- „Archetypus des mittelmäßigen Politikers“
Seit dem vergangenen Winter hat der Berliner Maler Clemens von Wedel an der künstlerischen Umsetzung einer Staatsaffäre gearbeitet. Bei der Arbei sei er dem Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff „sehr nahe“ gekommen, sagt er.
In einem Bilderzyklus hat Clemens von Wedel jene Mailbox-Ansage auf sechs Leinwänden verewigt, die vor zwölf Monaten am Anfang der Wulff-Affäre stand. Diese endete am 17. Februar dieses Jahres mit dem Rücktritt des Bundespräsidenten. In der Nachricht, die der damalige Bundespräsident auf der Maillbox von BILD-Chefredakteur Kai Diekmann hinterließ, versucht er eine Berichterstattung über seinen Hauskredit zu verhindern und spricht von Krieg. Im Interview mit Cicero Online spricht der Künstler über Machtmissbrauch und Geltungssucht.
Herr von Wedel, Sie haben Christian Wulffs geheimnisumwitterte Ansage auf Kai Diekmanns Handy künstlerisch umgesetzt. Entstanden ist ein Zyklus aus sechs Bildern. Was hat Sie an Wulffs Sprachnachricht gereizt?
Der Text hat sehr viel mit meinem Leben zu tun, denn Machtmissbrauch und Mittelmäßigkeit ziehen sich wie eine Schleimspur durch meine Biographie. Je subjektiver ich die Dinge in meiner Kunst angehe, desto näher komme ich ihnen, desto tiefer kann ich gehen. Es ist doch so, dass mittelmäßige Menschen aufgrund von Geltungssucht und Eigennutz diese Welt vergiften. Oder dass Menschen gnadenlos Positionen ausschöpfen und keiner Sache dienen außer ihrer eigenen.
Halten Sie Christian Wulff denn für einen Archetypus des mittelmäßigen Politikers?
Absolut. Er ist auch so wahnsinnig durchschaubar, und das ist das Beängstigende. Es geht da ja auch um den Begriff des Staatsoberhaupts, und ich fühle mich einfach dem Begriff „Landesvater“ wesentlich näher. Eigentlich hat der Bundespräsident schon in meinen frühesten Kindheitserinnerungen etwas Väterliches, Verantwortliches – und er hat seine Finger aus diesem schmutzigen, alltäglichen politischen Zirkus zu halten. Wenn es jetzt wegen dieses Auftritts von Wulff vor kurzem in Heidelberg heißt, er würde sein Schweigen brechen, dann ist das ein Hohn. Es geht für ihn doch nur darum, wieder einen Fuß in die Türe zu kriegen.
Hat Wulff sich mit seiner Mailbox-Nachricht als Bundespräsident Ihrer Ansicht nach selbst erniedrigt?
Nein, es war eher der Versuch einer Selbstaufwertung. Was soll denn in dieser Nachricht das Gerede vom Emir oder vom japanischen Ministerpräsidenten? Warum ist ständig von Wulffs Frau die Rede? Ich möchte einfach in keinem Land leben, in dem irgendjemand auf irgendjemanden zu warten hat, um irgendetwas zu veröffentlichen. Da will ein Staatsoberhaupt sich mit jemandem an einen Tisch setzen, um seine Machenschaften weichzuspülen und schönzureden.
[gallery:Christian Wulff – Künstlerisches Protokoll eines Kontrollverlustes]
Wie kamen Sie denn überhaupt an den Originaltext von Wulffs Mailbox-Nachricht?
Na ja, das ist doch klar. Ich stehe Kai Diekmann nahe, und ich glaube, mehr muss man dazu nicht sagen.
Die Bilder sollten ja ursprünglich in der Ausstellung „Art & Press“ im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) gezeigt werden. Daraus ist aber nichts geworden. Warum?
Das ist wieder ein Beispiel dafür, wie mittelmäßige Menschen, die ihr regelmäßiges Gehalt kriegen und an nichts anderem Interesse haben, als sich selbst zu beweihräuchern und ihre Privilegien zu nutzen, nicht die Eier, nicht den Arsch, nicht das Rückgrat haben, zu so einer großartigen Sache zu stehen. Dabei erkennt doch jeder, der nur ein bisschen darüber nachdenkt, welche Form von Zeitgeschichte sich in diesen Bildern spiegelt.
Glauben Sie, die Verantwortlichen beim ZKM hatten Angst vor juristischen Konsequenzen?
Das ist Feigheit. Die Bilder sollten ursprünglich auch nur auf Staffeleien in einem separaten Raum gezeigt werden, damit bloß nicht der Eindruck entsteht, sie hätten etwas mit der Ausstellung „Art & Press“ zu tun. Das ist wieder dieses akademische, etablierte Schnarchnasen-Getue.
Dennoch werden Ihre Bilder demnächst öffentlich gezeigt. Welcher Ort hat sich dafür gefunden? Wann geht es los?
Am 12. Dezember in Bazon Brocks „Denkerei“ am Berliner Oranienplatz. Ich stelle den Anlass über meine Kunst und meine Person, und ich werde selbst bei der Eröffnung nicht dabei sein. Denn in dem Raum, in dem die Bilder gezeigt werden, hängen sonst nur ein paar Bilder von Studenten rum oder maximal ein Druck oder eine kleine Leinwand. Ich habe mich für meine Arbeit investiert, als einziger. Ich war auch der einzige, der die Dinge benennen und etwas dazu sagen konnte, wie meine Bilder angelegt sind. Aber kein Mensch hat sich dafür interessiert, niemand.
Wie lange haben Sie denn an den Bildern gearbeitet?
Kai Diekmann ist noch im letzten Winter bei mir gewesen, und von dem Moment an habe ich angefangen, zu arbeiten. Seit letztem Winter bin ich Tag und Nacht mit nichts anderem als mit der künstlerischen Umsetzung dieser Mailbox-Nachricht beschäftigt. Da war sonst nichts dazwischen, auch keine anderen Arbeiten oder irgendwelche freizeitlichen Aktivitäten. Ich habe auf ein Ziel hingearbeitet, und ich möchte mit dem Thema Wulff jetzt auch abschließen. Ich mag das manische Arbeiten, aber es ist auch gefährlich. Man kommt den Dingen dabei sehr, sehr nah – und man muss dann auch wieder den Absprung schaffen. Gleichzeitig beschämt es mich fast vor Rührung, dass ich an so etwas teilhaben darf.
Was wird denn mit den Bildern geschehen, wenn die Ausstellung vorbei ist?
Das entscheiden Kai Diekmann und ich gemeinsam. Aber die Bilder werden ihren Weg gehen, da mache ich mir überhaupt keinen Kopf.
Das Interview führte Alexander Marguier
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