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Streit um Rechtsruck in der Hayek-Gesellschaft - „Ich halte derlei Flirts für einen üblen Fehler“

Nicht nur die AfD hat sich über die Frage des Umgangs mit Rechtspopulisten zerlegt. Auch der Hayek-Gesellschaft, einem liberalen Think Tank, laufen die Mitglieder weg. Vorsitzende Karen Horn beklagte eine Unterwanderung des liberalen Milieus von rechts – und trat nach einem Shitstorm aus ihrem Verein aus. In einem Gastbeitrag stellt sie klar, wo für sie Liberalismus endet

Autoreninfo

Dr. Karen Horn ist freie Wissenschaftlerin und Publizistin. Sie lehrt ökonomische Ideengeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der privaten Universität Witten/Herdecke. Für ihre publizistische Arbeit wurde Karen Horn mehrfach ausgezeichnet.

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Die Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft streitet erbittert über die Abgrenzung nach rechts. Auslöser war ein Artikel, den die Vorsitzende Karen Horn in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung unter dem Titel „Die rechte Flanke der Liberalen“ veröffentlicht hat. Darin warnte Horn vor einer Unterwanderung der liberalen Denkfabrik durch Reaktionäre. Im Zuge des Konflikts traten rund 50 weitere Vereinsmitglieder aus, darunter FDP-Chef Christian Lindner und der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Michael Hüther.

Das Verhältnis zwischen Liberalen und Konservativen ist, gelinde gesagt, kompliziert. Das war schon immer so. In den jüngsten Richtungskontroversen in der AfD wie auch in der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft ist es nur noch einmal deutlich zutage getreten. Dabei könnten die beiden Einrichtungen kaum unterschiedlicher sein – die AfD ist eine Partei mit Tausenden von Mitgliedern, die auf mehr Wählerstimmen hofft; die Hayek-Gesellschaft ist gemäß ihrer Satzung als politisch neutraler Verein mit aktuell gerade einmal knapp 300 Mitgliedern zur Förderung „der wirtschafts-, rechts- und gesellschaftswissenschaftlichen Forschung und Erkenntnis“ konzipiert. Über den früheren AfD-Parteivorsitzenden Bernd Lucke schreibt der „Spiegel“ nach Auswertung von 3000 Emails, dass dieser anfangs „durchaus bereit“ gewesen sei, „mit dem rechten Rand zu flirten“. Ich hielt und halte derlei Flirts für einen üblen Fehler.

Die Grenze zwischen rechts und konservativ heißt Übergriffigkeit
 

In diesen Richtungskontroversen hat sich ein Muster gezeigt, das sich verallgemeinern lässt: Viele Konservative möchten als „Liberale“ firmieren, viele Neurechte, Nationalkonservative und schlicht Reaktionäre als „Wertkonservative“. Wer sich als Liberaler für eine Abgrenzung vom rechten Rand und für einen seriösen Diskurs in Respekt, Anstand, Redlichkeit und ohne gesprächsabschließende wütende Verteufelungen einsetzt, wird kurzerhand zum „Linken“ abgestempelt.

Die Koordinaten sind verrutscht. Es sieht ganz so aus, als stecke dahinter ein schlechtes Gewissen – und das Wissen darum, dass neurechte, nationalkonservative und andere reaktionäre Positionen mit ihrer Rückwärtsgewandtheit, ihrem Dogmatismus, ihrer Intoleranz, ihrer Übergriffigkeit und ihrer verbalen Berserkerhaftigkeit jeden gutbürgerlichen Wertkonservativen verschrecken müssen. Es mag auch das stumme Eingeständnis sein, dass Konservatismus durchaus nicht dasselbe ist wie Liberalismus, dem man indes die Solidität seines philosophischen Fundaments ebenso neidet wie das grundsätzliche Ansehen, das ihm seine Offenheit, Menschenfreundlichkeit und Zukunftsbejahung bescheren (könnten).

Knapp gefasst, schreitet der Liberale in der gesellschaftlichen Entwicklung mutig voran, zieht es der Konservative vor, deren Neuerungen darauf zu überprüfen, ob sie auch tatsächlich Besserungen bringen, während sich der Reaktionär gegen den Fortschritt sperrt und für sich und andere längst vergangene Verhältnisse wieder herzustellen trachtet. Es ist offensichtlich, dass liberale und reaktionäre Positionen in entgegengesetzte Richtungen streben und mithin unvereinbar sind; bei den konservativen muss man genauer hinschauen.

Das Kriterium, das die Grenzen zu ziehen erlaubt, ist das der Übergriffigkeit. Wie der Ökonom und Publizist Gerhard Schwarz, mein Vorgänger als Vorsitzender der Hayek-Gesellschaft, einmal pointiert formuliert hat, haben Liberale ohnehin „nichts am Hut mit jenen Konservativen, die genau wissen, wie die ideale Gesellschaft aussehen soll“. Dies gilt erst recht, wenn diese ihr persönliches Idealbild anderen Menschen ohne deren Einverständnis aufdrücken wollen und nicht davor zurückschrecken, dafür „die Staatsgewalt einzusetzen“, wie Friedrich August von Hayek, dessen fachübergreifendes Forschungsprogramm von bleibender Aktualität ist, 1960 im Epilog zu seinem berühmten Buch „Die Verfassung der Freiheit“ schrieb.

Rote Linie des Liberalismus
 

Das Kriterium der Übergriffigkeit hilft auch, das Spannungsverhältnis speziell zwischen wertkonservativen und liberalen Positionen zu erfassen. Wer die Würde des Menschen hochhält und sich persönlicher Tugenden wie Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Redlichkeit, Selbstverantwortung, Mitmenschlichkeit und Treue befleißigt, der steht für konservative wie für liberale Werte. Zwischen die beiden passt in dieser Hinsicht kein Blatt. Wer der Ansicht ist, dass diese Werte in den vorfindlichen Institutionen am besten bewahrt werden, in der Kirche, der liberalen Demokratie, der staatlich sanktionierten Ehe, der mag sich aus liberaler Sicht für diese einsetzen und kann dabei auf gut begründete Unterstützung zählen – wobei indes der naturalistische Fehlschluss zu vermeiden ist, dass das, was da ist, schon deshalb gut sei, weil es da ist. Manches Vorfindliche hat sich mitnichten spontan herausgebildet, wie man sich unter Verwendung einer idealtypischen Theorie der kulturellen Evolution ausmalen mag, sondern es wurde von Autoritäten gesetzt, über deren Legitimität und Motivation sich füglich streiten ließe. Auf jeden Fall aber enden die Gemeinsamkeiten, wenn eine wertkonservative Position zu Traditionalismus verkommt und dazu missbraucht wird, Menschen, die anders sind, anders leben und andere Institutionen bevorzugen, nicht mit Offenheit und Respekt zu begegnen, sondern mit Verachtung und Ausgrenzung. Hier können Liberale nicht mitgehen.

Neurechtes Denken ist völkisch, antiindividualistisch (und mithin kollektivistisch), intolerant und fremdenfeindlich, oftmals auch mit einem religiösen Dogma verknüpft. Zu erkennen sind die Vertreter eines solchen Ansatzes zumeist schon an einer systematisch entgleisenden Sprache und einem fast schon komischen Erregungsniveau. Apokalyptik, Wut, Beleidigungen und Drohgebärden – alles ist dabei. Die Neurechten verehren Autoritäten wie den russischen Herrscher Wladimir Putin, der bekanntlich alles andere als ein Schwächling ist, sich vielmehr als Hüter der Nation und als Sittenwächter aufspielt, wobei er auch noch den Schulterschluss mit der orthodoxen Kirche sucht und findet.

Der Soziologe Roland Eckert schreibt in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“: „Vertreter der Neuen Rechten sind rechtsradikal, weil die universelle Geltung der Menschenrechte infrage gestellt wird, sie sind aber nicht notwendig rechtsextrem im Sinne eines Angriffs auf die Verfassungsordnung, wenn man das Verfassungsgerichtsurteil vom 25. Mai 2005, das der ehemalige Bundesanwalt Alexander von Stahl zugunsten der ‚Jungen Freiheit‘ erkämpft hat, zu Grunde legt“.

Hayek wollte kein Konservativer sein
 

Zu Beginn der Moderne standen übrigens die Liberalen eher den Sozialisten nahe, und zwar just in ihrer Feindschaft zum Konservatismus. Kinder der Aufklärung, setzten beide auf den – indes unterschiedlich definierten – Fortschritt und rebellierten gegen die aus dem alten Privilegien- und Ständestaat überkommene Ordnung. Liberale wie Sozialisten erlebten die totalitäre Versuchung. Das Abgleiten der französischen Revolution von 1789 in die jakobinische Terrorherrschaft versinnbildlicht dies ebenso wie das viel länger andauernde, von der russischen Revolution ausgehende sozialistische Gesellschaftsexperiment im Osten Europas nach 1917 sowie in der „Volksrepublik“ China seit dem Zweiten Weltkrieg. Im Zuge dieser Entwicklungen sortierten sich die Karten neu. Liberale und Konservative fanden in ihrer Gegnerschaft zum totalitären Sozialismus zusammen; aus dem pragmatisch begründeten Schulterschluss wurde in vielen Fällen eine absichtliche Verdunklung der Unterschiede.

So geriet in Vergessenheit, dass Liberale einen freiheitlichen Prozess sozialer Koordination unter Rechtsgleichen anstreben, übergriffige Konservative hingegen – eher oder zumindest auch – ein Ergebnis dieses Prozesses zugunsten bevorzugter Kollektive im Sinn haben. „Es liegt eine Gefahr in diesen unklaren Verhältnissen, die Verteidiger der Freiheit und die echten Konservativen in gemeinsamer Gegnerschaft gegen Entwicklungen zusammenführt, die ihre verschiedenen Ideale gleichermaßen bedrohen“, schrieb Hayek. Er wollte kein Konservativer sein. „Der liberale Standpunkt beruht auf Mut und Zuversicht, auf einer Bereitschaft, der Veränderung ihren Lauf zu lassen, auch wenn wir nicht voraussagen können, wohin sie führen wird.“

 

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