- Das Prinzip Dan Brown
Das Label „Leonardo“ ist bares Geld wert. Eine Erkenntnis, die nicht nur den Bestseller-Autoren Dan Brown und Kunstsammler aller Welt antreibt – sondern auch die berühmtesten Museen der Welt
Seit knapp 500 Jahren ist er jetzt tot. Und trotzdem macht die internationale Presse alle paar Monate mit seinem Namen große Schlagzeilen und starke Auflage. Autorisiert hat er niemanden dazu. Es sind andere, die den klangvollen Namen Leonardo da Vincis für ihre Zwecke nutzen.
Das neuste Beispiel dieses Geschäfts ist die Präsentation einer „zweiten“ Mona Lisa im Prado, Madrid. Gerade erfuhr die Öffentlichkeit, dass es dort eine Kopie des wohl bekanntesten Gemäldes der Welt gibt, die dem Original noch viel näher kommt, als man ursprünglich dachte. Bisher durch nachträgliche Übermalungen verdeckt, wurde im Hintergrund derselbe Bildaufbau wie bei der berühmten Mona Lisa aus dem Louvre entdeckt.
[gallery:Leonardo-da-Vinci-Gemälde und das Prinzip Dan Brown]
Die Nachricht des Prado geht noch weiter: Das Bild müsse aus Leonardos Werkstatt stammen, denn auch der Malprozess des Madrider Bildes sei parallel zu dem im Louvre und deshalb wohl zeitgleich abgelaufen – das Gemälde liefere also einmalige zusätzliche Informationen über die Entstehung der mysteriösen Mona Lisa. Auch Leonardo-Experte Frank Zöllner von der Universität Leipzig meint: „Die neu entdeckte – oder besser: neu gewürdigte – Kopie des Prado, die schon lange bekannt war, wird unsere Sicht auf die originale Mona Lisa nicht unerheblich verändern.“
Zwar behauptet der Prado keinesfalls, dass das Bild von Leonardo selbst stammen könnte – als wahrscheinlichster Schöpfer der Kopie wird Leonardos Schüler Francesco Melzi genannt. Doch trotzdem sind es der Name Leonardos und die Ähnlichkeit mit seinem bekannten Werk aus dem Louvre, die dem Prado in den nächsten Monaten und Jahren erhöhte Besucherzahlen bescheren werden.
Aber wie kommt es, dass erst und gerade jetzt die Parallelität des Bildes im Prado mit einem der Meisterwerke der Kunstgeschichte entdeckt und präsentiert wird? Immerhin befindet sich das Portrait bereits seit über 300 Jahren im Prado und auch Zöllner meint: „Ich habe schon vor Jahren angeregt, die Kopien nach Leonardogemälden ernster zu nehmen.“ Die Erklärung für die jetzige Initiative des Prado scheint in einem Trend zu liegen, der sich in den letzten Monaten und Jahren beobachten lässt: Aus dem Namen Leonardo da Vincis Kapital zu schlagen.
Als einer der größten Künstler der Renaissance und überhaupt der Geschichte, als Universalgenie, dessen Stärken nicht nur im Bereich der Kunst, sondern auch der Technik, Medizin und Botanik lagen, hat Leonardo natürlich schon immer die Nachwelt begeistert. Die Tatsache, dass er als Künstler je nach Zuordnung nur 14 bis 17 Gemälde hinterlassen hat, macht jedes Einzelstück seines Œuvres noch exklusiver – und wertvoller.
Es ist also kaum verwunderlich, dass sich immer wieder Sammler und Kunsthändler an die Öffentlichkeit wenden, die meinen, ein bisher unbekanntes oder verschollen geglaubtes Leonardo-Gemälde gefunden zu haben. Gerade in den vergangenen Jahren scheinen sich diese Funde zu häufen. Das Beispiel des Ehepaares Ingo und Evelin Bubenik aus Pfaffenhofen in Bayern zeigt auf fast schon tragische Weise, wohin dieser Glaube an die Sensation führen kann.
Dreißig Jahre ihres Lebens und ihr gesamtes Vermögen haben der Galerist und seine Frau investiert, um zu beweisen, dass ein von ihnen gefundenes Bild einer Verkündigungsmadonna die als verschwunden geltende Altartafel Leonardos aus der Mailänder Kirche San Francesco Grande ist. Von fehlendem Zuspruch aus der Fachwelt ließen sich die beiden nicht abbringen. 1990 ist das Ehepaar finanziell ruiniert, das Bild gepfändet. Im letzten Jahr ging das Gemälde schließlich an einen Gläubiger, dem sie 390.000 DM schuldig waren.
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Die bereits existierende sensationsgierige Begeisterung für Leonardo wurde durch einen Bestseller des amerikanischen Autors Dan Brown schließlich zu einem Hype. In seinem 2003 veröffentlichten Buch „The Da Vinci Code“ erzählt Brown die Geschichte des Symbol-Forschers Robert Langdon, der sich auf kunsthistorische Schnitzeljagd durch Frankreich begibt, dabei Rätsel löst, Leben rettet und auf die Spur einer Jahrhunderte alten Bruderschaft kommt.
Zentrale Rolle spielen dabei immer wieder Gemälde Leonardos: die „Mona Lisa“, die „Felsgrottenmadonna“ und das „Abendmahl“. Kaum veröffentlicht, hält sich der Roman auf den internationalen Bestsellerlisten: Das Buch wird in 44 Sprachen übersetzt und bis 2006 rund 50 Millionen Mal weltweit verkauft. Die 2006 mit Hollywood-Star Tom Hanks und der französischen Schauspielerin Audrey Tatou in den Hauptrollen verfilmte Geschichte spielte insgesamt rund 760 Millionen US-Dollar ein.
Dass Wissenschaft und Presse die Thesen Dan Browns bereits widerlegt haben, interessiert angesichts solcher Zahlen weder die Fans noch die Verantwortlichen im Buchverlag oder der Filmproduktion. Im Gegenteil: Neue Geschäftsideen wachsen auf diesem Boden. Denn die Fans wollen die Erlebnisse Robert Langdons hautnah nachvollziehen und sind bereit, dafür tief in die Tasche zu greifen. Eine Tour auf den Spuren des „Da Vinci Codes“ durch den Louvre kostet jeden Teilnehmer zwischen 98 und 113 Euro. Wer den gesamten Weg Langdons durch Paris nacherleben möchte, zahlt 100 bis 170 Euro.
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Dieses Geschäft, das sich weltweit mit Leonardos Namen machen lässt, wollen sich auch andere nicht entgehen lassen. So meint der New Yorker Kunsthändler Paul Silverman ebenfalls, einen Leonardo zu besitzen. Einzig vom emeritierten Professor Martin Kemp aus Oxford unterstützt, versucht er, Anerkennung für die Zuschreibung seiner für 19.000 US-Dollar bei Christie’s ersteigerten Zeichnung mit dem Titel „La Bella Principessa“ zu finden.
Wahrscheinlich aus Respekt vor Kemp schweigt der Großteil der Fachwelt zu diesem Fall – allerdings keinesfalls aus Zustimmung. Vergeblich blieb deshalb auch Silvermans Bemühen im Herbst 2011, seine Zeichnung in der großen Leonardo-Ausstellung der National Gallery in London unterzubringen. Die Absage des anerkannten Museums kam einem Todesurteil für sein Anliegen gleich.
Ein anderes Werk hatte da mehr Glück. Bereits im Sommer vergangenen Jahres wurde ein weiterer „Sensationsfund“ angekündigt. Eine Darstellung des „Salvator Mundi“ sollte das Label „Leonardo“ erhalten. Das in den USA im Privatbesitz befindliche Bild gilt als unverkäuflich, wird aber – sollte sich die Zuschreibung bestätigen lassen – auf einen Wert von 200 Millionen Dollar geschätzt. Kunsthistoriker, die das schwer beschädigte Original bereits in Augenschein nehmen können, scheinen wenig Zweifel daran zu haben, dass es sich um eine Schöpfung Leonardos handelt. Und so entschied sich die National Gallery dafür, das Bild zusammen mit rund der Hälfte von Leonardos malerischem Gesamtwerk in der vorgestern ausgelaufenen Ausstellung zu präsentieren. Eine Ankündigung, die den ohnehin gewaltigen Zulauf des Museums weiter in die Höhe trieb.
Möglicherweise wird sich der Entschluss der National Gallery eines Tages als voreilig herausstellen. In der Vergangenheit haben sich schon häufiger angesehene Ausstellungshäuser mit Gemälden, die angeblich von Michelangelo, Rembrandt oder Pollock stammten, vertan. Doch selbst wenn: Mit dem Namen Leonardo hat die Museumsbranche, die immer knapp bei Kasse ist, das Geld bereits eingefahren. Die Geschichten um rätselhafte Bilder bleiben ein Publikumsmagnet. So meint auch Frank Zöllner: „Es geht bei der Principessa und dem Salvator natürlich um sehr viel Geld. Aber auch um mediale Aufmerksamkeit – der gängigsten Währung des Informationszeitalters.“
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