- Der Heilige Geist des Folk
Er schrieb die Hymnen der 68er, er gab der Anti-Vietnamkrieg-Bewegung einen Klang: die US-Songlegende Bob Dylan kommt nach Europa. Ein Loblied
Als Bob Dylan im Sommer 1997 in einem der intimeren Theater New Yorks auftrat, sang Joan Osborne zum Auftakt ihre Version von „What good am I“, verzog sich dann an die hintere Bar, bestellte sich einen Drink und schaute zu, wie Dylan seine ersten acht Lieder sang, danach seine Band vorstellte und meinte: „Ich bedanke mich besonders bei Joan Osborne. Übrigens, sie und ich werden zusammen ein Lied singen...“ Als er Sekunden später ihren herannahenden Schatten im Scheinwerferlicht sah, fügte er hinzu: „Aber nicht heute Nacht.“
Der Welt eigenwilligster Song-&-Dance-Man („Ich wäre ein sehr guter Tänzer geworden, aber zwei Dinge passten eben nicht – meine Beine“) betrat vor ein paar Tagen in Cork wieder europäischen Tanzboden. Die Setlist dort, dann später in Dublin, Istanbul und Saloniki glich fast genau jener des letzten Herbsts, viel Tempest eben, ein küstennaher Liederreigen voller Lyrik, Sarkasmus, Witz und Selbstironie – über ein langes und vergeudetes Leben. Long and wasted years, damit kokettiert ausgerechnet dieser 73-jährige Mann, der in seiner bisherigen Lebensspanne mehr erreicht und bewegt hat als die gesamte deutsche Musikwelt zwischen Schubarts Winterreise und dem zwangsoriginellen Rüttelzement der Naidoo-Generation.
„An der Gitarre, Fuzzy, ein bemitleidenswerter Bursche, stammt aus einem völlig zerrütteten Zuhause. Seine Kids schlagen daheim alles kurz und klein.“
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Zärtlich wie eine Kreissäge
In den Bobby-Dee-Internetforen – er dürfte mittlerweile mehr Klicks haben als das Weiße Haus und der Rote Kreml zusammen – geht es jetzt wieder hoch her. Tausende von Alt- und Jungdylanologen, Literaturprofessoren aller Länder, detailbesessene Datenfreaks, kabbalistische Analytiker, fundamentalistische Hardcore-Hopper, ergraute Edelfans, fiebrig inspirierte Musikjournalisten und wer sonst noch, lesen jetzt wieder zwischen den Zeilen, suchen, deuten, grübeln, ergründen, prophezeien, wie es bei jedem Deutschlandbesuch der Fall war, seit seinem Gig auf dem Nürnberger Zeppelinfeld vor 35 Jahren.
„Larry hat neulich auf unserer Tour ein Schwein erworben. Ich fragte ihn, wo er das denn aufbewahren wolle und er sagte, ja, unter seinem Bett natürlich. Ich fragte, wie es den Gestank aushalten wird und er meinte, dass man sich an alles gewöhnen kann.“
Dylans Witzkultur ist ohne seine Stimme vielleicht nur die Hälfte wert. Jede Silbe seiner homerischen Rede ist Teil einer uferlosen Melodie, zärtlich wie eine Kreissäge, heiter wie ein Schaffnerpfiff und gefüllt mit Rauch, Parfum, Benzin und Wüstensand.
„Am Schlagzeug haben wir David, er ist einer der langweiligsten Drummer der Welt. Als wir neulich in Israel spielten, schläferte er sogar das Tote Meer ein.“ Sein Bühnentalk, seit längerem leider lakonisiert, lebt vom Wortwitz des Boulevards, einer Mischung aus Truck-Driver-Diners und Synagoge, Dadaismus und Maskenball, Wahrheiten und Bullshit. „Sorry, aber wir sind hundemüde, wollten in so einem Trailerpark übernachten, aber trauten uns dann nicht, die Schlafsäcke dort aufzuwecken.“
Bob Dylan war schon immer sehr cool
„Schön, heute Abend mal wieder in Milwaukee zu sein. Eine meiner ersten Freundinnen kam von hier. Sie war eine geniale Fotografin. Und hat mich dann sehr schnell ausgeknipst.“
Am 1. Juli kommt er mit seiner Band ins Münchener Tollwood-Zelt. Es folgen Konzerte in Zwickau, Rostock und Flensburg. In Athen vor ein paar Tagen warf er – aus dem Nichts heraus, wie ein autistisch würfelnder Gott – seine fast schon nervig stabile Setlist komplett durcheinander und tat das, was er sehr gut kann: keiner Erwartung gerecht werden, keine Wiederholungen und keine Reproduktion zulassen, verblüffen, ärgern, überraschen, verwirren, entgeistern, provozieren, inspirieren und machen, wonach ihm der Sinn steht: „Ein Mensch ist dann erfolgreich, wenn er zwischen Aufstehen und Schlafengehen das tut, was ihm gefällt.“
Zum Beispiel Blödsinn verzapfen: „Ich habe gestern mit Neil Young telefoniert und er meinte, weißt du, Bob, man kann heute überhaupt keine coole Musik mehr im Radio hören. Und dann sagte ich zu Neil, sicher, da hast du vollkommen recht, aber dann lege doch einfach mal dein Radio in die Kühltruhe.“
Dylan war schon 1964 sehr erfolgreich und sehr cool. Von einem Reporter gefragt, was er denn jetzt mit all dem vielen Geld machen wird, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen: „Ich nähe 75 Millionen Dollar in meinen ältesten Anzug, wandere aus und kaufe Australien.“
Einen Reporterkollegen, der wissen wollte, was genau der Titel "Rainy Day Woman No. 12&35" bedeutete, fragte er zurück, wie er dies denn bitte jemand erklären solle, der noch nie in seinem Leben in Nordmexiko war. Und wenn ihn niemand etwas fragte, dann ließ er sich in einem Song eben befragen, zum Beispiel in der Person von J. F. Kennedy: „Bob, was denkst du, brauchst es, damit unser Land wieder so richtig in die Höhe schnellt?“ „Mein Freund John, Brigitte Bardot natürlich, Anita Ekberg, Sophia Loren.“
Unlängst plapperte er in seiner Radioshow so vor sich hin: „Normalerweise sage ich den Leuten nicht, was ich privat mache, aber vor ein paar Tagen ging es mit ein paar Auto-Managern darum, ob ich ihren Navigationssystemen meine Stimme geben soll. Nach und nach denke ich, es wäre ganz gut, wenn Sie irgendwo da draußen den richtigen Weg suchen und auf meine Hinweise zurückgreifen können: Fahren Sie links an der nächsten Kreuzung, sorry, nein, rechts, ach, was, Unsinn, fahren Sie am besten einfach geradeaus. Aber vielleicht sollte ich das nicht machen, weil, bei mir lief es immer so im Leben ab, dass welchen Weg ich auch nehme, er mich stets zur selben Stelle führte: Lonely Avenue. Gottseidank bin ich da nicht total alleine. Da hat mich Ray Charles mal überholt.“ Und der war nun bekanntermaßen blind. Diesen Unfug griff die BBC auf, es folgte ein Artikel im Guardian und am Ende blies Agence France die Neuigkeit in die Welt hinaus, verbunden mit dem Lamento, dass der ehemalige Protestsänger sich an die Autoindustrie verdingt habe.
An guten Tagen entfährt ihm auf der Bühne etwas mehr als ein gekrähtes Danke. Er stellt dann seine fünf Kumpels vor, diese recht verwegene Mischung aus Jesse-James-Jockeys und Wild-Bunch-Genossen. Das geschieht dann meistens unter Verwendung jenes trocken-lakonischen Humors, den vermutlich nicht jeder im Publikum so richtig witzig findet.
„David machte einen seiner ersten Jobs hier in Chicago. Er arbeitete dort als Kellner in einem Lokal. Aber er bekam nicht einen Cent Trinkgeld. Er war auf beiden Ohren taub.“
„Am Schlagzeug, David Kemper, neulich hat er eine Filmrolle gegessen. Mal sehen, wie sich das alles entwickelt.“
„Sie fragen sich sicher, was David da auf seine Schuhe geschrieben hat. Es handelt sich um Fußnoten.“
„Ach ja, bevor ich es vergessen hätte. Da hinten, George, der vermutlich weltbeste Drummer... zumindest heute auf der Bühne.“
„Als ich Bucky das erste Mal traf, wollte kein Schwein nur einen Cent auf seinen Namen setzen. Ich riet ihm dazu, einfach seinen Namen zu ändern.“
In den geistesarmen Neunzigern, in denen auch Dylan nicht viel gelang und sich eine Menge Selbstzweifel bei ihm breit machten, galt es als Geheimtipp, dass, wenn man sich preisgünstig von seiner Frau trennen wolle, man sie nur zu einem seiner oft debakulösen Konzerte mitnehmen müsse. Er übte sich ungerührt in seinen Love&Hate-Variationen.
Er traf Jesus angeblich zweimal persönlich
„George gelang es heute morgen hier auf dem Marktplatz, einen Baseballschläger für seine Frau zu kriegen. Er sagte, das war der schlechteste Deal seines Lebens.“
„Der Mann, der diesen Song vor langer Zeit schrieb, war eigentlich ein prima Kerl, bis er eines Morgens seine Frau erschlug.“
„Du bist so niedergeschlagen heute. Was ist denn los mit dir?“ – „Ich versuche schon den ganzen Tag meine Schwiegermutter zu treffen und weiß nicht mehr, was ich tun soll.“ – „Ich würde einfach nachladen und es nochmals versuchen.“
Seine Freunde, wie Judi Mitchell, Patti Smith, Judy Collins, einst George Harrison und Allen Ginsberg, Tom Petty, Ron Wood, Keith Richards Sam Shepard, T-Bone-Burnett, Joan Baez, Mark Knopfler und so viele mehr lieben seinen schrägen, knappen und absurden Humor.
„Larry hätte neulich fast einen Song geschrieben. Er wollte ein Lied über sein Bett schreiben, aber bis heute hat es ihm noch keiner gemacht.“
„David dachte wohl, dass er heute noch Golf spielen würde, denn er zog sich morgens gleich zwei T-Shirts an, für den Fall, dass er ein Loch in eins bekäme.“
„Gott hat ihm regelrecht in den Hintern getreten“
In seinen christlichen Gospeljahren – er traf nach eigenen Angaben Jesus zweimal persönlich – nervte er selbst seine treusten Fans mit endlosem Sermon über die Schlacht von Armageddon, das Böse, das Gute, die Hölle, die Erlösung und die botanische Vielfalt zwischen Eden und Gethsemane. Doch selbst in jener eher ernsteren Phase war da immer noch der Witz – so beim Vorstellen seiner drei Background-Sängerinnen: „Hinter mir auf der Bühne, meine Exfrau, meine nächste Frau, meine aktuelle Freundin und daneben noch, meine Verlobte.“
Und nachdem er wieder einmal sein „Lady Lady Lay“ gesungen hatte, raunzte er ins Mikro: „Ich habe dieses Big-Brass-Messingbett übrigens nicht mehr. Ich hatte auch nie eines.“
Und so zieht der Jokerman eben weiter um den Zirkus namens Erdball. Fünf Jungs im Schlepptau, fast so wie Apoll mit den sieben Schwänen, zwischen Bukarest und Prag, zwischen Licht und Schatten, Eros und Todesnähe, Pokern und Sandsack, ein wenig Shakespeare, ein wenig Chaplin, ein wenig Zimmermann, viel Dylan. Eine Zeile aus jenem Jokerman-Song lautet: „Freiheit findest du an jeder Ecke, aber wofür soll sie gut sein, wenn die Wahrheit so weit weg ist?" Und zum würdevollen Überleben in einer Welt des Verrats und des Plünderns meint er nur: „Ich akzeptiere das Chaos, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob es mich akzeptiert.“
Einer von Dylans besten Freunden, der Konzertveranstalter Ben Johnston, sieht die Sache mit dem Witzbold ganz pragmatisch: „Gott hat ihm, anstelle ihn zu berühren, regelrecht in den Hintern getreten. Bob kann nichts für das, was er tut. Er hat den Heiligen Geist in sich.“
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