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(picture alliance) Ulrich Tukur verkörpert im ARD-Film „Rommel“ Hitlers Generalfeldmarschall – am kommenden Donnerstag, 20.15 Uhr

Erwin Rommel - Der Held, der keiner war

Was geschah unmittelbar vor Rommels Tod? Dieser Frage widmet sich das TV‑Dokudrama „Rommel“ – eine Frage, die für Kontroversen sorgen wird

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Konstantin Sakkas, geb. 1982, ist freier Autor und schreibt u.a. für Die Zeit und den SWR.

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Wir werden fechten, wo wir stehen, keinen Fußbreit Boden ohne Kampf aufgeben. Und wenn wir einen Fußbreit aufgeben, sofort wieder vorstoßen. Und wir sind ja so glücklich, es seit gestern zu wissen, dass unser Generaloberst Rommel …“ Weiter kommt Hitler in seiner Rede zum neunten Jahrestag der „Machtergreifung“ am 30. Januar 1942 im Berliner Sportpalast nicht. Tosender Beifall unterbricht den „Führer“. Der Name des hochdekorierten Truppenführers, der mit seiner Panzerarmee seit einem Dreivierteljahr die britischen Truppen in Nordafrika in Schach hält, reißt die Zuschauer zu Jubelstürmen hin. Rommel ist nicht nur ein General, er ist ein Phänomen, ein Mythos, der NS-Ritter ohne Fehl und Tadel, ein schwäbischer Biedermann in Epauletten und Schirmmütze, mit Pourle- Mérite und Ritterkreuz. Glühende Nationalsozialisten können sich ebenso mit ihm identifizieren wie nüchterne, „unpolitische“ Militärs und heimliche Gegner Hitlers.

Vor allem um Letztere geht es in den vergangenen Jahren immer wieder. Das Verhältnis von Johannes Eugen Erwin Rommel – letzter Dienstgrad Generalfeldmarschall, geboren am 15. November 1891 in Heidenheim an der Brenz, gestorben am 14. Oktober 1944 auf einer Autofahrt bei Herrlingen nahe Ulm – zum deutschen Widerstand gegen Adolf Hitler gehört zu den letzten ungelösten Rätseln des Dritten Reiches. Ein TV‑Dokudrama, das am 1. November im Abendprogramm der ARD ausgestrahlt wird, versucht nun, im 70. Jahr seines Bestehens, die Annäherung an den „Mythos Rommel“. Es ist ein großer Film, sicherlich auch dank der umsichtigen Beratung durch den renommierten Widerstandsforscher Peter Steinbach. Wäre er in Hollywood gedreht worden, käme er in die Kinos, für das Fernsehen ist er fast zu schade. Die Dialoge sind, von den offenbar unvermeidlichen Fehlerchen im historischen Detail abgesehen, präzise. Mit Geschick bedient man sich cineastischer Anleihen, vor allem aus dem US‑Epos „The Longest Day“ von 1962. Und Johannes Silberschneider spielt Hitler um Längen besser als der geifernde Bruno Ganz in „Der Untergang“.

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Den Marschall selber, dessen letzte Monate der Film erzählt und der als deutsche Schlüsselfigur des Jahres 1944 inszeniert wird, stellt Ulrich Tukur dar. Zwar scheint er nicht so recht zu wissen, ob er sächseln oder schwäbeln soll, aber seine biedere Gymnasialrektorenstatur bildet den Charakter und das Dilemma des Württemberger Mittelstandskinds Rommel ziemlich ideal ab.

An seiner Seite spielt Benjamin Sadler als Stabschef Hans Speidel den intellektuell soignierten Einflüsterer, gleichsam einen guten Mephisto. Der Generalleutnant – Spiritus Rector der deutschen Küstenverteidigung und nach dem Krieg Viersternegeneral der Bundeswehr und schließlich Oberbefehlshaber der Nato-Landstreitkräfte – ist der zweite Heldentenor in dieser Besetzung. Auch er ist ein gespaltener Charakter. Seinen unentschlossenen Oberbefehlshaber hält er erst aus der Schusslinie der NS‑Verfolger, nach dem Krieg modelt er ihn zum Widerstandshelden um. Er schleust ihn beim Feldmarschall Cäsar von Hofacker ein, den Emissär der Widerstandsgruppe um Stauffenberg in Berlin. Der wiederum informiert Rommel vermutlich über die Attentatsplanungen, ohne ihm allerdings eine eindeutige Stellungnahme gegen Hitler abzuringen. Rommel weiß, dass der Krieg mit Hitler an der Spitze nur verloren werden kann; als deutscher Generalfeldmarschall im Jahr 1944 weiß er mit großer Sicherheit auch, dass im Osten Juden ermordet werden.

Auch wenn er mit dem Letzteren nichts zu tun haben will und es als Truppenführer in Frankreich, Nordafrika und Italien auch nicht musste, so hat er qua Amt mit Ersterem so viel zu tun, dass ihn sein nüchternes Tatsachenwissen um die himmelhohe Überlegenheit der Alliierten und den absehbaren Erfolg der Invasion bald in Opposition zu Hitler bringt. Die legendäre Lagebesprechung mit dem „Führer“ kurz nach der alliierten Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 verlässt er als von der Hitler- Kamarilla misstrauisch beäugter Querulant. Vom Bombenattentat Stauffenbergs am 20. Juli erfährt er aus dem Radio, nachdem ihn ein Tieffliegerangriff drei Tage zuvor ans Krankenbett geworfen hat. Den Oberbefehl über die Heeresgruppe verliert er Anfang August, und bei den Verhören, die die Gestapo mit den verhafteten Verschwörern anstellt, fällt immer wieder sein Name als der eines möglichen Mitwissers.

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Das genügt Hitler. Er schickt ihm die Generäle Burgdorf und Maisel nach Hause, die dem immer noch angeschlagenen Rommel die Giftampulle mit der Versicherung Hitlers überbringen, dass die Öffentlichkeit über die Umstände seines Todes nichts erfahren und er stattdessen, als „seinen Verletzungen erlegen“, ein Staatsbegräbnis erhalten und in das ehrende Gedächtnis Deutschlands als im Kampf tödlich verwundeter Truppenführer eingehen werde. Am 14. Oktober 1944 nimmt sich Rommel im Dienstwagen der beiden Generäle – SS und Polizei haben derweil sein Grundstück umstellt – das Leben. Es folgt der pompöse Staatsakt in Ulm, mit der Hakenkreuzfahne als Bahrtuch, Ordenskissen und Ehrenwachen im Generalsrang mit gezogenem Degen.

Das, was unmittelbar vor Rommels Tod geschah und was bis heute im Unklaren ist, steht im inhaltlichen Zentrum des Filmes. Hier müssen sich Drehbuch und Regie beweisen, und daran, wie sie das tun, werden sich fraglos heftige Kontroversen entzünden. Im Vorfeld, insbesondere aufseiten der Familie Rommel, haben sie das bereits getan. Rommels letzte Filmworte an Frau und Sohn Manfred Rommel – später der langjährige Oberbürgermeister Stuttgarts und, wie Albert Speer junior, trotz seiner Aszendenz eine feste Größe in der deutschen Hautevolée – lauten: Er sei „unschuldig“, er habe „das Attentat abgelehnt“.

Dieses Schlusswort ist ein eklatanter Bruch mit der gesamten Rommel-Tradition seit der ersten amerikanischen Verfilmung von 1951, als James Mason ihn mit straffer Mimik als geläuterten Helden verkörperte, der sich von Hitler klar distanziert hat. Rommel, war das nicht „unser Rommel“, und zwar nicht im Sinne Hitlers, sondern im Sinne der Hitler-Gegner, die ihn als moralisch lernbereiten, auf sein Gewissen hörenden, korrekten Heerführer erlebt haben wollen? Der zwar erst am Ende, aber dann entschieden auf die Seite des Widerstands getreten war und der sich dem ihm offerierten Hochverratsprozess vor dem Volksgerichtshof nur deshalb entzog, weil man ihm für diesen Fall Sippenhaft für Frau und Sohn angedroht hatte?

Der Film spart, was nicht ganz unproblematisch ist, diese letzte Konfrontation mit dem seiner Familie angedrohten Schicksal aus. Aber hat er damit so sehr Unrecht? Sippenhaft, das war nach dem 20. Juli für die Familien der Widerstandskämpfer und ihrer Mitwisser, wie schon für Millionen Namenlose in ganz Europa, ein alltägliches Schicksal. Natürlich steht es den Nachgeborenen nicht zu, als Unbeteiligte eine moralische Haltung in einer solchen Grenzsituation einzufordern. Aber es ist ein legitimer Zugriff auf das Phänomen Rommel, dass man diese Frage zurücktreten lässt hinter die viel drängendere, gewichtigere Frage, ob Rommel anders hätte handeln können, als er gehandelt hat.

Hannah Arendt, die zum konservativen deutschen Widerstand in ihrem „Eichmann“-Buch von 1963 harte, aber kluge Worte fand, hat das Wesen der Moral in einem Satz zusammengefasst, den sie in der Lehre und im Schicksal des Sokrates vorgefunden hatte: dass es besser sei, Böses zu erleiden, als Böses zu tun. Rommel hat, als General des Massenmörders Hitler, der ihm im Westen die Stange halten sollte und auch bis zuletzt hielt, am Bösen zweifellos mitgewirkt, und je näher das Ende rückte, desto klarer muss ihm dies geworden sein. Wie Ernst Udet, der in den Selbstmord getriebene Chef der Luftwaffenrüstung, war auch er „des Teufels General“. Selbst wenn er sich wie auch Udet weniger zuschulden kommen ließ als seine Generalskameraden, die, wie die Möchtegern-Spätpreußen Gerd von Rundstedt und Erich von Manstein, im Osten die Einsatzgruppen der SS morden ließen oder, wie der Musternazi Walter von Reichenau, zu diesem Morden sogar noch anfeuerten, so verschafft ihm das nicht zugleich mildernde Umstände. Im Gegenteil: Von ihm als einem von den „Guten“, diesem chevalier sans peur et sans reproche, der sich an den Verbrechen des Regimes nie beteiligt hat, erwartet man doch gerade volles Engagement, wenigstens ein klares Bekenntnis für den Widerstand und gegen den Teufel, dessen Marschall er zuletzt ohnehin nur mehr sorgenvoll und voller Zweifel spielte. Von wem denn sonst, wenn nicht von ihm?

Seite 3: Rommel war ein Bilderbuchrepräsentant der nivellierten Mittelstandsgesellschaft des Nationalsozialismus

Von diesem Rommel dachten wir doch alle, er sei letztendlich doch ein Saubermann und Hitler-Gegner gewesen – und die geduldige Lobbyarbeit der konservativen Widerstandsforschung, mit seinen Nachfahren an der Spitze, hat uns darin stets bestärkt. Und nun soll er, als man ihm auf Befehl Hitlers die Giftkapsel überbrachte – sie wirkte in drei Sekunden, der Volksgerichtshof hätte ihn zu einem qualvollen Tod durch den Strang verurteilt – gesagt haben, er sei „unschuldig“ am Attentat? Ein letztes Bekenntnis zum „Führer“, von ihm, dem „Wüstenfuchs“, den Churchill und Montgomery als ritterlichen Gegner respektierten? Der als Sinnbild eines besseren Deutschen in Uniform ins kollektive Gedächtnis eingegangen war?

Man muss einige hermeneutische Volten schlagen, um diese Unterstellung zu begreifen, um sie nicht zu eng, aber auch nicht zu weit auszulegen. Nur wer sich dieser Mühe – es ist eine – unterwirft, geht mit der nötigen Nachdenklichkeit, aber auch dem ebenso nötigen Gefühl der Befreiung aus diesem Film. Der nämlich sorgt mit dem eindringlichen Narrativ von Rommels quecksilbriger Unverbindlichkeit, Unentschlossenheit und Unverantwortlichkeit, seinem typisch deutschen Füralles- und-nichts-zu-haben-sein für starke Beklemmungen.

Rommel war in seiner Art ein typischer Deutscher des Jahres 1944, ein Bilderbuchrepräsentant der nivellierten Mittelstandsgesellschaft des Nationalsozialismus. Er konnte sich nicht entscheiden. Man darf seinem Schlusswort nicht allzu viel Gewicht beimessen. Letztlich ist es genauso Kolportage wie die Anti-Hitler-Bekenntnisse, die ihm im Zuge der Reinwaschung der Wehrmacht durch die auf die deutsche Wiederbewaffnung lauernden Westalliierten in der Nachkriegszeit in den Mund gelegt wurden. Als Deutungsversuch aber spiegelt es in denkbar knapper Verdichtung das Dilemma der deutschen Gutbürgerlichkeit wider, die sich mit einem Sturz Hitlers zugleich um ihre Privilegien, ihr protestantisches Wohlleben, ihre Beamtenpensionen, Dividenden und Landhäuser betrogen sah; die mit dem Ende des „Führers“ zugleich das Ende ihres spätromantischen Traumes von Ordnung, Macht und Geborgenheit fürchtete und die ihm auch deshalb bis zuletzt, in kümmerlicher innerer Zerknirschung, die Treue hielt.

Wer heute durchs Schwabenland fährt, begegnet einer Welt der scheinbaren Sekurität, einer Welt der Bausparverträge, der abbezahlten Mittelklassewagen und sorgsam gepflegten Vorgärten; einer Welt, in der die Welt noch in Ordnung zu sein scheint, aber eben nur scheint, wie jeder weiß, der diese Provinz von innen kennt. Aus den Vorläufern dieser Welt stammte Erwin Rommel. Die historischen Ereignisse führten ihn ins Epizentrum einer Entwicklung, die mit mephistophelischer Eindringlichkeit Ruhm versprach, alexandrinische Eroberungszüge, Nennungen im Wehrmachtsbericht, das Ritterkreuz mit Eichenlaub, Schwertern und Brillanten. Doch der Preis, um den dieses Versprechen eingelöst wird, ist die Teilnahme am Verbrechen, die Einweihung in düstere Geheimnisse, der Sturz in den Dreck.

Sein Schlussbekenntnis für Hitler und gegen das Attentat hat eine tiefere Schlüsselfunktion. Denn das eigentlich Schlimme an ihm ist nicht, dass es ein Bekenntnis zu Hitler und gegen die Widerständler war, die bis zuletzt um den „Wüstenfuchs“ als Galionsfigur gebuhlt hatten, sondern dass auch dieses letzte Bekenntnis unaufrichtig und falsch war. Das wissen auch die Macher des Filmes, und auf diese Wirkung haben sie dieses letzte Bekenntnis dramaturgisch berechnet. Rommel war weder ein fanatischer Nazi noch ein überzeugter Widerstandskämpfer. Er war moralisch letztlich ein Niemand, ein Nichts. Am Ende weigerte er sich, wie es bei Hannah Arendt heißt, „Person zu sein“, sich wenigstens zu irgendetwas, und sei es zum Bösen, ehrlich zu bekennen. Er, der große, starke Mann, der mit seinen Panzermännern erst die Franzosen und dann die Engländer vor sich her getrieben hatte, entpuppte sich in seiner letzten Seelenhäutung, im Angesicht des Todes, als halbherzig und – schwach.

In der Novemberausgabe beschäftigt sich der Cicero mit dem Streit um Hitlers „Mein Kampf“. Das Heft ist am Kiosk und auch im Online Shop ab sofort erhältlich.

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