- Der ganz normale Google-Wahnsinn
Fußball WM 2014 Brasilien Google Nachrichten: Wer versucht, sich dieser Tage bei Google News über die Weltmeisterschaft zu informieren, erhält einen völligen Kauderwelsch an Suchtreffern. Und landet auf Seiten, die mit Fußball, nun ja, wenig zu tun haben
Zugegeben, die Fußball-WM in Brasilien liefert der Nachrichtenindustrie schon genug Überraschungen – vom Kanzlerinnen-Besuch in der Umkleidekabine bis hin zum spektakulären Rauswurf des Titelverteidigers Spaniens. Wer sich dieser Tage durch die Spiele googelt, wird aber nicht minder verwundert. Da spült die marktbeherrschende Suchmaschine plötzlich Seiten nach oben, die wirklich niemand mit Fußball in Verbindung gebracht hätte.
Simples Beispiel: Der Leser möchte wissen, wann die Vorrunden zu Ende sind und welche Mannschaften möglicherweise in den K.o.-Runden aufeinandertreffen. Er oder sie gibt in der Suchmaske von Google News, der Nachrichtenseite der Suchmaschine, „spielplan achtelfinale wm“ ein. Als Top-Treffer kommt: Motorvision.de. Jedes zweite Ergebnis führt auf die mysteriöse Autoseite – insgesamt wird sie fünfmal von Google empfohlen.
Motorvision interessiert sich eigentlich sonst für ganz andere Dinge: In acht der neun Rubriken auf der Webseite geht es um Hyundai, Audi, Harley-Davidson & Co. Unter motorvision.de/sport finden sich neben Eishockey und Formel 1 ein paar Fußball-Meldungen. Der aktuelle Aufmacher ist eine Nachricht zur 2. Bundesliga über den VfR Aalen: „Innenverteidiger Mockenhaupt unterschreibt in Aalen“. Wie schafft es eine solche Seite in die deutschsprachigen Google-Toptreffer?
Wegen des Feiertags in Bayern war bei der Münchner Firma für Anfragen niemand erreichbar. Motorvision wird exklusiv bei Sky ausgestrahlt. Bei dem Bezahlsender heißt es, das Angebot sei eines von über 80 Partnersendern, dem man eine Plattform biete. Wie es zu den erstaunlichen WM-Suchergebnissen kommt, konnte der Pressesprecher aber auch nicht beantworten.
Wer sich über den „spanien wm rauswurf“ informieren will, erhält als fünften Treffer das „Poker-Magazin“. Das sollen also die qualitativsten und am meisten aufgerufenen Nachrichtenquellen für die WM 2014 in Brasilien sein? Google selbst präsentiert sich auf der Startseite als Instanz aller Fußballfans: das zweite „g“ in dem Schriftzug ist ein animiertes Männchen, das mit einem Fußball in Brasiliens gelb-grünen Nationalfarben kickt. Gerade hat sich Eric Schmidt auf Deutschlandtour begeben, um hier für Vertrauen zu werben. Aber die WM zeigt dann doch die Grenzen der Informationsbeschaffung per Nachrichten-Suchmaschine auf.
Roboterjournalismus lässt grüßen
Das könnte auch mit einer Technik zusammenhängen, die sich „Search Engine Optimization“ (SEO) – zu deutsch: Suchmaschinenoptimierung – nennt. Onlinemedien versuchen alles, um in der Google-Trefferliste ganz oben zu erscheinen. Dafür müssen die Schlagworte, die Leser suchen, möglichst genauso im Text auftauchen. Und das machen die Redakteure dann auch: Überschriften werden ins Format gepresst, Zwischenzeilen zurechtgebogen, Absätze durch den Algorithmus-Wolf gedreht. Der durchindustrialisierte Roboterjournalismus lässt grüßen.
Mit Kreativität, Vielfalt, geschweige denn Leselust haben diese Ergebnisse nichts mehr zu tun. Das geschah beispielsweise, wer vor dem letzten Spiel von Jogi Löws Elf bei Google News nach „portugal deutschland aufstellung“ suchte. „Die WM 2014 Nachrichten“ trafen die Anfrage am besten, die Überschrift lautete „Deutschland – Portugal Aufstellung“. Als nächstes folgte das sicherlich wahnsinnig fußballkompetente Magazin „StarFlash“ und an dritter Stelle die „Augsburger Allgemeine“, bei der die SEO-Logik zur vollständigen Verstümmelung von Überschriften führt: „Aufstellung, Taktik, Ronaldo: Löws Masterplan für Portugal“. Alles Begriffe, für die sich viele Fans interessieren. Die weiteren von Google empfohlenen Trefferseiten: Motorvision.de und myheimat.de.
Es handelt sich bei diesen Geschichten oft nur um kurze Mini-News, hochgejazzt, bebildert, verlinkt und verschlagwortet. Der Neuigkeitswert aber tendiert meistens gegen Null. Und der Leser fühlt sich veralbert.
Erstaunlich, dass es trotzdem funktioniert. Die Leser klicken. Offenbar haben die Online-Anbieter das Suchmaschinenprinzip besser verstanden als Google selbst.
Mitarbeit: Vinzenz Greiner
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