- Rainer Karlsch: Uran für Moskau. Die Wismut
Dass es in den Minen des Erzgebirges mehr gab als Silber, ahnte man schon im 15. Jahrhundert. Zunächst aber holten sich die Bergleute den frühen Tod nur an der von Husten begleiteten «Schneeberger Krankheit». Schon Agricola, der Begründer der Montanwissenschaft, erkannte, dass diese «Bergsucht» durch die Luft und den Staub unter Tage ausgelöst wurde. Erst die Entdeckung der Radioaktivität Ende des 19.
Dass es in den Minen des Erzgebirges mehr gab als Silber, ahnte man schon im 15. Jahrhundert. Zunächst aber holten sich die Bergleute den frühen Tod nur an der von Husten begleiteten «Schneeberger Krankheit». Schon Agricola, der Begründer der Montanwissenschaft, erkannte, dass diese «Bergsucht» durch die Luft und den Staub unter Tage ausgelöst wurde. Erst die Entdeckung der Radioaktivität Ende des 19. Jahrhunderts lenkte den Blick auf die lokalen Besonderheiten: Im Erzgebirge lag eines der reichsten Vorkommen der uranhaltigen Pechblende. Jahrzehntelang glaubte man, in Maßen genossen, seien radioaktive Substanzen gesundheitsfördernd und verwendete sie mit Fichtelnadelzusatz als Zahncreme, Mundwasser oder im Heilbad. 1945 aber waren die strahlenden Zeiten der Bäderwirtschaft im Erzgebirge vorbei. Der Abwurf der ersten Atombomben verlieh dem Uran geostrategische Bedeutung, und die DDR sollte zum drittgrößten Produzenten dieses radioaktiven Metalls werden. Der Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch liefert in «Uran für Moskau» einen detailreichen Überblick zu einem der folgenreichsten Kapitel der DDR-Ökonomie und gleichzeitig ein Lehrstück in Sachen Planwirtschaft. Demnach haben die 1954 in der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut vereinten Bergwerke zwischen 1946 und 1990 nicht weniger als 231.000 Tonnen Uran für die UdSSR produziert und damit entscheidende Aufbauhilfe für deren Atomwirtschaft und nukleare Aufrüstung geleistet. Zwangsarbeit und Zwangsrekrutierung von Kumpeln wurden bald durch die gezielte Anwerbung qualifizierter Fachkräfte und ein leistungsorientiertes Prämiensystem ersetzt. Tausende Elitearbeiter starben an Strahlenfolgen. Aber Rainer Karlsch weist auch darauf hin, dass die Belastungen in den Uranminen der USA teilweise zehnmal höher gewesen seien als im Erzgebirge. Der besondere Pferdefuß der Wismut lag woanders. Karlsch zeigt, wie eine technisch professionell geführte Planwirtschaft Menschenleben und ganze Landstriche ruinierte und dabei ein gigantisches Defizit produzierte – weil man nicht einmal kostendeckend arbeitete. Bis 1953 habe man Uran als Reparationen geliefert, danach habe sich die UdSSR über die SDAG an den Kosten beteiligt. Doch die Einnahmen aus dieser brüderlichen Kooperation deckten die Ausgaben nicht. Zu den Zuschüssen aus der DDR-Zeit in Höhe von 25 Milliarden Mark kamen nach der Wiedervereinigung noch Sanierungskosten, die Karlsch auf 13 Milliarden Euro bis 2010 beziffert. Damit ist die Wismut eines der größten Gräber, die sich die DDR-Wirtschaft geschaufelt hat. Den Grabspruch hatte ihr schon der erste Generaldirektor der Wismut AG, NKWD-Generalmajor Malzew, mit auf den Weg gegeben: «Erz, Genossen, wir brauchen Erz und keine Moral.»
Rainer Karlsch
Uran für Moskau. Die Wismut. Eine populäre Geschichte
Ch. Links, Berlin 2007. 276 S., 14,90 €
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