- Schöne neue digitale Welt
Auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse boomt das digitale Geschäft: Insbesondere junge Unternehmen, die alte und neue Medien verbinden, sprießen wie Pilze aus dem Boden. Analoge Buchnarren erfreuen sich an Lesungen, etwa von Heinz Strunk oder Juli Zeh. Politisch ist die Messe obendrein
„Neuland 2.0“ steht auf der weißen Markise in der Halle 5 der Leipziger Buchmesse. Hier, um einen Kickertisch und Hocker aus roten Bierkästen, auf denen Messebesucher relaxen, präsentieren sich Startups, die die Buchbranche, und mehr noch den Autor und den Leser auf dem Weg in die Zukunft, in einem Umbruch begleiten, der in Amerika schon ein paar Jahre zuvor angefangen hat.
Sie haben Namen, die an Bücher erinnern, und sie wollen Old Media und New Media verbinden. Wie etwa Pagedo, eine App, die die zuletzt gelesene Buchseite einscannt, so dass der Leser das Werk dann bruchlos auf dem E-Reader weiter verfolgen kann. Oder Logos, eine Ebook-Plattform mit Debattierfunktion, in die Verlage Leseproben einspeisen, die dann letztlich zur Kasse führen. Oder Transmedia, die die Entstehung und Vermarktung eines Buches begleiten, bis zur Bloggestaltung und zum Facebookauftritt.
Verlage legen Fokus aufs digitale Geschäft
Sie alle arbeiten mit Verlagen in Deutschland zusammen, die von Amerika gelernt haben. Sie wollen von Anfang an dabei sein und nicht von Neuankömmlingen aus dem Rennen gedrängt werden, und schon gar nicht von Amazon, dem Marktgiganten aus Seattle, den Rainer Joppich, Vertriebsleiter von Kiepenheuer&Witsch, in der ZEIT die „Verbrecher aus Amerika“ nennt. Neuester Transfer ist NetGalley, ein Dienstleister, der „Galleys“, Druckfahnen also, im Internet anbietet.
Registrierte Pressevertreter können die kostenlos lesen, Verlage zahlen eine Gebühr, die sich an der Zahl der Titel orientiert. Das ist wesentlich preiswerter und einfacher als Vorabkopien mit der Post zu verschicken und erreicht auch mehr Rezensenten. NetGalley in Deutschland gehört Ullstein, dem Traditionshaus aus Berlin, ist aber unabhängig; alle Verlage können daran partizipieren.
Die schöne neue Internetwelt
Mit Midnight und Forever hat Ullstein zudem zwei Imprints, die nur Ebooks herausgeben. Der Vorteil sind einmal die geringeren Produktionskosten. Darüber hinaus sind reine Ebooks nicht an den Preis des gedruckten Buches gebunden; der Verlag kann hier den Preis selber festsetzen und hat mehr Spielraum – ein Geschäftsmodell, das bereits mehrere Nachahmer gefunden hat. Die Verlage wollen aber nicht nur Ebooks verkaufen, sondern die ganze schöne neue Internetwelt ansprechen.
Suhrkamp etwa hat nun in der Presseabteilung einen eigenen Mitarbeiter, der sich nur um Blogger kümmert, die Bücher besprechen, erzählte Suhrkamp-Lektorin Doris Plöschberger auf der Fachveranstaltung „Die Buchbeschleuniger“, wo es darum ging, welchen Einfluss unkonventionelle Rezensenten auf den Buchverkauf haben. 30 bis 40 Bücher schickt Suhrkamp jeder Woche an Blogger, heute ein durchaus ernstzunehmender Faktor. Und dass Debattenmagazine im Internet das in den USA erfundene "Crowdfunding" nutzen, wo Leser, Sponsoren und Fans um Spenden gebeten werden, versteht sich von selbst.
Buchcommunities beliebt wie nie
Auch LovelyBooks sind auf der Messe, 2006 gegründet und heute nach eigenen Angaben die größte Buchcommunity im deutschsprachigen Raum mit 1,5 Millionen Buchtips, sortiert nach Genres. Die Internetplattform stellt Bücher vor und lässt sie von Lesern empfehlen, die sich auch untereinander austauschen können. Die Betreiberin ist aboutbooks, eine Tochter der Georg von Holtzbrinck GmbH, der ihrerseits, zusammen mit Dieter von Holtzbrinck Medien, neben der ZEIT mehrere große Verlage besitzen, darunter Fischer und Rowohlt in Deutschland, sowie Macmillan und Farrar, Straus and Giroux in den USA.
Aber man sei unabhängig, heißt es; Lovelybooks präsentiere Bücher aller Verlage, nicht nur die von Holzbrinck. Auch Lovelybooks hat ein US-Vorbild, Goodreads, die inzwischen aufgekauft wurden – von Amazon.
Auch die Szene, die sich an Autoren richtet, die ihr Buch selbst per Print on Demand veröffentlichen wollen, wächst und gedeiht – auf der Buchmesse machen deren Stände nun schon mehr als zwei Reihen aus. In den USA gab es derlei Unternehmen wie etwa iUniverse oder Authorhouse schon seit rund zwanzig Jahren. Vor etwa zehn Jahren trat Amazon das Geschäft ein, in der gleichen Art, wie eine Herde Bisons in einen Vorgarten eintreten, und fegte die Konkurrenz an die Wand.
2005 übernahm Amazon-Chef Jeff Bezos den Upstart Booksurge, nannte den CreateSpace, und stellte das Geschäft auf den Kopf. Bislang lebten derartige Anbieter von happigen Gebühren, die Autoren zahlten. CreateSpace aber berechnet nur Vertrieb und Druck, wenngleich letzterer deutlich teurer ist als Offsetdruck, und stellt das Buch dann auch gleich auf Amazon ein. Auch CreateSpace ist in Leipzig vertreten und bat Autoren auf die Bühne, die Print-on-Demand mit Amazon dem deutschen Publikum schmackhaft machen sollen, vor einer dichtgedrängten Schar potentieller Autoren.
Furcht vor amerikanischen Marktführern
Der größte deutsche Anbieter ist Books on Demand, der nicht nur mit Autoren, sondern auch mit Verlagen zusammenarbeitet, für die sie kleinere Margen produziert. BoD gehört Libri, einem der deutschen Großhändler, seinerseits im Besitz der Familie Herz, bekannt durch den Kaffeeröster Tschibo. BoD auf den Fersen ist epubli, die PoD-Plattform, die wiederum der Holtzbrinck-Tochter DroemerKnaur gehört.
Epubli-Bücher erscheinen auf Amazon zu vergleichbaren Konditionen wie die von CreateSpace und bietet – anders als die Konkurrenz aus den USA – auch eine deutschsprachige Website sowie die Option, Bücher an den Buchhandel auszuliefern. Anders als in den USA, wollen sich die Verlage dieses Geschäft nicht von Amazon wegnehmen lassen.
Auch die Amazon-Plattform Kindle, Marktführer bei den E-Books, erfährt hier Konkurrenz. Schon vor ein paar Jahren haben die Buchhandelsketten Thalia, Hugendubel und Weltbild, sowie die Telekom den Tolino auf den Markt gebracht, der Bücher im Epub-Format veröffentlicht (wie Android und Apple). Auch der neueste, besonders leichte Tolino, der in jede kleine Tasche passt, ist auf der Buchmesse ausgestellt.
Zerbrochenes Glas: Protest gegen Compact
Aber die Leipziger Buchmesse dreht sich nicht nur um Digitales und Marktanteile – auch um Politisches. So endete gleich der erste Tag mit einem Knall: In der Nacht wurde Sicherheitsglas in einer Halle eingeschlagen; ein Protest gegen den rechtspopulistischen Verlag Compact, der einen Stand auf der Messe hat. Vor dem Compact-Stand, der von streng dreinblickenden Sicherheitsleuten bewacht wurde, gab es immer wieder Demonstrationen. Und natürlich ging es um Bücher: Autoren wie Christoph Hein, Benjamin von Stuckrad-Barre, Ronja von Rönne, Juli Zeh oder Heinz Strunk zogen hunderte von Lesern an, als sie aus ihren Bücher vortrugen – auf gedrucktem Papier und auch nicht selbstverlegt. Die Besucherzahl steht noch nicht fest, aber die Gänge waren so voll wie eh und je.
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