsche Literaturbetriebsgeschichte je durchkrochen hat, die Widmung an Dich, meinen Verleger, gelesen habe: ‹In alter Verbundenheit›, da hätte ich die Pflicht vor mir und dem, was mir noch vorschwebt, gehabt, für immer meine Arbeiten aus Deiner sogenannten Obhut zu nehmen. Unsere Wege trennen sich hiermit, unwiderruflich.“
Unwiderruflich? Natürlich nicht. Sie haben noch elf Jahre Zusammenarbeit vor sich, bis zum Tod Siegfried Unselds im Jahr 2002. Eine Zusammenarbeit, die 1965 begann, als das Manuskript „Die Hornissen“, verfasst von einem jungen, völlig unbekannten österreichischen Studenten, auf den Schreibtisch Unselds kam, der sofort erkannte, dass diesen Studenten und seinen Verlag ein literarisches Werk von Wucht und Eigensinn erwartete. „Sehr geehrter Herr Handke, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass wir nach genauer Lektüre Ihres Manuskripts uns entschieden haben, Ihre Arbeit in den Suhrkamp Verlag zu übernehmen.“ So lautet, datiert vom 10. August 1965, das erste zahlreicher Schreiben. Bei ihrer hohen, bisweilen wöchentlichen Frequenz ist zu berücksichtigen, dass sich die Korrespondenz im vor-elektronischen Zeitalter vollzog. Viele Briefe beziehen sich auf vergangene oder geplante Treffen, in Paris, Frankfurt, Österreich, am Küchentisch, im Restaurant, mit und ohne Gattinnen und Kinder, selbstredend mit guten Weinen. Man darf annehmen, dass unter vier Augen Persönlicheres zur Sprache kam. Denn die Briefe klammern es in auffälliger Weise aus. Kein Wort über Liebschaften, wenig Literaturbetriebsklatsch.
Nein, in diesen Briefen geht es handwerklich zu. Es geht um die Arbeit am Buch, um Schriftgrößen, Titelgestaltung, Cover, um Auflagenhöhe und Autorenverträge, also auch um Geld. Handke ist, was dies betrifft, selbstbewusst, aber nicht anmaßend. Man nimmt dies, zumal nach der Lektüre der Korrespondenz Thomas Bernhards mit Unseld, gern zur Kenntnis. Handke weiß, was er künstlerisch will und setzt es hartnäckig durch. Unseld weiß, dass es sinnlos ist, einen Mann wie Handke künstlerisch zu knebeln und gibt sehr oft nach. In beidem aber erweist sich Respekt vor dem Tun und Können des anderen. Handke will, dass Wim Wenders sein Skript „Falsche Bewegung“ (1975) verfilmt. Unseld hat dafür den französischen Regisseur Louis Malle und den Weltstar Romy Schneider im Auge. Handke behält recht, Unseld lernt, es einzusehen: „Falsche Bewegung“, Regie Wim Wenders, besetzt mit Hanna Schygulla, zählt heute zu den Klassikern des neuen deutschen Autorenfilms. „Werden Sie der Sache nicht müde, wir werden es auch nicht.“ Dies, geschrieben von Unseld am 18. Mai 1967, ist vielleicht der Schlüsselsatz der gesamten Korrespondenz.
Es ist wohltuend, sie zu lesen. Im vergangenen Jahrzehnt schien es bisweilen, als lösten sich die Konturen dieser beiden Literaturmenschen in Gerüchten, Anekdoten und Sensationen auf; als hätte sich die Existenz Siegfried Unselds darin erschöpft, morgens mit einem schnittigen Auto zum Schwimmen zu fahren, abends Schach zu spielen und sich dazwischen mit seinem Sohn herumzustreiten, und als sei Peter Handke in erster Linie ein politisch verirrter Narr. Hier werden die Konturen noch einmal deutlich, und wir sehen, mit wem wir es zu tun haben: mit einem überragenden Verleger und einem überragenden Schriftsteller, die zur Augenhöhe fanden.
Peter Handke, Siegfried Unseld
Der Briefwechsel
Hg. Raimund Fellinger und Katharina Pektor. Suhrkamp, Berlin
2012
700 S., 39,95 €
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