- Mutig – und dumm
Autorin Ulrike Draesner hatte Schwierigkeiten, Pippi als Heldin ernst zu nehmen
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Fünf Schriftstellerinnen erinnern sich an Pippi Langstrumpf. Heute: Ulrike Draesner. Sie wurde 1962 in München geboren. 2011 erschien der Band «Richtig liegen. Geschichten in Paaren» (Luchterhand)
Lesen Sie auch Erinnerungen an Pippi von:
Felicitas Hoppe - „Rebellin in Ringelstrümpfen“
Kathrin Schmidt - „Sie las los. Las ohne Ende. Las laut.“
Eva Menasse - „Kein geducktes Leben führen“
Barbara Vinken - „Ein wandelnder Aufstand“
Selbstverständlich träumte ich davon, die Jungs, die mich auf dem Schulweg ärgerten, in Baumkronen zu werfen und dort hängen zu lassen! Auch den lokalen Spielzeugladen hätte ich gern aufgekauft, Torte gegessen und den Affen gekrault.
Und dann erst das Kino. Da war Pippi weltbewegend: Ballonfahrt, Piraten, Vaterbefreiung. Aufgeregt ging man hinein, völlig erschlagen kam man heraus. Meiner Tochter, sieben Jahre alt, scheint es ebenso zu gehen. Doch auf die Frage, ob sie Pippi sein möchte, schüttelt sie den Kopf: Pirat.
Also doch das Männermodell?
Für mich vor vierzig Jahren war Pippi wunderbar, mutig – und dumm. «Plutimikation?» Fand ich nicht lustig. Ich liebte die Schule (nun ist es heraus), ich wollte lernen, und Pippi lernte nichts, sie schoss nur und war von vornherein stark. Ihre Seefestigkeit gab mir den Rest: Einen Tropeninselpapa, eine Polizei, doofer als die Polizei erlaubt, hätte ich als überirdisch unreal und dadurch wieder real hingenommen. Doch seefeste Menschen gab es wirklich (mein Vater). Solche Menschen unterschieden sich kategoriell von mir.
Tom und Annika kamen hinzu. Überdeutlich machten sie, wo ich selbst stand. Meine Eltern hätten in allem mindestens so streng wie die Eltern der Geschwister reagiert. Die Filme, stärker noch als die Pippi-Bücher, spalteten mich: Annika zu mädchenhaft, Tom ein Junge, Pippi nicht von diesem Stern. Ich war jedes der Kinder und keines, war von jedem ein Stück (Tom, der vorausklettert, Annika, die sich fürchtet, Pippi, die mit ihrer Mama im Himmel spricht).
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Vielleicht machte ich eine wesentliche literarische Erfahrung: Eine Erzählung braucht mehr als einen Protagonisten. Sie besteht aus all ihren Figuren und den Kräften zwischen ihnen.
So würde ich es heute sagen. Damals fühlte ich mich einfach wie jemand, der zwischen allen Stühlen sitzt.
Denke ich darüber nach, sehe ich mich, die kindliche Leserin, als Bewohnerin einer merkwürdigen Welt. Zum einen, eine persönliche Vorliebe, verschlang ich Detektivromane. Rätsel, Spuren, Kombinationsaufgaben. In dieser Hinsicht war Pippi enttäuschend: anfangs nur Episoden, zum Ende eine Haudegengeschichte. Zum anderen hatte ich Schwierigkeiten, in weiblichen Figuren überhaupt etwas wie ernstzunehmende «Helden» zu erkennen. Nur zu gut erinnere ich mich an meine Enttäuschung bei der Lektüre des Buches «Heldin im Verborgenen». Bis zur letzten Seite wartete ich auf das Erscheinen der Titelfigur «Heldin», betont auf dem «i», männlich. Das im Vordergrund herumzappelnde, hysterische Mädchen hatte mich die ganze Zeit schon gestört.
So also war ich lesesozialisiert: bewundernswerte Protagonisten einer möglich-realen Welt waren männlich. In dieser Hinsicht stellte Pippi eine Befreiung dar, nur leider gab sie kein echtes Mädchen ab, zum Teil nicht einmal ein Kind. Ich hätte etwas anderes gebraucht: eine weibliche Figur, die der Wirklichkeit mit natürlichen Mitteln und natürlichem Können frei und aufrecht, erfinderisch, intelligent und individuell (und gewiss nicht als Hanni & Nanni- oder Lottchen-Doppelpack) begegnet.
Aber das ist, versteht sich, ein die Welt plutimierender Gedanke von heute.
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Post für Pippi L. – Schriftstellerinnen von heute erinnern sich an das Idol ihrer Kindheit.
Sommer-Ausgabe von Literaturen – am Kiosk und im Online-Shop erhältlich.
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