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Inge Feltrinelli - Die junge Frau und das Meer

Inge Feltrinelli hatte schon Glamour, bevor es dieses Wort überhaupt gab. Sie fotografierte Weltstars, heiratete einen linken Millionär – und wurde Verlegerin

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Person, Jutta

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«Wenn Inge Feltrinelli über sich selbst spricht, wird das Interview zum Film», hat die italienische «Vogue» mal geschrieben, und tatsächlich: Man hastet an der Mailänder ­Scala vorbei in die Via Andegari, dem Sitz des Feltrinelli Verlags, man betritt das legendäre Verlegerbüro voller Fotos, das einer Intellektuellengalerie des 20. Jahrhunderts gleichkommt – und los geht’s.

 

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Wenn die Verlegerin lacht, erkennt man sofort die junge Fotoreporterin, die auf vielen Fotos aus den Fünfzigern selbst mit im Bild ist. Inge Feltrinelli kann ihr Lächeln anwerfen wie einen Scheinwerfer, oder vielmehr: Sie strahlt mit Witz und Verve auf die Jahre zurück, in denen sie die Künstler, Schriftsteller, Schauspieler und Verleger fotografierte, die oft auch ihre Freunde wurden. Sie lernte Erich Kästner kennen, Peter Handke, Günter Grass, Allen Ginsburg, Nadime Gordimer oder Siegfried Unseld. Sie selbst sagt, dass sie «ein flottes Reportermädchen» gewesen sei, aber das klingt fast zu harmlos. Inge Schoenthal – so hieß sie vor ihrer Ehe mit dem Verleger Giangiacomo Feltrinelli – war immer schon gut gelaunt und analytisch, belesen und elegant. Intelligenz musste sich da noch nicht, wie in späteren Jahren, durch mangelnde Form oder mangelnden Stil beweisen.

Dass ihre frühen Fotografien erst jetzt in einem aufwendigen Band im Steidl Verlag erscheinen, hat einen simplen Grund: Sie lagerten jahrelang in Kisten in einer Mansarde, bis Sohn Carlo, der heute das Unternehmen führt, sie wiederentdeckte. Aber warum hatte Inge Feltrinelli diese Fotos so lange liegen lassen? Ihre Fotoreporterkarriere, sagt sie, habe sie 1959 aufgegeben, um 1960 zu Giangiacomo Feltrinelli nach Mailand zu ziehen und sich in die anspruchsvolle Verlagsarbeit zu stürzen. «Meine Fotos fand ich zwar ganz nett, aber ich war eigentlich viel anspruchsvoller, was Qualität anging: Meine Idole waren Henri Cartier-Bresson und die Magnum-Leute.» Technik, gibt sie zu, war nicht ihre Stärke, aber eins hat sie von Cartier-Bresson gelernt: den «decisive moment» zu erwischen.

Den richtigen Moment hat sie immer wieder erwischt, nicht nur in der Fotografie. Geboren 1930, zieht sie nach dem Göttinger Oberlyzeum nach Hamburg und beginnt eine Lehre bei einer Fotografin. Eines Tages radelt sie, die Kamera am Hals schlenkernd, durch Pöseldorf, als ein weißer Borgward neben ihr hält – darin Hans Huffzky, der Chefredakteur der «Constanze», einer der ersten modernen Nachkriegs-Frauenzeitschriften. Ob sie nicht mal in der Redaktion vorbeikommen wolle? Die Volontärin wartet nicht lange: «Ich bin hingegangen mit meiner Auswahl, und er sagte: ‹Diese Fotos sind entsetzlich! Das sind ja nur Schiffe im Hafen. Sie müssen Menschen fotografieren!›»

Anfang der Fünfziger beginnt Inge Schoenthal mit ihrer Rolleiflex für die «Constanze» zu arbeiten: Bild-Text-Reportagen, die ganz entschieden von Menschen und nicht von Schiffen handeln – und die sie in die ganze Welt katapultieren. In Spanien («dahin bin ich gehitchhiket!») fotografiert sie den Alltag der Frauen; in Ghana trifft sie die «Diamantenköniginnen, matriarchale, dicke Frauen», die den Preis der Edelsteine bestimmten. Dass Hamburg ihr Tor zur Welt wurde, lag nicht nur an der «Constanze», sondern auch am Rowohlt-Verlag, der sie die Autoren des Hauses fotografieren ließ – und an der dpa-Kantine, wo man sich zum günstigen Mittagessen traf. Durch die Journalisten dort lernte die junge Fotografin auch Rudolf Augstein, Axel Springer und andere bekannte Verleger kennen: «Das war damals alles viel einfacher für jemanden, der nicht auf den Kopf gefallen war. Die schwebten auch noch nicht so hoch über allem in ihren Luxusetagen.»

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Bekannt war Inge Schoenthal aber mittlerweile selber, denn 1953 war ihr ein phantastischer Scoop gelungen: Ein Bild des fotoscheuen Ernest Hemingway, das um die Welt ging. Der «Constanze»-Chefredakteur hatte ihre eine kostenlose Schiffspassage nach Amerika besorgt, und weil sie sowieso schon in New York war, fragte Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, ob sie eine Mission auf Kuba übernehmen könnte: den Weltstar Hemingway davon überzeugen, dass seine Bücher eine frische Übersetzung bräuchten. Auf Kuba angekommen, muss sie zwei Wochen warten, bis Hemingway sich bequemt, die Rowohlt-Gesandte auf seine Finca einzuladen. «Ich schicke Ihnen einen Wagen», raunzt er am Telefon, die Fotoreporterin dankt und antwortet, dass sie den Bus nehme.

Inge Feltrinelli muss noch heute lachen, wenn sie die Story erzählt: «Da hat er sich wohl gedacht, so eine alte Tante ist das nicht, wenn sie mit dem Bus kommt. ‹In diesem Fall bringen Sie doch Ihren Badeanzug mit. Es ist sehr heiß›. Das war mein Moment!» Und den sieht man auf dem berühmten Foto: dicker Mann, riesiger Fisch, strahlende Nixe, stolzer Fischer. Der Fischer rechts im Bild wurde oft herausgeschnitten, obwohl er es war, dem sich die ganze Szene verdankt. Gregorio Fuentes – Hemingways Vorbild für «Der alte Mann und das Meer» – hatte sich nämlich ein Foto gewünscht, nicht etwa von Hemingway, sondern von dem 30-Kilo-Pracht-Marlin in der Bildmitte. «Der Fisch war seit Tagen tot und lag stocksteif gefroren in der Eisbox. Hemingway war widerwillig und muffig, aber er ließ sich fotografieren.» Und ging damit selber als Fang ins Netz. Eigentlich könnte dieses Selbstporträt mit Stativ «Die junge Frau und das Meer» heißen und aufs Cover aller Hemingway-Ausgaben gedruckt werden, nicht zuletzt, um der knarzigen Fischkampfnovelle mit ein bisschen Esprit und Lässigkeit auszuhelfen.

Und wie ging die Sache mit der Übersetzung weiter? Inge Feltrinelli winkt ab. Die Geschichte zog sich unendlich hin. Hemingways altgediente Übersetzerin hieß Annemarie Horschitz-Horst, und jetzt strahlt die Verlegerin schon wieder, «Hemingway war ja ziemlich deutschfeindlich. Auch deshalb wollte er sich mit der Übersetzungsfrage gar nicht beschäftigen. Und er mochte es so sehr, zu sagen: ‹My German translator is called Mrs. Horse-Shit!›» Erst letztes Jahr hat Rowohlt eine Neuübersetzung herausgebracht. Berühmt geworden sind aber auch andere Fotos. In New York sieht Inge Schoenthal eine distinguierte Lady an der Ampel warten: Greta Garbo. Ruckzuck bringt sie ihre schwere Rollei­flex in Position und drückt ab, ohne dass die Dame, die sich gerade mit einem Kleenex die Nase putzt, etwas merkt. «Rot, Grün, und sie war weg. Das waren nur ein paar Sekunden, und vielleicht war das mein bester Schnappschuss.»

Dazu kommen Fotos von Erika Mann («Die war tough! Und ich wohl nicht ihr Typ»), von Pablo Picasso, von Ernst Rowohlt in Kochschürze («Er konnte nur Steaks, dazu gab es Black Velvet, kennen Sie das? Champagner mit Guinness Bier: Delirium tremens in Gläsern!»), von Billy Wilder, von J. F. Kennedy, von Anna Magnani, von Simone de Beauvoir («sie war entzückend zu mir, was mich sehr gefreut hat, weil ‹Das andere Geschlecht› meine Bibel war. Ein intimes Foto, und ausnahmsweise auch mal scharf»), von Winston Churchill, von Marc Chagall. Zu jedem Foto gibt es eine kaum zu überbietende Anekdote. Nur noch eine: Beim Ball des Herzogs von Windsor schmuggeln amerikanische Fotografen die Kollegin mit – und die wiederum schmuggelt ihre Rollei­flex unter ihrem besonders tülligen Ballkleid. Fotografieren durfte sie natürlich nicht, J. F. Kennedy hat es trotzdem erwischt.

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Als sie zu Giangiacomo Feltrinelli nach Italien zieht, wird die Kamera erst mal eingepackt. Kennengelernt hatten sich die beiden 1959 auf einer Party bei Rowohlts. Feltrinellis junger Verlag hatte gerade mit Pasternaks «Doktor Schiwago» einen Welterfolg gelandet. Das Manuskript hatte er selbst nach Italien geschleust, eine abenteuerliche Aktion, die Carlo Feltrinelli in seiner Vater-Biografie «Senior Service» erzählt. Inge Feltrinelli merkt an: «Hier, in diesem Büro in der Via Andegari, stand der russische Kulturminister, der verhindern wollte, dass das Buch erscheint. Giangiacomo hat es natürlich trotzdem veröffentlicht.»

Feltrinelli zerstritt sich deshalb mit den italienischen Kommunisten, die er jahrelang finanziell unterstützt hatte. Linientreu war er sowieso nie, erklärt seine Frau, sondern ein unabhängiger Idealist – und gleichzeitig ein hervorragender Unternehmer. Der seine eigenen Buchhandlungen gründete, in denen sogar Juke Boxes aufgestellt wurden: eine Sensation. Diesen Erfindergeist spürt man heute noch, wenn man sich die Feltrinelli-Buchhandlungen in Mailand anschaut. Zwei neue, am Hauptbahnhof und an der Piazza Piemonte, prunken nicht nur mit ausgefallener Architektur, sondern auch mit Sitzecken und Restaurantbereich. Es ist angenehm, hier herumzuschlendern, ganz anders als in den vergleichbar großen Buchhandelsketten in Deutschland.

Über hundert Feltrinelli-Buchhandlungen gibt es landesweit, im Süden Italiens ersetzen sie mit Lesungen, Podiumsdiskussionen und Musik oftmals fehlende Kulturinstitutionen. Gerade gründet Carlo Feltrinelli einen Kulturfernsehsender, der im Frühjahr starten soll. Und es ist klar, dass hier der massiven Medienmacht Berlusconis die Stirn geboten wird. Feltrinelli ist einer der wenigen großen Verlage, der es mit dem Mondadori Verlag aufnehmen kann. Der wiederum gehört zum Berlusconi-Imperium und wird von einer Tochter Berlusconis geführt.

Gesellschaftlich engagiert war die Familie schon immer, auch wenn sich die Strategien geändert haben. Im Lauf der sechziger Jahre radikalisiert sich Giangiacomo Feltrinelli, und dafür gab es im Italien der rechtsgerichteten Geheimorganisationen einige gute Gründe. Der Millionenerbe, der 1944 als 18-Jähriger in der Resistenza kämpft, will die Welt irgendwann nicht mehr mit Büchern, sondern mit Taten verändern. Er besucht Fidel Castro, lernt Che Guevara kennen und unterstützt die deutsche Studentenbewegung. 1969 taucht der Verleger unter, nimmt Kontakt zu verschiedenen Gruppen der außerparlamentarischen Linken auf und übergibt seiner Frau die Geschäfte. 1972 wird er tot neben einem Strommast gefunden, den er, so die offizielle Erklärung, sprengen wollte. Inge Feltrinelli hat nie an diese Version geglaubt, und letztes Jahr wurden Gutachten veröffentlicht, die solche Zweifel unterstützen. Wäre es in ihrem Sinne, wenn der Prozess noch mal aufgerollt würde?

«Wenn die Wahrheit dabei herauskäme, ja. Aber in Italien sind solche Sachen nie, nie, nie aufgeklärt worden, von den Borgias bis heute.» Ihr Mann, sagt sie, habe die politische Gefahr erkannt, sei aber in vielem zu radikal gewesen. Nach seinem Tod führt sie den Verlag weiter, aber nicht allein, betont sie: «Das war absolutes Teamwork, wir hatten phantastische Mitarbeiter. Ich war nicht wie die Kirsche oben auf der Torte, sondern ich war gleichberechtigte Partnerin der anderen.» Dass es über zehn Jahre gedauert habe, bis sie sich als junge Frau im Verlag und in den Mailänder Kulturkreisen durchgesetzt hatte, erwähnt sie auch. «Inge hat Frauen im Verlagswesen immer unterstützt und ihnen die Möglichkeit gegeben, Verantwortung zu übernehmen. Und das ist nicht unbedingt selbstverständlich.» Sagt Susanne Schüssler, die Verlegerin des Wagenbach Verlags und Ehefrau von Klaus Wagenbach. Sie muss es wissen, denn die Verlage haben seit Jahren enge Kontakte, und viele der italienischen Autoren, die bei Wagenbach erscheinen, kommen von Feltrinelli.

Wie sieht Inge Feltrinelli eigentlich, als Präsidentin eines Familienunternehmens, das harte Zeiten erlebt hat, die verfahrene Lage im Suhrkamp Verlag? Seit 2004 ist sie Mitglied im Aufsichtsrat der «Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung», langjährige Beziehungen verbinden auch diese Häuser; kurz: das Wohl des Suhrkamp Verlags liegt ihr am Herzen. Suhrkamp mache ein erstklassiges Programm, sagt sie mit Nachdruck, und: «Ein solcher Verlag ist keine Strumpffabrik» – sondern ein sensibles Gebilde, mit dem sich keine hohen Renditen erwirtschaften lassen.

Inge Feltrinelli ist eine begnadete Anekdotenerzählerin; sie schwelgt in den Geschichten, die sie mit Verlegerfamilien wie den Unselds, Berman-Fischers, Rowohlts und Wagenbachs verbindet. Sentimental wird sie dabei nie: Wie viel energische Nüchternheit in der heute 82-Jährigen steckt, merkt man, wenn sie bei der Sekretärin Kaffee ordert, nebenbei Bücher bestellen lässt oder auch ein norddeutsches «Nech» an ihre Sätze anhängt. Immerhin gilt es, ein Familienunternehmen zusammenzuhalten und dabei gute Laune und klaren Kopf zu bewahren. Sie schiebt die Brille im Haar nach hinten und strahlt noch einmal. Die eigens für dieses Literaturen-Porträt geliehenen Fotos sollen bitte mit DHL zurückgeschickt werden. Dann ist der Film vorbei, und man hätte endlos weiterfragen können, weil es mindestens sieben Leben sind, die in diesem einen stecken. Eine ­Songzeile rauscht vorbei, «Shine on, you crazy diamond». Draußen scheint die Sonne, für den nächsten richtigen Moment.

Inge Feltrinelli
Fotografien

Steidl, Göttingen 2013. 280 S., 38 € (erscheint Ende August)

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