Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Zwangsprostitution - Vom Staat im Stich gelassen

Eigentlich sollte das 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz die rechtliche Lage von Prostituierten stärken. Die Realität sieht jedoch anders aus: „Das Gesetz hat die Zwangsprostitution verstärkt“, konstatiert der Polizeibeamte Wolfgang Hohmann. Doch statt zu handeln, schieben Bundesfamilien- und Bundesjustizministerium die Zuständigkeit hin und her

Autoreninfo

Jana Illhardt studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaften, Politikwissenschaften und Sozial- und Kulturanthropologie an der Freien Universität in Berlin. Sie schreibt für Cicero Online und lebt in Berlin.

So erreichen Sie Jana Illhardt:

Straßenstrich, Stuttgarter Altstadt: Eine Handvoll Frauen stehen bereit und warten auf Freier. In einem Café in Sichtweite sitzen breitschultrige Männer. Ein paar von ihnen telefonieren mit dem Handy und gestikulieren dabei. Sie blicken in Richtung Straße. Eine der Prostituierten betritt das Café und überreicht einem Mann Geldscheine, bevor sie an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt.

Wer die Szene beobachtet, würde vermuten, bei dem Mann handle es sich um einen Zuhälter, dem die Frau ihren Verdienst übergeben muss. Auch Wolfgang Hohmann vermutet das. Tun kann der Polizist dagegen jedoch nur wenig. Durch die Streichung des Tatbestandes „Förderung der Prostitution“ hat ihm der Gesetzgeber die rechtliche Grundlage dafür entzogen.

Zurückführen lässt sich diese Crux auf das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten“, kurz Prostitutionsgesetz, das den Verkauf sexueller Dienstleistungen legalisierte. Ziel des 2002 in Kraft getretenen Gesetzes war es, die rechtliche und soziale Situation der Prostituierten zu verbessern. Deren tägliches Geschäft wird seitdem als sozialversicherungspflichtige Dienstleistung anerkannt und somit aus dem Morast der Sittenwidrigkeit heraus in die Legalität gezogen.

Zwar ist die Ausbeutung und Kontrolle von Prostituierten nach wie vor strafbar. Beweisen kann Hohmann, Leiter des Ermittlungsdienstes Prostitution der Stuttgarter Polizei, diesen Gesetzesverstoß aber nur selten. „Ohne dass die Frau aussagt, tatsächlich zur Abgabe des Geldes gezwungen worden zu sein, kann ich wenig tun.“

Vor der Gesetzesänderung, als der Tatbestand „Förderung der Prostitution“ noch existierte, galt bereits ein Dienstplan als Indiz für illegale Zuhälterei. Seit Inkrafttreten des  neuen Gesetzes ist das Schaffen eines angemessenen Arbeitsumfeldes nicht mehr strafbar. Einige Bordellbetreiber hätten ihre Betriebe zwar, inklusive der dort arbeitenden Frauen, angemeldet. Das seien jedoch die Wenigsten, sagt Hohmann. „Das Gesetz hat vielmehr – zwar unbeabsichtigt aber für uns nicht überraschend – die Zwangsprostitution verstärkt.“

Empirische Zahlen, wie viele Frauen in Deutschland zur Prostitution gezwungen werden, gibt es nicht. Wolfgang Hohmann schätzt sie auf 90 Prozent. Die selbstbestimmte Frau aus den Fernsehinterviews, die sich aus freien Stücken prostituiert, gäbe es zwar, räumt der Polizeibeamte ein. Sie sei jedoch die Ausnahme. In anderen Untersuchungen heißt es, genau das Gegenteil sei der Fall. Zurückführen lässt sich diese Diskrepanz vor allem auf eine unterschiedliche Definition von Zwang und Selbstbestimmtheit: Während manche Wissenschaftler lediglich die Opfer von Menschenhandel als Zwangsprostituierte definieren, unterstellt Hohmann auch bei jenen Frauen einen Zwang, die nicht frei darüber entscheiden können, wann und mit wem sie ihren Beruf ausüben oder die ihre Einnahme abgeben beziehungsweise ihrem Zuhälter eine Zimmermiete von 200 Euro oder mehr pro Tag zahlen müssen.

Fakt ist jedoch, dass Hohmann und seine Kollegen gegen die Zwangsprostitution nicht viel tun können. Seit Jahren schon fordert der Stuttgarter Polizist daher eine Überarbeitung des Prostitutionsgesetzes. „Wir brauchen dringend objektive Tatbestandskriterien, um den Druck von den Prostituierten nehmen zu können.“

Den Druck etwa, gegen ihren Peiniger aussagen zu müssen. Angst ist dabei die treibende Kraft. Angst um sich selbst und Angst um die eigene Familie. „Vor allem Frauen aus Osteuropa wird immer wieder gedroht, dass ihren Familien im Heimatland Schaden zugefügt würde, sollten sie rebellieren“, sagt Heike Rudat, Leiterin des Dezernats für Organisierte Kriminalität und Rotlichtkriminalität im Landeskriminalamt Berlin. Hinzu komme, so Rudat, dass sich das gesamte soziale Umfeld vieler Frauen einzig auf das Prostitutionsgewerbe begrenze. „Flieht eine Frau aus dem Rotlichtmilieu, kommt dies einer sozialen Entwurzelung gleich.“ Nicht selten komme es daher vor, dass eine Frau ihren Zuhälter anzeigt und die Aussage am nächsten Tag revidiert.
 

Insgesamt sei die Aussagebereitschaft der Prostituierten in ganz Deutschland in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen, beklagen Hohmann und Rudat. Das erschwere die Arbeit der Ermittler zusehends. Und so versuchen sie, über andere Wege an die Frauen heranzukommen. „Bevor wir Razzien durchführen, bereiten wir die Beratungsstellen auf potentiell neue Betroffene vor“, so Rudat. Beratungsstellen wie BanYing, In Via oder Ona, die den Frauen zur Seite stehen und ihnen den Ausstieg aus dem Rotlichtmilieu erleichtern wollen. „Gelingt es uns etwa während einer Razzia, Vertrauen zu einer der Frauen aufzubauen, versuchen wir sie schnellstmöglich an eine der Beratungsstellen zu vermitteln und ihr damit eine Zufluchtswohnung bereitzustellen“, erklärt die Berliner Kriminaldirektorin. Insbesondere wenn der Verdacht auf Menschenhandel besteht, sei diese Vorgehensweise essentiell.

Ansonsten kontrollieren wir auch regelmäßig den Aufenthaltsstatus der Frauen, setzen Drogenspürhunde ein und kooperieren mit dem zuständigen Gewerbeaußendienst, der prüft, ob die gewerberechtlichen Auflagen erfüllt sind“, so Rudat. Nicht selten würden durch die Kontrollen auch Personen mit offenen Haftbefehlen gefunden. Wolfgang Hohmann führt allein im Stuttgarter Rotlichtmilieu jährlich rund 3.000 solcher Kontrollen durch. Ein sprichwörtlicher Kampf gegen Windmühlen? „Manchmal kommt es uns so vor.“

Dabei ist eine für die Polizeibeamten handhabbarere Gesetzeslage eigentlich gar nicht so realitätsfern. Beim Prostitutionsgesetz handelt es sich nämlich um eines der wenigen deutschen Gesetze, die bereits bei Inkrafttreten eine Evaluationsklausel enthielten. Bereits im Januar 2007 stellte das Bundesjustizministerium in einem Gutachten Handlungsbedarf fest. Bemängelt wurde unter anderem, dass das Prostitutionsgesetz bislang lediglich auf einen Teilbereich des Milieus Bezug nehme. „Vernachlässigt wurde der gesamte Bereich der unfreiwillig ausgeübten Prostitution: Menschenhandel, Zwangsprostitution und Minderjährigenschutz“, heißt es im Evaluationsbericht.

Auch die Innenministerkonferenz konstatierte bereits den Reformbedarf des Prostitutionsgesetzes und formulierte 2011 in einer Stellungnahme klare Änderungsvorschläge. Gefordert wurde etwa die „Einführung einer Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten“. Jeder, der ein Zimmer an Prostituierte vermietet, solle demnach künftig bei den Behörden vorsprechen und einen Antrag stellen müssen. Damit könnte verhindert werden, dass sich Zuhälter als Vermieter einer Wohnung tarnen können. Ihre Forderungen übergab die Innenministerkonferenz der Bundesregierung. Diese leitete das Anliegen wiederum nach eigener Aussage an das Bundesfamilien- und das Bundesjustizministerium. Zunächst scheinbar mit Erfolg: Im Juni 2011 ließ das Bundesfamilienministerium verlauten, man arbeite an Eckpunkten für eine mögliche Regelung.

Seither ist es still geworden um das umstrittene Gesetz. Auf Nachfrage verwiesen beide Ministerien auf die Zuständigkeit des jeweils anderen. Nach erneutem Nachhaken verkündete das Bundesfamilienministerium, man habe sich dem Thema angenommen, Gespräche mit dem Bundesjustizministerium liefen bereits. Eine baldige Überarbeitung des Gesetzes sei jedoch nicht geplant. Das Justizministerium teilte hingegen Cicero Online mit, nicht handeln zu können, da es an aktuellen empirischen Zahlen fehle, aus der die Notwendigkeit einer Gesetzesüberarbeitung hervorginge. Es bedürfe schlicht einer aktuellen Studie. Das wiederum wäre Aufgabe des Bundesfamilienministeriums.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.