- Nachwachsender Rohstoff
Kerstin Preiwuß feiert den Baum als ein Investment in die Zukunft
Gehen Sie mal durch die alte Handels- und Industriestadt Leipzig spazieren und achten Sie dabei nicht auf die üblichen Superlative, achten Sie bitte auf die Bäume, die Ihren Gehweg flankieren. Viele davon sind mit einer Stele versehen, auf der ein Schild angebracht ist. Nehmen Sie sich die Zeit zum Lesen, es lohnt sich. Sie erfahren nicht nur, was für ein Baum Ihren Weg säumt, sondern auch, wer ihn gestiftet hat und warum. Letzteres ist wohl noch immer in Deutschland einmalig, denn obwohl es mittlerweile in vielen Städten Baumpatenschaften gibt, bietet nur Leipzig die Möglichkeit, sich als Stifter auch persönlich zu verewigen.
Jetzt denken Sie bitte kurz daran, welch hohen Stellenwert ein Baum auf der ewigen Liste der Dinge einnimmt, die man im Leben getan haben sollte, ob für sich oder für andere oder gleich für die ganze Welt, dann werden Sie sicher verstehen, wie krisensicher diese Anlage ist. Der Baum als perfektes Joint Venture von privatem und öffentlichem Wohl, welches seine Pflege garantiert, steht doch für immer symbolisch für den Stolz auf die eigene Existenz. Als nachwachsender Rohstoff schafft er eine Nähe zum eigenen Lebensweg und ist daher äußerst vertrauenswürdig – um nicht zu sagen wertstabil, denn im Normalfall wird er einen überdauern. 250 Euro kostet diese Option und ist daher nicht zu hoch, als dass sie nicht auch für den Einzelnen interessant wäre.
Die innerstädtische Wildnis
Wer will, kann sich auch als eine Art Trust zusammentun. „Für wahre Freunde“ steht etwa an einer Thüringischen Eberesche, gestiftet von Zorro, Mr Gibs und Jackson. „In Erinnerung an Frank ‚the floorman‘, gestiftet von allen Freunden der Donnerstagsrunde“, an einer anderen. „Wenn wir von dieser Schule gehen, soll das Bäumchen hier noch lange stehen“, offenbart eine Säulen-Hainbuche, gestiftet von drei vierten Klassen. „Zum Andenken an Biotectid und meine Leipziger Zeit“ erinnert an die Arbeit für ein in der Bio-City ansässiges Unternehmen. Fast immer sind die Bäume für jemanden oder zur Erinnerung. „Katharina – Wie ein Wunder liegst du neben uns, liebst und atmest Zauber in uns hinein“, erfährt man durch eine Straßen-Robinie von einer Geburt. Sämtliche Facetten des Menschlichen geben die Inschriften wieder, und oft sind sie dabei ein emphatisches Bekenntnis zur Kultur. An zentralen öffentlichen Plätzen häufen sich die Ehrenbäume. Eine Platane wächst „In Verehrung für Felix Mendelssohn Bartholdy“, eine andere preist auf Latein gleich die römische Göttin Diana.
Aber es geht auch schlichter; etwa: „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind“. Viele werden aphoristisch, wie etwa „Erwerben ist leichter als Erhalten“, das als unternehmerische Grundregel so manche Firmengeschichte begleitet. Diese Bäume säumen weder Hain noch Grundstück. Überall in der Stadt warten sie auf einen Hund, der bereit ist, sein Bein zu heben. „Südvorstadt, auf immer Dein. Wir kommen zurück! Hier wollen wir sein.“ Jedes Blatt eine schöne Stunde in Leipzig. Ein Chor aus unterschiedlichsten Stimmen gleichberechtigt im Raum verteilt. Dabei sind die Inschriften lediglich Mittel zum Zweck, denn Leipzig boomt und verdichtet sich stetig, was wiederum bedeutet, dass einem die Füchse nicht mehr aus der innerstädtischen Wildnis heraus über den Weg laufen, sondern zwischen Häuserschluchten. Leipzig wäre aber nicht die Handelsstadt, die sie ist, fände sie nicht eine Lösung, die es einem leicht macht, eigene Entscheidungen in ihrem Sinne zu treffen. An sich selbst erinnern und damit Gutes tun, dieses unternehmerische Selbstverständnis des Mäzenatentums kommt in den Bäumen so unprätentiös wie unideologisch zum Ausdruck und zeigt, dass es nur eine geschickte Verknüpfung von Einzelinteressen braucht, um auf das Wohl aller zu zielen. Überlegt man sich, welche Wege Entwicklung oft nimmt, dann erscheint es nahe liegend, hier von einer fortwährend nachwachsenden Kultur zu sprechen.
Dies ist ein Artikel aus dem Sonderheft „Mensch & Maschine“ von Cicero und Monopol
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