Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Suhrkamp - Ulla Berkéwicz - Totengräberin eines Traditionsverlags?

Am Dienstagabend hat das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg das Insolvenzverfahren gegen den Traditionsverlag Suhrkamp eröffnet. Ist Verlegerin Ulla Berkéwicz die Totengräberin eines großen Erbes?

Autoreninfo

Wiebke Porombka arbeitete einige Jahre am Theater, bevor sie zur Literaturkritik wechselte

So erreichen Sie Wiebke Porombka:

Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop erwerben können.

 

 

 

Wer die Nachfolge erfolgreicher Männer antritt, wird argwöhnisch beobachtet. Pep ­Guardiola steht das noch bevor. Auf Markus Lanz ist die Häme bereits niedergeprasselt. Die heftigste Nachfolgediskussion aber spielt sich nicht im Unterhaltungsgenre ab, sondern dort, wo sich die Hochkultur zu Hause wähnt: bei Suhrkamp, dem Verlag, der das intellektuelle Selbstverständnis der alten Bundesrepublik wie kein anderer verkörpert. Nun, da diese Geschichte mit der Schutzinsolvenz am vorläufigen Ende angelangt ist, scheint eine Frage noch ungeklärt: Ist Ulla Berkéwicz, die 2003 auf den charismatischen Siegfried Unseld folgte, die Lady Macbeth des Literaturbetriebs? Oder ist die Suhrkamp-Verlegerin die von geldhungrigen Teilhabern geschröpfte Verteidigerin der schönen Literatur?

Ulla Berkéwicz, geboren als Ulla Schmidt, ist eine Frau mit schillerndem Vorleben. Die gelernte Schauspielerin, die sich ihren wohlklingenden Künstlernamen in Abwandlung des Nachnamens ihrer Großmutter zugelegt hat, war seit 1990 mit Siegfried Unseld verheiratet. So viel ist sicher. Nicht verbürgt hingegen ist, ob 1948 oder 1951 ihr korrektes Geburtsjahr ist oder aber, wie die Welt jüngst mitteilte, 1949. Als sie 55 wurde, habe sie sich, nach alter Schauspielerinnen-Manier, um drei Jahre jünger gemacht, ließ die Verlegerin einst verlauten. Allerdings findet sich die Verjüngung bereits im Klappentext zu ihrer ersten Erzählung „Josef stirbt“ aus dem Jahr 1982. Sei es drum.

Zu dieser Zeit hat Berkéwicz, um sich vollends dem Schreiben zu widmen, ihre Theaterlaufbahn bereits beendet. Geblieben ist von den neun Jahren auf der Bühne eine ganze Reihe beeindruckender Namen: Stationen am Staatstheater Stuttgart, den Städtischen Bühnen Köln, an den Münchner Kammerspielen, am Residenztheater, am Hamburger und Bochumer Schauspielhaus, dazu Regisseure wie Peymann und Zadek und eine erste Ehe mit dem Regisseur und Bühnenbildner Wilfried Minks.

Konnte es wirklich angehen, dass Unseld eine branchenfremde Frau, die als bekennende Esoterikerin gilt und die noch dazu Bücher schreibt, deren immerzu um expressives Pathos ringender Ton – je nach Tagesform – schaudern oder schmunzeln macht, zu seiner Nachfolgerin bestimmt hat? Anstelle beispielsweise seines Sohnes Joachim Unseld?
Immerhin hat Siegfried Unseld diese Bücher in seinem Verlag herausgebracht – wo sie bis heute erscheinen. Eins muss man Berkéwicz lassen: Sie schert sich erstaunlich wenig darum, ob man das als Pikanterie wahrnehmen könnte. Ihr nächstes Buch, für dieses Frühjahr angekündigt, ist allerdings auf den späten Herbst verschoben. Genauso wenig schert Berkéwicz der Beigeschmack, den andere ihrer durchaus unkonventionellen Methoden hervorrufen.

Zum Mythos geworden ist die abendliche Inszenierung, zu der Berkéwicz die Suhrkamp-Mitarbeiter nach dem Tod ihres Mannes bat. Zwei Gäste sollen in Ohnmacht gefallen sein, als die Stimme des verstorbenen Verlegers ertönte und das Team auf seine Gattin als Nachfolgerin einschwor. Am Totenbett soll die Aufnahme entstanden sein. Episoden wie diese kann man problemlos zu einer Geschichte zusammenstricken, der es an übler Nachrede und süffisanter Missgunst nicht mangelt.

 

Aufschlussreicher erscheint ein Blick auf das, was in der Struktur des Verlags nach Unselds Tod vor sich gegangen ist. Namhafte Autoren wie Martin Walser oder Daniel Kehlmann haben Suhrkamp den Rücken gekehrt. Auch die Leitungsebene wurde fast komplett ausgetauscht – ging oder wurde gegangen: Von Günter Berg über Rainer Weiss bis zu Lektor Thorsten Ahrend oder Vertriebschef Georg Rieppel.

Enttäuschte Kronprinzen? Zweifelsohne zeigt es: Man unterschätzt Ulla Unseld-Berkéwicz, wie sie mit vollem Namen heißt, wenn man sie als verirrte Esoterikerin abzustempeln versucht. Sie ist eine Verlegerin, die ihre Macht, jedenfalls intern, professionell auszubauen verstanden hat. Selbst Neider müssen anerkennen, dass Suhrkamp unter ihr und aller Unkenrufe zum Trotz Saison für Saison ein ebenso anspruchsvolles wie erfolgreiches, wenn auch wirtschaftlich riskantes Programm vorlegt.

Der Umzug des Verlags von Frankfurt nach Berlin war also wohl eher Souveränitätsbeweis denn der frevelhafte Bruch mit der Suhrkamp-Tradition. Vielleicht ist es umgekehrt: Vielleicht hat Berkéwicz nicht mit Tradition gebrochen, sondern zu kompromisslos an einer althergebrachten auratischen und autokratischen Verlegerposition festgehalten. Man kann die legitimen finanziellen Forderungen des Medienunternehmers Hans Barlach an den Verlag für verwerflich halten. Fakt ist, dass die Lage brenzlig geworden ist, weil Berkéwicz es nicht gelang, sich mit dem Minderheitsgesellschafter zu einigen. Weil sie nicht abließ von einem Alleinherrscheranspruch, der moralisch legitim sein mag, faktisch aber nicht bestand.

Symptomatisch ist die viel diskutierte Villa in Berlin-Nikolassee, Gegenstand in einem der unzähligen Prozesse zwischen Suhrkamp-Geschäftsführung und Barlach. Das Haus ist Privatbesitz der Verlegerin und wird gleichzeitig für Veranstaltungen des Verlags genutzt – gegen Mietzahlungen an Berkéwicz. Zum juristischen Stolperstein wurde, dass die Miete den per Gesellschaftervertrag gestatteten Betrag geringfügig überschreitet. Nimmt man die Villa als Indiz für das Ganze, dann liegt der Schluss nah: Hier ist eine Rechnung ganz grundsätzlich nicht aufgegangen. 

 

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.