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Postillon-Gründer Sichermann - „Ich bin ein Korinthenkacker-Typ“

Markus Lanz, die Deutsche Bank und die CSU mag er nicht. Wie der Postillon-Gründer Stefan Sichermann eine der populärsten Online-Satireseiten Deutschlands erschuf

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Merle Schmalenbach

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Es ist schwierig, den Satiriker Stefan Sichermann zu treffen. Er stehe nicht so gerne in der Öffentlichkeit, schreibt er per E-Mail. Und er sei gerade so beschäftigt. Nur zögernd stimmt er einem Gespräch in Fürth zu. Aber bitte nur 30 Minuten. Kein Fotograf, nichts Privates. Sein Tonfall ist freundlich, aber bestimmt. Sichermann ist medienscheu. Eine Einladung zu Markus Lanz hat er ausgeschlagen. Das ist ungewöhnlich. Denn Medien sind sein Geschäft.

Sichermann betreibt das Satireportal der-postillon.com. Seine Texte tragen Überschriften wie „G 1: Putin wirft übrige sieben Staaten aus der G-8-Gruppe.“ Oder: „CSU gehen allmählich inkompetente Kandidaten für Ministerposten aus.“ Seine Klickzahlen können sich mit großen Nachrichtenportalen messen. Allein im April 2014 kam er auf 13 597 929 Seitenaufrufe. Im vergangenen Jahr erhielt er den Grimme Online Award. Das alles hat er ohne Verlag im Rücken geschafft. „Er hat als Underdog angefangen, das macht ihn so glaubwürdig“, sagt der Medienexperte Stefan Niggemeier.

Sein Erfolg zeigt, dass man im Internet mit Beharrlichkeit sehr weit kommen kann. „Ich bin auch ein Korinthenkacker-Typ, ein Zahlenmensch“, sagt Sichermann. Morgens um neun Uhr setzt er sich an den Schreibtisch und klickt sich durch die Nachrichtenportale. Er weiß, was im Netz funktioniert: Am besten laufen die großen Themen. Die Pointe muss schon in der Überschrift stehen. Täglich ackert er sich durch 300 bis 400 E-Mails. Die meisten sind bemüht witzig. Er beantwortet sie ernsthaft: „Lustig zu sein, ist anstrengend“, sagt er.

Sichermann ist 33 Jahre alt, ein entspannter, netter Typ. „Als Schüler war ich faul“, erzählt er. Damals interessiert er sich mehr für Computerspiele als für Prüfungen. Nach dem Abitur studiert er Anglistik und Geschichte zunächst auf Lehramt. Weil er nicht gerne vor Klassen steht, wechselt er auf Magister. Nach dem Studium arbeitet er als Werbetexter.

Ein Kollege bringt ihn auf die Idee zu bloggen. 2008 geht seine Seite online. Weil er nichts Privates schreiben will, versucht er es mit Satire. Sein Vorbild ist das amerikanische Portal The Onion. „Meine ersten Gehversuche waren peinlich“, sagt er. Doch er bleibt dran, bastelt herum. Statistiken faszinieren ihn. Seine Seite hat erst fünf Aufrufe am Tag, dann zehn, dann 15. „Wow“, denkt er sich. Es funktioniert wie ein Computerspiel: Er knackt ein Level nach dem anderen. Sich selbst hält er im Hintergrund, vor Bühnen graut es ihm. „Er ist kein Networker, der auf Empfängen Leuten seine Ideen andreht“, sagt Niggemeier. „Das macht seinen Erfolg so sympathisch.“ Die beiden kennen sich. Sichermann hat mal für das von Niggemeier gegründete Bildblog geschrieben.

„Ich bin Atheist und ziemlich links“
 

mit einem Gründerzuschuss macht Sichermann sich 2012 selbstständig. Die Kosten sind gering: Für die Domain zahlt er zwölf Dollar im Monat. Das war’s. Die Texte schreibt er im Wickelzimmer der Tochter. Was er über IT und Marketing wissen muss, bringt er sich selbst bei. Im Netz spricht sich der Postillon rasch herum. „Anfangs dachte ich noch, ich hätte eine kleine, lustige, obskure Seite entdeckt“, sagt Niggemeier. Besonders der Artikel „Linie übertreten: Rekordsprung aus 39 Kilometern Höhe für ungültig erklärt“ zu Felix Baumgartner erregt großes Aufsehen. Den Link teilen etwa 100 000 Menschen auf Facebook. „Ich finde das manchmal gruselig“, sagt Sichermann. Andererseits richten sich die Einnahmen durch die Werbebanner nach Klicks, sodass er an diesem Tag so viel kassiert wie sonst in einem Monat.

Über seine Einkünfte schweigt er. Nur so viel: „Ich kann gut davon leben.“ Mittlerweile beschäftigt er freie Autoren. Im Herbst erscheint sein zweites Buch, ein Best-of des Postillon. Für den NDR produziert er die Sendung Postillon24. Dem NDR hat das eine einstweilige Verfügung des Senders N24 eingebracht, Begründung: Verwechslungsgefahr. Realsatire und für Sichermann neues Material.

Aufmerksamkeit spült Leser auf sein Portal. Seinen Umsatz generiert er zu 90 Prozent durch Werbung. Die Anzeigenpreise beginnen bei 400 Euro im Monat. Die meisten seiner Besucher kommen über Facebook. Er hat dort mehr als 900 000 Fans. Ob ihn diese Abhängigkeit beunruhigt? „Nein, im Netz werden sich immer neue Modelle finden.“

Was die Anzeigen auf seiner Seite angeht, ist er wählerisch. Die CSU oder die Deutsche Bank etwa dürften nicht bei ihm werben. Er ist ein politischer Mensch. Früher war er in der SPD. Wegen Schröder und der Agenda 2010 trat er aus. „Ich bin Atheist und ziemlich links“, sagt er. „Aber ich will nicht, dass das auf den Postillon abfärbt. Ich kann mich auch über linke Parteien aufregen.“

Eine tiefe Abneigung hegt er gegen die Bild. Als die unlängst zarte Bande zu ihm knüpfen wollte, veröffentlichte er die E-Mail im Internet. Und forderte seine Leser zu möglichst fiesen Antworten auf. Es hagelte höhnische Kommentare, Tausende beteiligten sich. Sichermann mag medienscheu sein, aber seine mediale Macht weiß er zu nutzen.

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